Weg von der Droh-Medizin - hin zu positiver Motivation!

Nur 5 Minuten Zeit in der Sprechstunde – wie gelingt es, Herzpatienten den Nutzen von Prävention näher zu bringen? Dr. Annette Birkenhagen im Interview.

Prävention von Herzerkrankungen und ihren Folgen

esanum: Auf welche Schwerpunkte sollte bei der Präventionsberatung besonders geachtet werden?

Dr. Birkenhagen: Schwerpunktmäßig  sollte der Arzt bei einer Präventionsberatung den Patienten vor allem motivieren: zu einer gesünderen Ernährung, zu mehr Bewegung, zur Nikotinkarenz, zum Stressabbau. Das Entscheidende ist dabei, dass sich der Arzt überhaupt die Zeit nimmt, diese Themen anzusprechen – und wenn es nur 5 Minuten sind! Denn grundsätzlich gilt: Jede Intervention ist besser als nichts zu tun!

Im zweiten Schritt sollten dann Ziele formuliert werden, die für den Patienten auch attraktiv erscheinen. Das sind initial meist kleine, erreichbare Ziele. Am günstigsten wäre es sogar, wenn der Patient diese Ziele individualisiert, selbst auswählen und benennen kann. Erst in einem dritten Schritt, der durchaus an einem Nachfolgetermin erfolgen kann, könnte dann über die einzelnen Inhalte und Ausgestaltungsmöglichkeiten gesprochen werden, die in der Regel etwas mehr Zeit als die angesprochenen 5 Minuten beanspruchen werden.

esanum: Insbesondere durch den Verzicht auf Nikotin kann das Risiko für viele kardiovaskuläre Folgeerkrankungen reduziert werden. Mit welcher Strategie gelingt es, Raucher vom Nikotinkonsum abzubringen?

Dr. Birkenhagen: Eine wirksame Strategie beim Arzt-Patienten-Gesprächen zum Nikotinverzicht ist die positive Motivation! Vermeiden Sie Drohungen mit kardiovaskulären Folgeerkrankungen, Krebserkrankungen oder gar Tod! Viel effektiver ist es, positiv zu formulieren und zu motivieren! Dabei kann der Ansatzpunkt z.B. das positive Körpergefühl des Nichtrauchers, Attraktivität oder auch Stolz und Vorbildwirkung sein.

Bei den diesjährigen DGK-Herztagen 2023 hat Prof. Dr. Stephan Gielen vom Klinikum Lippe in Detmold zu "Kurzintervention – Nikotin Stopp" gesprochen. Bewährt habe sich in der Praxis bei derartigen Arzt-Patienten-Gesprächen eine einleitende Frage: "Wären Sie gern Nichtraucher?". Falls der Patient darauf mit "Nein" antwortet, habe sich in der Regel jede weitere Intervention erübrigt. Falls er jedoch mit "Ja" antwortet, könne man konkreter auf individuelle Lösungswege eingehen: Rauch-Gewohnheiten durchbrechen, Änderung von Gewohnheiten festlegen, persönliche Belohnungssysteme neu generieren oder auch gemeinsam mit dem Patienten den Tag des Rauchstopps festlegen, etc.

Es wäre sogar noch effizienter, wenn die Zielsetzung vom Patienten selbst formuliert würde, erklärte Prof. Dr. Martin Halle, Präventionsmediziner der TU München. Er empfiehlt, dem Patienten "Hausaufgaben" aufzugeben. Der Patient möge seine Gründe für die notwendige Abkehr vom Nikotinkonsum aufschreiben – als Diskussionsgrundlage für einen zweiten ärztlichen Folgetermin. 

Erst in nächster Instanz kommen dann Medikamente zur Raucherentwöhnung (Bupropion, Vareniclin oder Cytisin) – oder ggf. auch Nikotinpflaster oder -kaugummis) zur Anwendung, die die Chance auf einen erfolgreichen Rauchstopp erhöhen. E-Zigaretten und andere Verdampfer-Produkte sind jedoch keine Entwöhnungshilfen und daher nicht geeignet. 

esanum: Und wie lässt sich eine gesündere Ernährung und mehr Bewegung bei Patienten fördern?

Dr. Birkenhagen: Für die ärztliche Beratung zu einer gesünderen Ernährung gibt es prinzipiell zwei organisatorische Möglichkeiten:

1. Die Ernährungsberatung in der Praxis selbst durchzuführen, was allerdings immer mit etwas mehr Zeit verbunden ist. 

Inhaltlich kann man sich dabei am Leitfaden "Ernährungstherapie in Klinik und Praxis (LEKuP)" orientieren. Prof. Dr. Stefan Lorkowski vom Institut für Ernährungswissenschaften der FSU Jena hat zum Thema "Ernährungsberatung" auf dem diesjährigen DGK-Herzkongress einen sehr interessanten Vortrag gehalten. Er hat auch die Aktion eat better ins Leben gerufen, Auf der Webseite findet man Beratung, vertrauenswürdige Quellen und Orientierung im "Ernährungsdschungel", außerdem können sich Patienten hier auch Rezepte für eine gesunde und ausgewogene Ernährung herunterladen.

Auch ich selbst habe auf dem Kongress einige neue Tipps für eine effektive Intervention zur Lebensumstellung beim Thema Ernährung erfahren. So empfiehlt Prof. Dr. Martin Halle (präventive Sportmedizin und Sportkardiologie, TU München) z.B., dass der Patient über 2-3 Tage alle seine Mahlzeiten, Snacks und Zwischenmahlzeiten fotografieren solle. Dieses Vorgehen fördere beim Patienten die Erkenntnis, wieviel er dann doch im Laufe eines Tages zu sich genommen hat! 

Bei einem zweiten Termin könne man dann diese Fotos gemeinsam mit dem Patienten durchgehen. Über die Teile der Fotos, die bereits einen gesunden Ernährungsansatz zeigen, sollte man sich lobend äußern. Lob ist dabei ein ganz wichtiges und günstiges Mittel, um den Patienten zu motivieren.  Der Patient wird in der Regel die Fehler in seiner Ernährung auf den Fotos dann selbst finden. Die Chancen, dass er Änderungen in seinem Ernährungsstil veranlasst, seien bei diesem Vorgehen höher als bei allgemeingültigen Vorschlägen oder Anweisungen von außen.

2. Die Ernährungsberatung aus der Hand zu geben und einen externen Ernährungsberater beauftragen.

Wichtig ist hierbei, dass der Arzt den Patienten vorab in der Sprechstunde bereits zu einer Ernährungsumstellung motiviert hat. Für die Verordnung einer Ernährungsberatung ist kein besonderes Formular erforderlich, es kann ein Rezept, eine Überweisung, ein Attest oder auch ein Musterformular benutzt werden. Darauf stellt der behandelnde Arzt dann eine sogenannte ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung zur Ernährungsberatung/-therapie aus. Diese "ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung" soll die Laborwerte von LDL-Cholesterin, Trigylceriden und Gesamtcholesterin, den Blutdruck, den HBA1C-Wert, Insulinpflichtigkeit ja/nein und die relevante Medikation enthalten. 

Bei medizinischer Indikation (nach § 43 Abs. 1 – Diät- und Ernährungstherapie und nach § 20 Abs. 1 – Primärprävention ernährungsmitbedingter Krankheiten) werden die Kosten von den Krankenkassen erstattet. Typische Indikationsbeispiele können daher:  Adipositas/Übergewicht, Arteriosklerose/KHK, Diabetes mell. Typ 1 und 2, Fettleber, Fettstoffwechselstörungen oder auch Hypertonie sein.

Im zweiten Teil Ihrer Frage werfen Sie die Problematik:  "Wie schaffe ich es, einen Patienten zu mehr Bewegung zu motivieren?" auf. Bei solchen Gesprächen ist es günstiger, den Begriff "Sport" zu vermeiden und ihn durch das Wort "Bewegung" zu ersetzen, das wird von den meisten Patienten leichter angenommen. Es impliziert ein leichter erreichbares Ziel, das für den Patienten noch eher umsetzbar erscheint als der Satz: "Sie müssen ab jetzt mehr Sport treiben!"

Auch für dieses Arzt-Patienten-Gespräch eignet sich das strategische Vorgehen über eine "Hausaufgabe" für den Patienten. Lassen Sie dabei Gründe und Motivationen aufschreiben, warum der Patient abnehmen und warum er sich mehr bewegen will. Typischerweise antworten die Patienten dabei folgendermaßen: 

Auffällig ist ja, dass diese von den Patienten genannten Gründe meist gar nichts mit der Vermeidung von kardiovaskulären Folgeerkrankungen zu tun haben (kaum ein Patient formuliert: Ich möchte einen 2. Herzinfarkt vermeiden! ), sondern viel häufiger mit Themen wie zurückgewonnener Lebensqualität, positivem Körperbewusstsein, Stolz und mit Attraktivität. 

Lassen Sie uns daher "in der Sprache unserer Patienten" sprechen und gehen wir besser auf die individualisierten Gründe der Patienten für eine Umstellung von Lebensgewohnheiten ein, als auf die sicher korrekte, medizinisch relevante Verminderung von kardiovaskulären Folgeerkrankungen hinzuweisen! Prinzipiell sollten dann die gemeinsam erarbeiteten, personalisierten (d.h. auf die persönlichen Lebensumstände des Patienten zugeschnittenen) Ziele auch schriftlich fixiert werden und dies dem Patienten mitgegeben werden.

Dazu hat Prof. Dr. Martin Halle (TU München) ein Rezept für Bewegung entworfen, das von unserer BNK-Arbeitsgruppe Sportmedizin auch noch einmal für den Praxisalltag des niedergelassenen Kardiologen angepasst worden ist. Diesen Rezeptblock können Sie über die BNK-Service GmbH bestellen. Auf diesem Rezept legt der Arzt dann gemeinsam mit dem Patienten die Sportart, die Häufigkeit und die Dauer der Bewegung fest und der Patient kann – in übertragenem Sinne – die Inhalte des Gespräches mit nach Hause tragen.

esanum: Haben Sie Tipps für die Arzt-Patienten-Kommunikation bzw. das Patientenmanagement, damit die Umsetzung von Präventionsstrategien auch tatsächlich gelingt?

Dr. Birkenhagen: Das Wichtigste ist sicher die eben schon besprochene Abkehr von der "Droh-Medizin" ("Wenn Sie weiter rauchen und nicht abnehmen, werden Sie bald Ihren nächsten Herzinfarkt erleben!" – o.ä.) – hin zu positiv formulierten, für den Patienten anfangs auch erreichbaren Zielen, die eben besser über positives Körpergefühl, mehr Lebensqualität, Stolz und Attraktivität definiert werden.

Zum zweiten sollte man versuchen, die Empfehlungen auf die individuellen Besonderheiten des jeweiligen Patienten zuzuschneiden.

Zum dritten ist es gut, wenn der Patient etwas mit nach Hause tragen kann, was ihn an dieses Gespräche erinnert und auf dem die wichtigsten Inhalte nochmals zusammengefasst sind: sei es ein vom Arzt handgeschriebener Zettel oder z.B. das eben genannte Rezept für Bewegung.

Zum vierten gehören natürlich auch regelmäßige Wiedervorstellungen dazu, um den Stand der hoffentlich bereits erfolgten Lebensumstellung überprüfen zu können und auch noch neue Impulse setzen zu können.

esanum: Was halten Sie von DiGAs? Sind sie als unterstützende Maßnahmen in der Prävention empfehlenswert?

Dr. Birkenhagen: Ja, digitale Gesundheitsanwendungen sind für "technik-affine" Patienten sicher ein gutes und probates Mittel, eine Lebensumstellung zu unterstützen – aber natürlich nicht für jeden Patienten geeignet. Dabei werden DIGAs im Sprechstundenalltag – ungerechtfertigter Weise – sicher noch zu selten empfohlen, den auch unsere älteren Patienten benutzen Smartphones und damit auch Gesundheits-App`s. Einige DiGAs für Ernährungsumstellung arbeiten häufig auch mit positiv besetzten motivierenden Bildern und mit Belohnungen. 

Zur Raucherentwöhnung kann ich die APP "Nichtraucherhelden" empfehlen, die ein wissenschaftlich fundiertes Rauchstopp-Coaching mit Rückfallprophylaxe verspricht. Viele ärztliche Kollegen arbeiten bereits damit – auch mit guten Erfolgen. Diese Medizin-App ist als Medizinprodukt evaluiert worden und muss vom Arzt verordnet werden, die Kosten werden dann von den Krankenkassen auch erstattet.

Mehr Highlights von den DGK Herztagen finden Sie in unserer Kongressberichterstattung.