Der Klimawandel: ein tödliches Risiko

Die Erderwärmung ist bereits jetzt ein manifestes Risiko für die Gesundheit, vor allem für Menschen im globalen Süden. Die Ergebnisse des "2023 Reports of The Lancet Countdown on Health and Climate Change" zeigen erneut eine dramatische Entwicklung.

Lancet Report: Erschreckende Ergebnisse zu Klima und Gesundheit

 Die Erderwärmung – bislang 1,14 Grad mehr im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter – bedroht Gesundheit, Leben und Wohlstand der Menschen weltweit. Sie verursacht inzwischen ein Drittel der hitzebedingten Todesfälle. Im Zeitraum von 2018 bis 2022 waren Menschen im Durchschnitt an 86 Tagen im Jahr hitzebedingt gesundheitlich beeinträchtigt. In der Zeit zwischen 2013 und 2022 stieg die durch hohe Temperaturen verursachte Mortalität um 85 Prozent. Diese alarmierenden Daten liefert der 8. soeben erschienene "2023 Report of The Lancet Countdown on Health and Climate Change". Dieser Report, verfasst von 114 Wissenschaftlern und Mitarbeitern von UNO-Organisationen, misst 47 Indikatoren zum Zusammenhang zwischen Klimawandel und Gesundheit einschließlich der Auswirkungen auf den Wohlstand der Bevölkerung.

 Im Jahr 2022 arbeiteten 26,4 Prozent der Menschen in den vom Report erfassten Ländern im Außenbereich und ungeschützt vor den jeweiligen Witterungsbedingungen. Der Verlust an Arbeitsstunden durch Hitze belief sich dabei auf 490 Milliarden Arbeitsstunden, ein Anstieg von 42 Prozent seit 1991. Der Report, so Ko-Autor Dr. Jan Minx, Professor für Climate Change and Public Policy an der Universität Leeds (UK), beziffert den dadurch entstandenen Einkommensverlust auf 863 Milliarden Dollar (etwa 780 Milliarden Euro). Zunehmende Hitze- und Dürreperioden haben ferner dazu geführt, dass die Zahl der Menschen mit unsicherer Ernährungssituation und Bedrohung durch Hungersnöte im Jahr 2021 um 127 Millionen im Vergleich zum Zeitraum zwischen 1981 und 2010 gestiegen ist. Überproportional betroffen davon sind Kinder sowie die Einwohner von Low-  und Middle-Income-Countries.

Noch immer gigantische Subventionen für fossile Energien

Bei einem Zwei-Grad-Szenario, das angesichts der andauernden Entwicklung nicht ausgeschlossen werden kann, würde sich die Zahl der hitzebedingten Todesopfer um weitere 370 Prozent erhöhen, die Verluste an Arbeitspotential um weitere 50 Prozent steigen und zusätzlich 525 Millionen Menschen von Hunger bedroht sein. Zugleich würde auch das Risiko für eine weitere Ausbreitung des Dengue-Fiebers um 37 Prozent zunehmen. 

Zwar gebe es auch geringfügige Fortschritte. So sei die Zahl der durch fossile Brennstoffe verursachten Todesfälle zwischen 2005 und 2020 von 1,4 auf 1,2 Millionen gesunken. Dennoch sei bislang kein Wendepunkt beim Einsatz fossiler Energieträger, insbesondere der Kohle, geschafft. 68 von 87 betrachteten Ländern subventionieren die Erzeugung von Kohle mit insgesamt rund 300 Milliarden Dollar jährlich. 

Insgesamt elf prioritäre Handlungsoptionen hat das Autorenteam erarbeitet. Dazu zählen eine gesundheitsorientierte Transformation der Energieerzeugung durch konsequente Dekarbonisierung, die Umstellung der Ernährung und Nahrungsmittelproduktion auf umweltschonende und gesunde Produkte sowie der Umbau der Gesundheitssysteme mit dem Ziel, Emissionen zu vermeiden und Klima-Resilienz zu erzielen. Darauf müssten auch die Wohn- und unmittelbaren Umweltbedingungen in den Lebenswelten der Bevölkerung ausgerichtet werden.

Reinhardt: Die deutsche Ärzteschaft ist sensibilisiert

Die Ärzteschaft in Deutschland, so der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, beschäftige sich seit 2018 systematisch mit klima- und umweltbedingten Gesundheitsrisiken. Dies seien etwa die Ausbreitung von Dengue- und Westnil-Fieber sowie Lyme-Borreliose, neue sich auch im Norden ausbreitende Zecken-Varianten, aggressiverer und länger andauernder Pollenflug mit einem steigenden Risiko für Allergien. Für alle Bereiche des Gesundheitswesens seien dadurch wachsende Belastungen zu erwarten. Praxen, Kliniken und ärztliche Berufsorganisationen haben, so Reinhardt, diese Herausforderung erkannt. Eine der Konsequenzen sei der erste Nationale Hitze-Aktionstag in diesem Jahr gewesen. Bislang ergriffene Maßnahmen seien bei weitem nicht ausreichend. Vor dem Hintergrund der durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts entstandenen Probleme für eine Kreditfinanzierung mahnte Reinhardt, die Klima- und Gesundheitsrisiken als "nationale Notlage" zu verstehen. 

Seit diesem Jahr ist das Thema "Hitze und Gesundheit" auch als Aufgabe des Bundesgesundheitsministerium anerkannt, so die im BMG für den Bereich Public Health zuständige Abteilungsleiterin Dr. Ute Teichert. Nach dem Vorbild Frankreichs wolle man dazu einen Hitzeaktionsplan aufbauen und umsetzen. Inzwischen habe das Robert Koch-Institut einen Sachstandsbericht zu klimabedingten Gesundheitsrisiken vorgelegt. Mit dem vor der Errichtung stehenden Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin werde die Herausforderung ebenfalls adressiert. 

Deutschland ist weit von einer Health-in-All-Policy entfernt

De facto existiert ein klimabezogener Gesundheitsschutz nicht einmal in den ersten Anfängen. Anders als beispielsweise in den USA und dort in Städten flächendeckend installierten Wasserspendern gibt es in Deutschland fast keine Möglichkeit, sich Erfrischung zu verschaffen. Ratschläge für alte und chronisch Kranke, wie sie sich bei Hitzeperiode schützen, sind weltfremd und korrespondieren nicht mit den realen Bedingungen in den Miniappartements von Wohnsilos in deprivierten Stadtteilen.

Die Grundregeln moderner Urbanistik werden immer noch gründlich missachtet: ein prominentes Beispiel in Berlin ist ein in den letzten Jahren entstandenes Areal am Ostbahnhof und entlang der East-Side-Gallery mit trostlosen Hochhäusern ohne jede Begrünung und durchzogen von einer hoch frequentierten Ausfallstraße. Und das zentrumsnahe mehrere Quadratkilometer große Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof ist nach dem Willen der Berliner eine ökologisch nutzlose, zu großen Teilen versiegelte Brache – Umwelt hin, Wohnungsnot her.