Wenn ich Gesundheitsministerin wäre, dann würde ich…

Die fehlende Nachfolge in ländlichen Gebieten, das Budgetierungssystem und wachsende finanzielle Belastungen führen zu einer prekären Lage in der ambulanten Betreuung.

Hohe Arbeitsbelastung ist nicht mehr zeitgemäß

In einer Krisensitzung der KBV wurde jetzt ganz ungeniert das schlimme Wort "Praxissterben" in den Mund genommen. Was sagt das? Dieser bedrohliche Prozess ist nicht mehr zu ignorieren. In den Städten läuft es gerade noch so einigermaßen, aber die Kollegen in der ländlichen Fläche finden keine Nachfolger mehr. Ein großer Teil von ihnen steht unmittelbar vor dem Renteneintritt. Und die jungen Kollegen sagen: Das tue ich mir nicht an. Sie gehen ins Ausland oder auch in andere Branchen. Bei uns herrscht eben das Prinzip: Viel Milch, wenig Kakao, soll heißen: viel Arbeit, wenig Geld. Jedenfalls im Vergleich zu anderen Ländern. Und dazu noch mehr Repressalien als anderswo.

System grenzt Ältere und Kranke aus

Wer das stoppen will, muss zunächst mal all das bezahlen, was in der ambulanten Betreuung auch geleistet wird. Es ist eben falsch, dass wir immer das gleiche Geld bekommen, egal wie viel wir arbeiten. Die Budgetierung muss weg. Und zwar nicht nur, was die Abrechnungen angeht, sondern auch bezüglich der Medikamente und Therapien. Wir haben es jetzt so unsinnig eingerichtet, dass die Versorgung von chronisch Kranken auf der Kippe steht, weil alle Kollegen sich inzwischen sagen: Ich will keine neuen Patienten mit zig Erkrankungen und diversen benötigten Medikamenten. Denn das sprengt mein Praxisbudget, das kann ich mir nicht leisten. Das heißt, die richtig Kranken bleiben auf der Strecke, nur die Jungen, Gesunden kosten nicht viel.

Es muss geklärt werden, dass seitens der Politik ausreichend Geld ins Gesundheitssystem fließt. Denn die Kassen können das nicht immer weiter stemmen, was wiederum bedeutet, dass ständig die Beiträge erhöht werden. Die Bevölkerung kann das irgendwann auch nicht mehr bezahlen, wenn alles immer  teurer wird.

Auswirkungen der Budgetierung

Da muss etwas passieren. Und das ist schon länger klar. Das sah man beim Stichwort Bürgerversicherung, bei der auch die Finanzstärkeren ins Solidarsystem einzahlen sollten. Die gesetzlichen Kassen versorgen viele Menschen, die gar nichts einzahlen - wie Arbeitslose, Empfänger von Grundsicherung, die aber in der Versorgung viel kosten. Auch die Neuankömmlinge sind in großer Zahl kostenfrei im System und bekommen eine ordentliche Grundversorgung. Somit läuft das System irgendwann an die Wand. Ich muss nicht BWL studieren, um zu erkennen, dass das so nicht funktioniert. Es gibt schon jetzt immer mehr Leistungsausschlüsse seitens der gesetzlichen Kassen. Deswegen sind diese auch für Menschen mit höherem Einkommen nicht besonders attraktiv. Und wir Ärzte wissen natürlich längst: Privatpatienten sichern unser Einkommen. Irgendwann wurde das so gesteuert. Und jetzt haben sich alle dran gewöhnt. Jede Autowerkstatt würde so handeln: Wenn sie für dasselbe Auto einmal 500 und einmal 2000 Euro bekommt, ist doch klar, wer schneller einen Termin bekommt. Natürlich darf ein guter Arzt so kühl nicht rechnen. Aber bei allem Altruismus, der zu unserem Beruf gehört: Niederlassungen sind auch kleine Wirtschaftsunternehmen. Ich zahle Miete, Gehälter, Versicherungen etc. 

Notwendigkeit einer umfassenden Reform

Manchmal haben mich Leute gefragt, was ich als Gesundheitsministerin machen würde. Der erste Schritt wäre mal der Wegfall der Budgets. Dann kann ich auch alle Patienten angemessen gut behandeln, ohne ständig Ärger mit den Krankenkassen zu riskieren. Und dann würde ich diverse kostenintensive Dinge aus der Basisversorgung herausnehmen. Es ist sehr heikel, die Beispiele zu nennen, ohne dass es fälschlicherweise als inhuman verstanden wird. Was ist zum Beispiel mit den teuren HIV-Medikamenten? Menschen mit bestimmten individuellen Risiken kennen diese, und sie wissen genau, wie sie sich schützen können. Wenn sie das nicht tun wollen, könnten sie ja eine Zusatzversicherung für ihr persönliches Risiko abschließen. Auch die Drogensubstitution gehört nicht zwingend in die reguläre Krankenkassenversorgung. Das müssten staatliche Leistungen sein. Man könnte bestimmte Lebensrisiken, die man freiwillig eingeht, wie etwa Extremsport, zusätzlich versichern. Das überfordert die Solidargemeinschaft. Die Bevölkerung wird auch immer älter. Und Ältere brauchen natürlich mehr Medizin. Die sollen sie auch bekommen. Auch deswegen muss sich grundlegend etwas ändern.

Eine Basisversorgung für alle - und zusätzliche Versicherungen für individuelle Aspekte und Wechselfälle des Lebens, das wäre eine Idee. Darüber ist zu diskutieren. Jeder soll bekommen, was erforderlich ist. Besondere Risiken müssen anders geregelt werden.

Auch weil die Medizin immer mehr kann, wachsen die Aufgaben ins Unermessliche. Aber wenn das aktuelle Gesundheitssystem die Kosten einfach nicht mehr stemmen kann, muss man die Stellschrauben finden, die für Machbarkeit und für möglichst viel Gerechtigkeit sorgen. Das böse Wort Zweiklassenmedizin sticht da meiner Meinung nach nicht. Erstens haben wir die teilweise schon und zweitens wäre es eher eine Vielklassenmedizin, wenn jeder seine eigenen Risiken zusätzlich versichern lassen könnte. Und ein weiterer sehr, sehr guter Effekt wäre: auch das Thema Prävention, das derzeit noch immer stiefmütterlich behandelt wird, würde stark in den Vordergrund rücken - weil es sich plötzlich nämlich für alle rechnen würde.