SARS-CoV-2: zehnmal so tödlich wie die Grippe?

Die geografischen Unterschiede beim Schwergerad von Covid-19-Fällen könnten mit einem seltenen Phänomen zusammenhängen, das möglicherweise auch die Impfstoffentwicklung behindert.

Die geografischen Unterschiede beim Schwergerad von Covid-19-Fällen könnten mit einem seltenen Phänomen zusammenhängen, das möglicherweise auch die Impfstoffentwicklung behindert.

Mit praxis- und abrechnungsrelevanten Infos zum neuartigen Coronavirus werden wir fleißig von den KVen (z. B. Berlin) und der KBV versorgt, u. a. auch zum Anspruch auf Entschädigung, wenn der Praxisbetrieb aus infektionsschutzrechtlichen Gründen untersagt wird (PDF-Link). Von den teilweise widersprüchlichen Aussagen der Selbstverwaltung sollte man sich dabei nicht kirre machen lassen.

RKI: Gefahr für die Bevölkerung aktuell "mäßig"

Man hat auch so schon genug mit der nun aufkommenden Dynamik zu tun. Langfristige organisatorische Vorbereitungen hat RKI-Vizepräsident Prof. Lars Schaade gerade bei einem Pressebriefing gefordert, um die infizierten von den nicht-infizierten Patienten zu trennen: "Die dürfen sich nicht mischen, weder in der Arztpraxis, noch im Krankenhaus". Jetzt sind alle gefragt, zur Verlangsamung und Abschwächung einer möglichen Infektionswelle in den kommenden Wochen beizutragen.

Auch RKI-Präsident Prof. Lothar Wieler hat als wichtigstes Ziel ausgegeben, Zeit zu gewinnen. Seiner Ansicht nach wird sich die SARS-CoV-2-Epidemie in Deutschland nicht explosionsartig, sondern "langsam mit einzelnen regionalen Schwerpunkten" ausbreiten. Mittlerweile sind in Deutschland in fast allen Bundesländern Infektionsfälle bestätigt worden. Das RKI schätzt das Risiko hierzulande gegenwärtig als mäßig ein.

Nach derzeitigem Erfahrungsstand verlaufen etwa 80% der Erkrankungen mild und 14% schwer, in 6% der Fälle ist eine Intensivbehandlung erforderlich. Die Berechnung der Letalität ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwierig und wohl noch mit einem gewissen Spekulationsfaktor behaftet. Teilweise war von "3–4%" die Rede. Aus Italien, dem bisher am stärksten betroffenen Land in Europa, werden aktuell über 3.000 Infektionen und mehr als 100 Todesfälle gemeldet, was tatsächlich etwa einer Sterberate von 3% entsprechen würde. Knapp 300 Menschen befinden sich wegen SARS-CoV-2 auf der Intensivstation (welt.de).

Chinesische Behörden berechneten für die Provinz Hubei, dem Ursprungsgebiet der Epidemie, eine Sterberate von 2,9%. Ein WHO-Sprecher bezifferte die Rate für das übrige China laut auf 0,7%. Nach Aussage von Wieler liegt sie bei 1–2% und damit zehnmal so hoch wie bei der Grippe (0,1–0,2%). Der Virologe Prof. Alexander Kekulé (Halle) würde das laut Deutschlandfunk allerdings "auf keinen Fall unterschreiben". Dafür hält der Experte zwei Wochen „Coronaferien“ für alle Schulen und Kitas, die Absage von Großveranstaltungen und die Reduzierung von innerdeutschen Reisen auf ein Minimum für angebracht.

Infektionsverstärkende Antikörper als Pathogenitätsfaktor und Impfstoffhindernis?

Was könnte die auffälligen regionalen Unterschiede im Schweregrad von Covid-19 verursachen? Ein kanadischer Wissenschaftler hat als einen möglichen Grund infektionsverstärkende Antikörper (antibody dependent enhancement/ADE) ins Spiel gebracht.1 Sie bewirken bei einer Zweitinfektion mit dem gleichen oder einem ähnlichen Virus-Subtyp einen schwereren Krankheitsverlauf. Durch Modulation der Immunantwort können sie eine nachhaltige Inflammation, Lymphopenie und/oder einen Zytokinsturm auslösen, was bei schweren bzw. tödlichen Covid-19-Fällen auch dokumentiert wurde. Die vorherige Antigen-Stimulation durch lokale Coronavirus-Subtypen könnte die geografischen Unterschiede erklären.1

Infektionsverstärkende Antikörper sind ein seltenes Phänomen, das zum ersten Mal beim Dengue-Fieber beobachtet wurde. Dort zeigte sich, dass sie vermutlich auch bei der Impfung von virusnaiven Menschen gebildet werden, also außerhalb von Endemiegebieten mit hoher Durchseuchungsrate. Bei einer nachfolgenden Infektion kann es dann gehäuft zu schweren Erkrankungen kommen. Wie auf wiwo.de zu lesen ist, befürchten "renommierte Virologen", dass es deswegen "in absehbarer Zeit keinen wirksamen Impfstoff gegen Coronaviren geben wird". Auch das Paul-Ehrlich-Institut hält demnach die ADE-Hypothese als Erklärungsansatz für die sehr unterschiedlichen Verlaufsformen bei SARS-CoV2-Infizierten für plausibel. "Echtes Wissen" fehlt bisher allerdings.

Infektionsgefahr durch importierte Waren?

Hier im Blog wurde die Frage gestellt, ob SARS-CoV-2 auch außerhalb eines  lebenden Organismus "länger als wenige Stunden überleben und somit  z. B. mit Warentransporten aus China auch in weiter entfernte Länder verbreitet" werden kann. Die Anschlussfrage, die sicher auch viele Kollegen und Patienten interessieren dürfte, lautet: "Gibt es sichere Erkenntnisse darüber, wie lange mit dem Coronavirus kontaminiertes Material infektiös bleibt, und welche Lebewesen es übertragen können?"

Eine Antwort auf diese Fragen findet man seit ein paar Tagen auf der Website des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). Demnach ist die Infektionsgefahr durch importierte Waren (Lebensmittel, Bedarfsgegenstände etc.) aufgrund der bisher ermittelten Übertragungswege und der relativ geringen Umweltstabilität von Coronaviren nach derzeitigem Wissensstand unwahrscheinlich. Die Umweltstabilität von humanen Coronaviren ist von verschiedenen Faktoren wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Oberflächenbeschaffenheit sowie Virusstamm und Virusmenge abhängig, normalerweise aber nicht besonders hoch. Neben dem Einhalten der allgemeinen Regeln zur Alltagshygiene kann man das Infektionsrisiko durch Erhitzen der Lebensmittel zusätzlich reduzieren.

Womit werden Oberflächen effektiv desinfiziert?

Hygieniker und Virologen der Universitätsmedizin Greifswald und der Ruhr-Universität Bochum haben kürzlich in einem Beitrag1 im Journal of Hospital Infection die Erkenntnisse aus 22 Studien über Coronaviren (u. a. Sars und Mers) und deren Inaktivierung zusammengefasst:

Ist eine Übertragung durch Tiere möglich?

Ein Wildtier-Ursprung wurde beim neuartigen Coronavirus zwar vermutet, ob Tiere bei der Epidemie in China aber tatsächlich eine Infektionsquelle dargestellt haben, weiß man bisher nicht so genau. Bundesbehördlich ist für diese Thematik das Friedrich-Löffler-Institut (FLI) auf der Insel Riems im Südwesten des Greifswalder Boddens zuständig. Gerade eben wurde aus Hong Kong der Nachweis von SARS-CoV-2 in Abstrichproben von einem Hund gemeldet. "Der Hund zeigt keine Krankheitssymptome und wird in einer Quarantänestation weiter untersucht", heißt es. Die Besitzerin ist infiziert und befindet sich ebenfalls in Quarantäne.

Dass bei dem Tier eine Infektion stattgefunden hat, ist damit noch ebenso wenig belegt wie eine mögliche Zoonose-Gefahr. Das FLI sieht keinen Grund, seine  Einschätzung zum Umgang mit Haus- und Nutztieren zu ändern, denen zufolge derzeit keine spezifischen Maßnahmen jenseits der grundlegenden Hygiene-Prinzipien zu beachten sind. Bisher fehlen Hinweise auf Infektionen von Haus- und Nutztieren mit SARS-CoV-2 ebenso wie "tiefergehende wissenschaftliche Untersuchungen". Erste Experimente zur Empfänglichkeit von Nutztierspezies wie Schwein und Huhn wurden nun am FLI begonnen.

Referenzen:
1. Tetro JA. Is COVID-19 receiving ADE from other coronaviruses? Microbes Infect 2020. pii:S1286-4579(20)30034-4
2. Kampf G et al. Persistence of coronaviruses on inanimate surfaces and their inactivation with biocidal agents. J Hosp Infect. 2020 Feb 6. pii: S0195-6701(20)30046-3

Abkürzungen:
Covid-19 = Corona Virus Disease 2019
RKI = Robert Koch-Institut
SARS = Severe Acute Respiratory Syndrome
WHO = Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization)