Growing Medicine: Dank Moos viel los?

Biopharmazeutika aus Pflanzen: Im Interview berichten Prof. Dr. Ralf Reski und Dr. Andreas Schaaf, welchen Beitrag Moos für die Medizin der Zukunft leisten könnte.

Interview mit Prof. Dr. Ralf Reski und Dr. Andreas Schaaf

Lieber Ralf, lieber Andreas! Sie haben mit Ihrem Team in den letzten 20 Jahren etwas ganz erstaunliches vollbracht: Menschliche Eiweiße in kultivierten genmanipulierten Pflanzenzellen als Biopharmaka produziert! Eine grüne Innovation... Ihre Firma hieß damals auch noch GREENOVATION.

Reski: Vor drei Jahren erfolgte das Re-Branding von Greenovation zu Eleva, um auch die Fortschritte nach außen besser zu kommunizieren. Die meisten rekombinanten Biopharmazeutika sind komplexe menschliche Glykoproteine, also Eiweiße mit Zucker-Gruppen. Sie werden normalerweise in Säugerzellen produziert, so z. B. in CHO-Zellen (Chinese Hamster Ovary, Eierstockzellen des Chinesischen Hamsters).

Aber Pflanzen werden zunehmend als alternative Produktionssysteme genutzt, weil sie einfacher zu kultivieren und kostengünstiger sind. Sie haben kein Risiko der Verunreinigung mit Human-Pathogenen, z. B. Viren, und so ist das downstream processing, also die Aufreinigung und die Sicherheitstests, direkter und kostengünstiger.

Also gibt es bereits solche Biopharmaka?

Reski: Einige in Pflanzen hergestellte Biopharmazeutika befinden sich bereits in klinischen Studien. Das erste Produkt, Taliglucerase alfa, ein Enzym zur Behandlung von Morbus Gaucher, wurde 2012 von Pfizer/Protalix auf den Markt gebracht. 

Und was sind nun die großen Herausforderungen für Pflanzen?

Reski: Drei große Herausforderungen galt es zu meistern, bevor Pflanzen auf breiter Front als alternative Produktionssysteme genutzt werden konnten:

Und warum starteten Sie mit Moos?

Reski: Unser Team in Freiburg nutzt das kleine Blasenmützenmoos Physcomitrella als Produktionssystem für Glykoproteine. Seit den 1980er Jahren habe ich mich auf die Erforschung dieses Mooses konzentriert, zu einer Zeit, in der die meisten anderen Pflanzenforscher begannen, die Acker-Schmalwand Arabidopsis als Modellsystem zu nutzen. Obwohl Moose nie wirklich als Modellsysteme in Mode waren, hat sich sehr viel Wissen über die Jahrhunderte angesammelt. 

Warum waren Ihnen denn Moose sympathisch?

Reski: Von Beginn an fühlte ich mich zu den Moosen hingezogen; wegen ihrer geringen Größe, ihrer Fähigkeit, auf reinem Mineralmedium in Petrischalen zu wachsen, und nicht zuletzt wegen der Tatsache, dass sie die meiste Zeit ihrer Entwicklung haploid sind. Moose sind komplexer als einzellige Algen, aber einfacher gebaut als die Samenpflanzen. Sie haben ihre Gestalt in den letzten 400 Millionen Jahren kaum verändert. Es gab sie schon, als die Dinosaurier entstanden und es gab sie immer noch, als die Dinosaurier verschwanden. Obwohl sie niemals wirklich im Rampenlicht standen, waren und sind die Moose doch wahre Überlebenskünstler.

Das leuchtet ein! Und sie sind zwar keine Mode-Stars, dafür aber genügsam…

Reski: Genau! Über die Jahre konnten wir unser Moos zu einem Modellorganismus für Grundlagenforschung und Biotechnologie entwickeln. Es wächst nicht nur in Petrischalen und Erlenmeyerkolben, sondern auch in großtechnischen Bioreaktoren in reinen Mineralmedien. Was sehr praktisch ist: Sie benötigen keine organischen Zusätze wie Antibiotika, Kohlenstoffquellen oder Wachstumsregulatoren und keine extrem kontrollierten Bedingungen.

Und wie konnte man dann erfolgreich genmanipulierte Zellen heraus-screenen?

Reski: Physcomitrella wurde zuerst transformiert, in dem man vektorfrei Antibiotika-Resistenz in das Wildtyp-Moos brachte und somit die Transformanten leicht identifizieren konnte. 

Aha, also ähnlich zu Bakterienzellen und CHO-Zellen? Und wie geht dann Gen-Targeting?

Reski: Physcomitrella ist besonders geeignet für das Gen-Targeting (GT). Das vorherrschende Gewebe ist haploid, hat also nur einen Chromosomensatz und damit keine „Sicherungskopien“. Deshalb wird GT oft benutzt, um interessante Gene zu zerstören und die Genfunktion von diesen Knockout-Moosen abzuleiten. Diese Anwendung war übrigens das erste Beispiel für ein präzises Genom-Engineering bei Pflanzen, und das schon im Jahre 1998. Die hohe GT-Rate ist ein klarer Vorteil für ein Glyco-Engineering von Moos gegenüber ähnlichen Verfahren bei Samenpflanzen. Überraschenderweise kann Physcomitrella eine Vielzahl von Komponenten der Transkriptions-, Translations- und Sekretions-Maschinerien nutzen, die ursprünglich für die rekombinante Produktion in CHO-Zellen entwickelt und optimiert wurden. 

Waren Sie denn überrascht? Einfach Glück gehabt?

Reski: Wie sagte Louis Pasteur? "Das Glück bevorzugt den vorbereiteten Geist." Das Physcomitrella-Genom enthält übrigens rund 12.000 mehr protein-kodierende Gene als das menschliche Genom. Das war für uns eine wirkliche Überraschung!

Welche rekombinanten Proteine wurden schon im Moos produziert?

Reski: Neben vielen Proteinen für die Grundlagenforschung wurden etliche Proteine mit medizinischer Relevanz im Moos produziert, so z. B.

Besonders stolz sind wir auf aGAL und FH: aGAL zur Behandlung des Morbus Fabry ist das erste in Moos hergestellte Protein, das für klinische Versuche zugelassen wurde. Es hat die klinische Phase 1 mit Bravour abgeschlossen. Das sehr wichtige Etappenziel "Vom Moos in den Menschen" ist also erreicht.

FH ist ein zentraler Regulator unseres Komplementsystems. Weil es ein großes Protein ist (155 kDa) und 40 Disulfidbrücken enthält, ist es ein schwer zu exprimierendes Protein. Das Protein konnte in voller Länge in Moos produziert werden und zeigte sowohl in vitro als auch in präklinischen Versuchen an FH-defizienten Knockout-Mäusen in vivo volle biologische Aktivität.

Die Vorbereitungen, den in Moos produzierten Komplementregulator Faktor H in die klinische Prüfung zu bringen, laufen auf Hochtouren. FH aus Moos könnte eine kostengünstigere und verträglichere Alternative zum monoklonalen Antikörper Eculizumab sein, der nur eine begrenzte Zulassung für ausgewählte Krankheiten und erhebliche Nebenwirkungen hat, weil er Teile unseres Immunsystems blockiert. Eculizumab ist ein sehr teures Medikament mit Behandlungskosten von ca. 400 000 Euro pro Patient und Jahr.

Herr Dr. Schaaf, können Sie uns etwas mehr über CPV-104, den neuesten Wirkstoffkandidaten von Eleva erzählen?

Schaaf: CPV-104 ist eine rekombinante Variante des humanen Komplementfaktors H (FH). Sie wird mittels Bryotechnologie in unseren 500l-Photobioreaktoren hergestellt. Dieses Produktionssystem ist frei von tierischen Krankheitserregern und gewährleistet eine konsistente Produktion, indem es das Risiko einer Kontamination minimiert.

CPV-104 ist in Bezug auf die kanonische Aminosäuresequenz identisch mit seinem menschlichen Gegenstück, mit Ausnahme der Position 62, wo CPV-104 ein Isoleucin anstelle eines Valins enthält. Weitere Unterschiede gibt es im Glykosylierungsmuster. Präklinische in-vivo Studien (Mausmodell für C3G (FH (-/-) Knockout-Mäuse) und in-vitro Studien mit CPV-104 zeigten eine vergleichbare oder bessere Wirksamkeit als Studien mit aus Serum gewonnenem Faktor H. 

Haben Sie vor, mit CPV-104 in die Klinik zu gehen, wie Sie es bereits erfolgreich mit Ihrem ersten in Moos produzierten Medikament, der aGAL (RPV-001), geschafft haben? 

Schaaf: Ja, tatsächlich. Der derzeitige Entwicklungsplan sieht den Start der klinischen Phase sogar bereits im zweiten Halbjahr 2024 vor. Eleva plant die Durchführung einer offenen, Baseline-kontrollierten Phase-1-Studie, um die Sicherheit, Verträglichkeit, PK/PD, Immunogenität und Tendenzen der Wirksamkeit von CPV-104 bei Patienten mit durch Nierenbiopsie bestätigter C3G-Diagnose zu untersuchen. 

Um welche Art Erkrankung handelt es sich bei C3G?

Schaaf: Die C3-Glomerulopathie ist eine sehr seltene Erkrankung, die sowohl Kinder als auch Erwachsene betrifft. Die Prävalenz (etwa 1-3 Personen pro Million) ist aufgrund ihrer Seltenheit und dadurch, dass die C3G häufig nicht erkannt wird, nicht eindeutig definiert. Sie wird durch eine unkontrollierte Überaktivierung des alternativen Weges des Komplementsystems in der flüssigen Phase und auf Zelloberflächen mit überlappenden klinischen und pathophysiologischen Merkmalen verursacht (Smith et al., 2019)1. Die Dysregulation des alternativen Weges führt zu einer überwiegenden Ablagerung von C3G-Fragmenten innerhalb der Glomeruli (Martin, 2007, aktualisiert 2018)2. 

Welche Symptome treten bei einer C3G-Erkrankung auf? 

Schaaf: Die C3G äußert sich klinisch durch Proteinurie, Mikrohämaturie, akute Nierenschädigung und chronisches Nierenversagen. Etwa 50 % der Patienten entwickeln innerhalb von zehn Jahren eine Nierenerkrankung im Endstadium (ESRD), und ein Wiederauftreten der C3G nach einer Nierentransplantation ist häufig. Derzeit gibt es noch keine etablierte krankheitsmodifizierende Behandlung. 

CPV-104 könnte nach einem gelungenen Proof of Concept durch eine erfolgreiche Phase 1 nicht nur eine neue Behandlungsoption für C3G, sondern für ein breiteres Spektrum an komplementvermittelten Erkrankungen werden. Dazu zählen unter anderem Indikationen wie aHUS, PNH und AMD.

Welche Einschlusskriterien gibt es für Patienten, die an der Studie teilnehmen möchten? 

Schaaf: Patienten, die an der Studie teilnehmen wollen, müssen bei Beginn mindestens 18 Jahre alt sein und eine C3G-Diagnose haben, die durch eine historische Nierenbiopsie innerhalb der letzten 12 Monate bestätigt wurde. Außerdem müssen die Studienteilnehmer eine Proteinurie von mindestens 500 mg/24 Stunden aufweisen und seit mindestens 2 Monaten vor dem Screening unter einer stabilen und optimierten symptomatischen Behandlung stehen. Ziel der Studie ist es, die Sicherheit und Verträglichkeit von CPV-104 bei Patienten mit C3G zu zeigen. 

Prof. Dr. Ralf Reski

Ralf Reski (geb.1958) studierte Biologie, Chemie und Pädagogik im Lehramt. Er war Heisenberg-Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG und wurde 1999 zum Professor und Ordinarius für Pflanzenbiotechnologie an die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau berufen. Ebenfalls 1999 war er einer der Gründer der Firma Greenovation, die 2020 in Eleva umbenannt wurde. Im Jahr 2011 wurde er Senior Fellow am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) und ordentliches Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und 2013 Senior Fellow am Institute for Advanced Study der Universität Straßburg (USIAS). Er ist Gründungsmitglied von drei Exzellenzclustern.

Dr. Andreas Schaaf

Andreas Schaaf (geb. 1974) ist Doktor der Pflanzenbiotechnologie. Bevor er 2009 als Wissenschaftler zu Eleva kam, war er an den Universitäten Münster und Freiburg tätig. Bei Eleva war er für die Weiterentwicklung der Bryotechnology zu einer voll funktionsfähigen biopharmazeutischen Plattform verantwortlich. Andreas Schaaf ist seit 2015 Chief Scientific Officer und wurde Ende 2019 zum Managing Director ernannt.

Referenzen:

1 Smith RJH, Appel GB, Blom AM, Cook HT, D‘Agati VD, Fakhouri F, Fremeaux-Bacchi V, Józsi M, Kavanagh D, Lambris JD, Noris M, Pickering MC, Remuzzi G, de Córdoba SR, Sethi S, Van der Vlag J, Zipfel PF, Nester CM. C3 glomerulopathy - understanding a rare complement-driven renal disease. Nat Rev Nephrol. 2019 Mar;15(3):129-143. doi: 10.1038/s41581-018-0107-2. PMID: 30692664; PMCID: PMC6876298.

2 Martín B, Smith RJH. C3 Glomerulopathy. 2007 Jul 20 [Updated 2018 Apr 5]. In: Adam MP, Mirzaa GM, Pagon RA, et al., editors. GeneReviews® [Internet]. Seattle (WA): University of Washington, Seattle; 1993 – 2023. Available from: https://www.ncbi.nlm. nih.gov/books/NBK1425/

3 Meuleman MS, Duval A, Fremeaux-Bacchi V, Roumenina LT, Chauvet S. Ex Vivo Test for Measuring Complement Attack on Endothelial Cells: From Research to Bedside. Front Immunol. 2022 Apr 12;13:860689. doi: 10.3389/fimmu.2022.860689. PMID: 35493497; PMCID: PMC9041553