Lauterbach ruft neues Institut für Prävention ins Leben

Die Bundesregierung nimmt nicht übertragbare Krankheiten in den Fokus. Dazu wird die bisherige BZgA zu einem Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) in Berlin um- und ausgebaut.

Neue Ära in der Präventionspolitik

Hohe Gesundheitsausgaben einerseits, im Vergleich zu anderen westeuropäischen Staaten eine unterdurchschnittliche Lebenserwartung und vergleichsweise geringe Fortschritte andererseits: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will eine neue Ära in der Präventionspolitik einläuten. Neben der Digitalisierung des Gesundheitswesens und dem Umbau der Krankenhausstrukturen sei dies eine der drei großen Reformen, die in dieser Legislaturperiode gestartet werden, sagte Lauterbach am Mittwoch vor Journalisten in Berlin.

Mit knapp 5000 Euro liegen die Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben nach OECD-Daten um 53 Prozent über dem Durchschnitt der EU-Länder, dennoch liegt die Lebenserwartung in Deutschland laut Eurostat mit 80,8 Jahren nur knapp über dem des EU-Durchschnitts (80,1 Jahre). Wesentlich länger leben die Menschen in Frankreich, Portugal, Spanien und Italien. Auch die Verlängerung der Lebenserwartung, so Lauterbach, sei in Deutschland unterdurchschnittlich. Ferner existiert ein starker sozioökonomischer Einfluss auf die Lebenserwartung. Maßgeblich dafür sei die Situation bei der Bekämpfung von Herz-Kreislauf-, Krebs- und Demenzerkrankungen, die rund 75 Prozent der Todesursachen in Deutschland ausmachen. 

Ursächlich dafür sei, dass die Prävention in Deutschland sich bislang im Wesentlichen auf Verhaltensprävention beschränkt hat, Vorbeugung durch Verhältnisprävention kaum praktiziert wird. In der Sekundärprävention – Erkennung von Risikofaktoren und deren Bekämpfung – sei die Praxis zu wenig konsequent. Bluthochdruck und Hyperlipidämie würden zu spät erkannt und nach ihrer Detektion zu häufig unterdosiert oder in nicht geeigneten Kombinationen behandelt. Der Ausbau der Primär- und Sekundärprävention zur Bekämpfung der Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Todesursache Nummer 1 in Deutschland werde deshalb besondere Priorität haben, so Lauterbach. Er kündigte dazu weitere Gesetzesvorhaben an, mit denen die Präventionspolitik neu ausgerichtet wird.

Ein neuer "großer" Public-Health-Ansatz

Zuständig für die neuen Public-Health-Aufgaben im Bereich der nicht infektiösen Krankheiten wird die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Sie wird zu einem Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) mit erstem Dienstsitz in Berlin um- und ausgebaut. Der bisherige Standort Köln soll erhalten bleiben, um keine wertvollen Mitarbeiter zu verlieren, sicherte Lauterbach zu. Die Errichtungsphase soll Ende 2024 abgeschlossen sein, sodass das neue Institut ab dem 1. Januar 2025 voll arbeitsfähig sein soll. Über die zusätzlichen Kosten dazu wollte Lauterbach keine Angaben machen; dazu fänden Beratungen statt. Das Projekt ist vereinbarter Bestandteil des Koalitionsvertrags, weswegen auf dieser Grundlage wahrscheinlich kein Widerstand des FDP-geführten Finanzministeriums zu erwarten ist.

Errichtungsbeauftragter wird Dr. Johannes Nießen. Der 65-jährige Facharzt für Allgemeinmedizin, öffentliches Gesundheitswesen und Sozialmedizin leitet derzeit das größte deutsche Gesundheitsamt in Köln. Er gehört seit Ende 2021 dem Corona-Expertenrat der Bundesregierung an. Ferner ist er Vorsitzender des Bundesverbandes der ÖGD-Ärzte.

Die Lektion, die die Corona-Pandemie erteilt habe, sei, dass Individualmedizin Hand in Hand mit Bevölkerungsmedizin gehen müsse, so Nießen. Zentrale Stellschrauben dazu seien die Verankerung von Public-Health-Ansätzen bei den entscheidenden Akteuren, insbesondere den Gesundheitsämtern, evidenzbasierte Aufklärung, die Einbeziehung des Klimawandels als Gesundheitsrisiko sowie evidenzbasierte Prävention bei Kindern, insbesondere auch hinsichtlich der psychischen Belastungen. Eine wesentliche Grundlage dafür müsse eine gute Epidemiologie mit belastbaren Daten sein. Quellen dazu sollen zukünftig anonymisierte Daten aus der elektronischen Gesundheitsakte, Daten aus der Versorgung von den Krankenkassen und selbst vom BIPAM erhobene epidemiologische Daten sein. Das BIPAM wird eine neue spezielle Abteilung für Modellierung erhalten, die zu einem Center of Excellence für Modellierer ausgebaut werden soll. Damit sollen alternative Präventionsinstrumente auf einer empirischen Datenbasis auf ihre Wirkung und Wirksamkeit untersucht werden können. 

RKI: Fokussiert auf Infektionskrankheiten

Aus diesem Grund hat der Aufbau des BIPAM auch Einfluss auf Arbeit und Aufgaben des Robert Koch-Instituts: Das RKI soll sich zukünftig auf Infektionskrankheiten fokussieren und wird dazu Teile seiner bisherigen Arbeit – insbesondere in der Epidemiologie – an das neue BIPAM abgeben. Ein Teil der derzeit 1500 RKI-Mitarbeiter wird daher zum neuen Institut wechseln. Wesentliche Aufgaben des RKI bleiben die internationale Kooperation bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten, die Public-Health-Forschung, die Sicherung der Surveillance von Infektionen mit der Erreger-Charakterisierung und Krisenreaktionsfähigkeit, die Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen sowie die Kooperation mit dem BIPAM zur Erforschung von Risikofaktoren wie etwa sozioökonomische Einflussfaktoren. 

Neuer Präsident des RKI wird Professor Lars Schaade, der das RKI seit dem Ausscheiden von Professor Lothar Wieler im April dieses Jahres kommissarisch geleitet hatte. Der habilitierte Arzt für Medizinische Mikrobiologie und Virologie arbeitet unter anderem als Referatsleiter "Übertragbare Krankheiten, AIDS und Seuchenhygiene" im Bundesgesundheitsministerium und ist seit 2011 Vizepräsident des RKI.