Der Diesel und die Toten – das Aufreger-Stück geht weiter, den Pneumologen gehört gerade die öffentliche Bühne …
"Alles Schwachsinn!"
Was halten Sie von einem solchen Kommentar? Sehr differenziert klingt er ja nicht gerade. Auch ein bisschen aggressiv, irgendwie. Vor dem inneren Auge erscheint assoziativ das Bild eines wutschnaubenden Kollegen. Außerdem ist unklar: Meint der jetzt unseren Beitrag oder das darin behandelte Thema oder beides?
Und dennoch: Der Kommentar von Kollege Heilmann aus Ostercappeln (herzliche Grüße in den Landkreis Osnabrück!) zu unserem Blogbeitrag vom 14. März 2018 (Der Diesel und die Toten: ein Aufreger-Thema) bestätigt nicht nur unsere Überschrift ("Aufreger-Thema"), sondern ähnelt in der Quintessenz der – deutlich differenzierteren – Stellungnahme von Ex-DGP-Präsident Prof. Dieter Köhler (ebenfalls herzliche Grüße in den Hochsauerlandkreis!) und drei weiteren Kollegen, die just heute große mediale Wellen schlägt.
Die Stellungnahme bezieht sich auf die derzeit gültigen Feinstaub- und Stickstoffdioxid-Grenzwerte, die dafür herangezogenen Studiendaten samt hochgerechneter Mortalität und die daraus resultierenden politischen Maßnahmen (Stichwort "Fahrverbote"). Im Deutschen Ärzteblatt erschien dazu bereits im vergangenen September ein lesenswerter Beitrag von Köhler. Der renommierte Experte vermisst eine ausreichende wissenschaftliche Basis und möchte die "ideologisiert" geführte gesellschaftliche Diskussion gerne versachlichen.
Uns raucht der Kopf. Aber nicht von den Luftschadstoffen, um die es inhaltlich geht, sondern von Newslettern und Pressemitteilungen, die uns beim Schreiben dieser Zeilen ums Haupt bzw. in den Browser und das E-Mail-Postfach flattern.
Von der BILD-Zeitung wurde Köhler mit folgenden Worten zitiert: "Die aktuellen Grenzwerte sind willkürlich gezogen, die Debatte ist von einer wahnsinnigen Hysterie geprägt." Am Montagabend trat der Pneumologe in der TV-Sendung "Hart aber fair auf" ("Grenzwerte geschätzt, Motoren manipuliert: ein Land im Diesel-Wahn?").
Und heute hat die DGP zusammen mit Deutscher Lungenstiftung und VPK im Internet mit einem Pressemitteilungstext die Stellungnahme der Professoren Köhler, Koch, Hetzel und Klingner veröffentlicht. Die – dem DGP-Positionspapier vom November 2018 widersprechende – Veröffentlichung hatte Köhler in einem Rundbrief, der vor etwa zwei Wochen an die DGP-Mitglieder ging, angekündigt. In dem Schreiben bat er bei inhaltlicher Zustimmung um Rückmeldung per E-Mail, um daraus eine Unterschriftenliste zu generieren.
Auch dieser Rundbrief und die Unterschriftenliste wurden mitveröffentlicht. Letztere enthält 112 Namen (Zugriff am 23.01.2019) von Personen ("nur Lungenärzte oder Forscher, die sich mit dem Thema wissenschaftlich beschäftigt haben"), die der Stellungnahme "uneingeschränkt zustimmen". Darunter finden sich sowohl bekanntere als auch unbekanntere Vertreter der Pneumologen-Zunft. Etwa Kollege Hering aus Berlin, ehemals stellvertretender Vorsitzender des BdP. Als aktueller Amtsinhaber käme er womöglich in Gewissenskonflikte, denn der BdP hat heute, quasi als Gegendarstellung, ebenfalls eine Pressemitteilung publiziert.
Darin wird die Kritik an den Grenzwerten kritisiert, unter anderem steht dort zu lesen: "Grenzwerte sind politische Kompromisse, sie sollen Risikogruppen, wie Kranke, Kinder und Schwangere schützen, sie müssen einen ausreichenden Abstand zu den Wirkschwellen haben und sollen gesundheitliche Gefahren auch bei lebenslanger Belastung vermeiden. Damit gehen Grenzwerte weit über die die banale Betrachtung von Dosis-Wirkungsbeziehung hinaus."
Nun ja, schwierig …
Die Notwendigkeit politischer Kompromisse ist ein Thema für sich, Grenzwerte sollten dafür aber nicht herhalten müssen. Genau das ist wohl das Problem, das viele Kollegen und auch nichtärztliche Mitbürger damit haben: Hier – und auch in anderen prominenten Fällen – wird (Pseudo-?) Wissenschaft ziemlich offensichtlich politisch instrumentalisiert.
Man könnte sich fragen, warum sie (die Wissenschaft) das zulässt, oder – ganz ketzerisch gedacht – vielleicht sogar veranlasst? Köhler – im Ruhestand und unabhängig – nennt in seinen schriftlichen und mündlichen Beiträgen dafür einige Gründe, die wir so auch beobachten und nachvollziehen können: vorauseilender Gehorsam, Eigendynamik, Besitzstandswahrung – und natürlich Geld. In einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung sagte er: "Pro Forschungsprojekt fließen hier 7 bis 12 Millionen Euro, überwiegend aus EU-Töpfen. Es drängt sich leider der Eindruck auf, dass die Daten im Sinne einer Erwartungshaltung ausgewertet worden sind. Man sägt eben nicht an dem Ast, auf dem man sitzt."
Genau das sollte man aber gelegentlich, aus Eigen- und Gemeininteresse. Denn morsche Äste bringen uns nicht weiter …
Wie auch immer: Eine differenzierte und vor allem ergebnisoffene Betrachtung und Diskussion der relevanten Angelegenheiten ist wünschenswert, scheint aber nur selten (und immer seltener?) stattzufinden. Überschriften und Statements neigen immer mehr zu aufmerksamkeitsheischenden Vereinfachungen. Die weniger aufgeregten, dafür seriöseren Ausführungen finden sich, wenn überhaupt, im Fließtext. Lesen hilft, Nachdenken auch. Beides braucht aber Zeit. Und wer hat die heute schon noch ...
Abkürzungen:
BdP = Bundesverband der Pneumologen, Schlaf- und Beatmungsmediziner
DGP = Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin
VPK = Verband pneumologischer Kliniken