Nöte der Notaufnahme: überlastet und unterfinanziert

Dr. Dominik Pförringer, Unfallchirurg und Orthopäde sowie DRG-Beauftragter an der Universitätsklinik München, Rechts der Isar zu den Nöten der Notaufnahmen. esanum: Herr Dr. Pförringer, was fällt Ihnen zum Stichwort “Brennpunkt Notaufnahme” als erstes ein?

Dr. Dominik Pförringer, Unfallchirurg und Orthopäde sowie DRG-Beauftragter an der Universitätsklinik München, Rechts der Isar zu den Nöten der Notaufnahmen.

esanum: Herr Dr. Pförringer, was fällt Ihnen zum Stichwort “Brennpunkt Notaufnahme” als erstes ein?

Dr. Pförringer: Neben der exzellenten Arbeit, die die Kollegen dort jeden Tag rund um die Uhr verrichten – die enorme Zunahme der Patientenzahlen, zuletzt zwischen vier und neun Prozent. Wir kommen bundesweit jährlich auf circa 21 Millionen Behandlungsfälle, ungefähr 11 Millionen davon bleiben ambulant.  Nur 10 bis 20 Prozent der Patienten kommen mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Es gibt also eine hohe Zahl ambulant-sensitiver Krankenhausfälle, die durch effektive Versorgung sowie durch solide Information potenziell vermieden werden könnten.

esanum: Was sind die Ursachen der Patientenzunahme?

Dr. Pförringer: Zunächst einmal der demografische Wandel – wir werden immer älter –  und die daraus resultierende erhöhte Morbidität. Darüber hinaus gibt es aber eine Häufung von Bagatellfällen, die in die Notaufnahmen strömen, weil es Defizite in der präklinischen Versorgung gibt. Hinzu kommt eine falsche Vorstellung von allgemeinärztlicher Notfallversorgung in der Bevölkerung, dies wird oft nur mangelhaft kommuniziert.

Dr. Dominik Pförringer – Unfallchirurg und Orthopäde sowie DRG-Beauftragter an der Universitätsklinik München.

esanum: Welche Probleme ergeben sich daraus?

Dr. Pförringer: Die Ressourcen der Notaufnahmen werden durch Bagatellfälle gebunden. Das gefährdet die Versorgung von lebensbedrohlich erkrankten Patienten. Die diagnostischen Möglichkeiten in der Notaufnahme zum Ausschluss von Haftungsrisiken werden strapaziert und dies alles zusammen führt zu einer enormen Kostensteigerung. Der Patient bemerkt zudem eine deutliche Zunahme der Wartezeiten.

esanum: Die Kostenfrage ist ja in der Notaufnahme ohnehin mit einigen Besonderheiten verbunden.

Dr. Pförringer: Insbesondere ist sie schwer planbar. Wir können statistische Daten immer nur retrospektiv beschreiben. Eine gleichmäßige Auslastung des Personals ist unmöglich, aber die Vorhaltekosten sind trotzdem hoch – es muss ja die Bereitschaft für täglich 24 Stunden gewährleistet sein. Hinzu kommen Fixkosten für Gebäude, Infrastruktur und medizinische Geräte. Qualitätsparameter für eine effektive Krankenhausorganisation sind die Versorgungszeiten – aber die werden in Deutschland bisher nicht zentral erfasst.

esanum: Sind die Notaufnahmen ein Verlustgeschäft?

Dr. Pförringer: Das kann man leider so sagen. Es gibt einen Fehlbetrag von einer Milliarde Euro in der ambulanten Notfallversorgung.

esanum: Wie errechnen Sie diesen Betrag?

Dr. Pförringer: Die Vergütung der ambulanten Notfallbehandlung beträgt je nach Art der Klinik sowie Bundesland 33 bis ca. 60 Euro pro Fall. Die Fixkosten belaufen sich aber pro Fall auf mehr als 100 Euro. Das heißt schlicht: jeder Patient beschert uns einen Verlust.

esanum: Wo entstehen eigentlich während der ambulanten Versorgung die höchsten Kosten?

Dr. Pförringer: 80 Prozent innerhalb der Notaufnahme – davon 33 Prozent für ärztliche Dienste, 33 Prozent für Pflege- und Funktionsdienste, 25 Prozent für Infrastrukturkosten, der Rest sind medizinische Sachkosten. Daneben entstehen 13 Prozent der Kosten bei radiologischen Untersuchungen und 5 Prozent bei der Labordiagnostik.

esanum: Wie stellen Sie sich eine Verbesserung der ökonomischen Grundlagen für die Notfallversorgung vor?

Dr. Pförringer: Die Deutsche Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall– und Akutmedizin fordert eine gesundheitspolitische Neubewertung der Notfallversorgung, eine kostendeckende Notfallpauschale für die ambulante Notfallversorgung im Krankenhaus und bis dahin eine kurzfristige Übergangslösung. Bei teilstationären und kurzstationären Aufenthalten muss es eine Abrechnung nach Diagnosis Related Group (DRG) geben. Zudem sollten Patienten, die keinen akuten Notfallbedarf aufweisen, bitte anderweitige Versorgungswege wählen.

esanum: Und die organisatorische Entlastung der Notaufnahmen?

Dr. Pförringer: Hilfreich sind die so genannten Portalpraxen als zentrale Anlaufstelle für Notfallpatienten. Hier kann eine standardisierte Einschätzung des Behandlungsbedarfs des Patienten und seine Weiterleitung in die nächste angemessene Versorgungsstruktur erfolgen. Zusätzlich ist es notwendig, dass die Kassenärztliche Vereinigung eine nachgeschaltete Versorgungsstruktur für nicht-lebensbedrohliche Fälle integriert. Ziel muss es sein, flächendeckend Notfallpraxen in oder nahe bei den Klinken zu schaffen. Und nicht zuletzt: Moderne IT-Systeme können den Zeitaufwand für Dokumentation und Kommunikation deutlich reduzieren. Die Verwaltungsaufgaben sind die größten Zeitfresser in den Kliniken. Die für Bürokratie aufgewendete Zeit fehlt bei der Patientenversorgung.