Seit dem Auftauchen von SARS-CoV-2 gesellt sich nun eine weitere Ursache für Zerstreutheit und Konzentrationsprobleme – zu der zerebralen Mikroangiopathie und dem stummen Schlaganfall – hinzu. Die im Rahmen von Long COVID auftretende Gedächtnis- bzw. Konzentrationsstörung wird auch als "brain fog" – zu deutsch "Gehirnnebel" – bezeichnet. Der hinter Long COVID stehende Pathomechanismus ist noch nicht vollständig geklärt. Wissenschaftliche Forschungsarbeiten aus der Ophthalmologie legen einen vaskulären Pathomechanismus für Long COVID nahe. So konnte z. B. bei Patienten mit Long COVID eine Hypoperfusion der Aderhaut des Auges beobachtet werden. Mittels bildgebender Verfahren ließen sich im Bereich der Aderhaut der betroffenen Patienten Hämangiom-ähnliche Läsionen nachweisen. Die Gefäße waren an einigen Stellen hyperpermeabel gewesen. Das Auge ist aus embryogenetischer Sicht her betrachtet eine Ausstülpung des Gehirns. Inwiefern sich diese Beobachtungen an den okulären Gefäßen auf das Gehirn übertragen lassen, gilt es noch zu prüfen. Ein wichtiger Aspekt, der dafür spricht ist der Behandlungserfolg mittels BC 007 bei Patienten mit Long COVID. Die Zielstruktur des BC 007 Medikaments sind u. a. Autoantikörper die gegen den Endothelin-A-Rezeptor und auch gegen Alpha1-adrenerge, Beta1- und Beta2-adrenerge Rezeptoren gerichtet sind.3,4
Vaskuläre Veränderungen scheinen bei einigen Patienten mit einer SARS-CoV-2-Infektion in unterschiedlichen Formen aufzutreten. Neben einer Hypoperfusion und Hyperpermeabilität kleinerer Gefäße können auch Thrombosen auftreten. Im Rahmen einer SARS-CoV-2-Infektion kann es zu makro- und auch zu mikrovaskulären Thrombosen kommen. In Fallberichten wurden ausgedehnte mikrovaskuläre Thrombosen beschrieben. Eine thrombotische Mikroangiopathie könnte eine Mitursache für die thrombotischen und multiorganischen Komplikationen von COVID-19 sein.5 Am 15. Juni dieses Jahres wurde ein interessanter Fallbericht zu dieser Thematik veröffentlicht. Bei einer 56-jährigen Patientin mit schwerer COVID-19-Erkrankung und zerebraler Mikroangiopathie zeigten sich keine offensichtlichen Anomalien im MRT (siehe Abbildung 1). Dies erschien Ymoto W. äußerst ungewöhnlich. Imoto W. zufolge kann es sich in so einem Fall um eine durch COVID-19 ausgelöste Mikroangiopathie handeln.5
Bisher wissen wir nur wenig über die Symptomatik einer COVID-19 assoziierten zerebralen Mikroangiopathie bzw. Enzephalopathie. Fallberichten zufolge kann eine COVID-19-assoziierte Enzephalopathie mit einem weiten Spektrum an Symptomen und klinischen Ausprägungsformen auftreten. Bei Patienten mit COVID-19-assoziierter Enzephalopathie kann folgendes auftreten:
Aktuell stellt sich vielen Forschenden noch die Frage nach der Ursache COVID-19 assoziierter Folgeerkrankungen. Wir wissen, dass sich eine schwere COVID-19-Erkrankung als Multiorganfunktionsstörung manifestieren kann. Am häufigsten ist hierbei die Lunge beteiligt. Es gibt Hinweise darauf, dass eine überschießende Immunreaktion der treibende Faktor hierbei ist. Organschäden können als Folge einer ungebremsten Komplementaktivierung und eines Zytokinsturms auftreten. Darüber hinaus ist bekannt, dass bei Patienten mit schwerer COVID-19-Erkrankung eine Hyperkoagulabilität und dadurch auch eine Thromboseneigung vorliegen kann. Neben makrovaskulären spielen auch mikrovaskuläre Thromben für das Multiorganversagen eine Rolle. Auch im Bereich des ZNS kann es zu einer thrombotischen Mikroangiopathie kommen.6
Der Einfluss einer SARS-CoV-2-Infektion auf das Gefäßsystem des menschlichen Auges wurde im Rahmen verschiedener Studien untersucht. Hierzu zählen auch vorbereitende Studien der ReCOVer-Studie an der Uniklinik Erlangen. Das Auge als Ausstülpung des Gehirns bietet uns die Möglichkeit, die Auswirkungen einer SARS-CoV-2-Infektion auch non-invasiv z. B. mittels OCT zu untersuchen. Vor genau einem Monat wurde eine Studie zur COVID-19-assoziierten Choroidopathie veröffentlicht. In dieser prospektiven Studie wurden Patienten, die aufgrund einer schweren COVID-Infektion hospitalisiert werden mussten, mittels Indocyaningrün-Angiographie (ICGA) und OCT-Diagnostik untersucht. Diese beiden Methoden aus der Augenheilkunde dienen der Untersuchung der Retina und der Chorioidea. Die Chorioidea wird auch als Aderhaut bezeichnet. Der Name rührt von der starken Vaskularisierung der Aderhaut. Sie besteht aus mehreren Schichten mit größeren Arterien und Venen und feinen fenestrierten Kapillaren. Bei allen untersuchten Patienten konnten Gefäßanomalien nachgewiesen werden. Es wurden Läsionen sowohl der retinalen als auch der choroidalen Gefäße festgestellt.7
Es gilt zu untersuchen wie diese COVID-19-assoziierte Gefäßanomalien bzw. Mikroangiopathien und Thrombosen mit den zerebralen Symptomenkomplexen, die uns im Rahmen einer Post-COVID-Situation begegnen können, miteinander zusammenhängen.
1. Absentmindedness points to earlier warning signs of silent strokes among people at risk. ScienceDaily Available at: https://www.sciencedaily.com/releases/2019/02/190206091417.htm. (Accessed: 20th March 2019).
2. Dey A. K. et al. (2019). Cognitive heterogeneity among community-dwelling older adults with cerebral small vessel disease. Neurobiology of Aging 77, 183–193.
4. https://ichgcp.net/de/clinical-trials-registry/NCT04192214
5. Imoto W. et al. (2022). Long COVID with intracranial microangiopathy. QJM. 2022 Aug 13;115(8):539.
6. Tiwari NR, Phatak S, Sharma VR, Agarwal SK. COVID-19 and thrombotic microangiopathies. Thromb Res. 2021 Jun;202:191-198.
7. Abdelmassih Y. et al. (2021). COVID-19 associated choroidopathy. J Clin Med 2021;10:4686.