Pneumologie-Kongress: Klinik-Chef sieht sich gegenüber Niedergelassenen benachteiligt

Wirtschaftlichkeit oder Selbstschussanlagen entlang der Sektorengrenze? Bei der „Qualität und Wirtschaftlichkeit“ der Versorgung geht es ums Eingemachte. Das wurde auch im entsprechenden Symposium beim DGP-Kongress deutlich.

Wirtschaftlichkeit oder Selbstschussanlagen entlang der Sektorengrenze? Bei der "Qualität und Wirtschaftlichkeit" der Versorgung geht es ums Eingemachte. Das wurde auch im entsprechenden Symposium beim DGP-Kongress deutlich.

Freitagmorgen, der große Saal ist vielleicht zur Hälfte gefüllt. Ganze 14 Symposien buhlen zeitgleich um die Aufmerksamkeit der Besucher beim 58. Kongress der DGP in Stuttgart. Das Thema dieses Symposiums lautet genauso wie das Motto, das die Pneumologie-Fachgesellschaft ihrer Jahreshauptveranstaltung in diesem Jahr verpasst hat: "Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Pneumologie".

Spannendes, da existenzielles Thema

Klingt vielleicht etwas spröde und abgegriffen, ist aber spannend, da höchst aktuell und höchst relevant, wenn es um die künftige Existenz der sogenannten Leistungserbringer in der Gesundheitsversorgung geht. Davon ist in der gegenwärtigen gesundheitspolitischen Lage besonders der stationäre Bereich betroffen, der ambulante Bereich aber auch – schon jetzt und wohl noch mehr in nicht allzu ferner Zukunft.

Dementsprechend sitzen im Publikum nicht nur Klinikangestellte in mehr oder weniger leitender Funktion, sondern auch einige Niedergelassene. Das zeigt sich vor allem bei der abschließenden Fragerunde zum letzten Vortrag, auf den wir hier kurz eingehen wollen. Der Titel der Präsentation: „Wirtschaftlichkeit entlang der Sektorengrenze ambulant/stationär am Beispiel der Pneumologie“. Der Referent: Dr. Uwe Gretscher, Vorstandsvorsitzender der Kliniken Südostbayern AG, einer gemeinsamen kommunalen Krankenhausträgergesellschaft der Landkreise Traunstein und Berchtesgadener Land.

"Nur die Selbstschussanlagen fehlen" – tatsächlich?

"Der Begriff 'Sektorengrenzen' ist immer noch zutreffend, nur die Selbstschussanlagen fehlen", meinte Gretscher zu Beginn seiner Darstellung. Aus der politischen Landschaft der ehemals geteilten Republik sind die Sektorengrenzen heute schon lange verschwunden, im Gesundheitswesen aber nach wie vor fest etabliert.

Gretscher war 10 Jahre lang klinisch tätig, "auch mal als Niedergelassener", bevor er sich vom Arzt zum Krankenhaus-Betriebswirt "weiterentwickelte" (O-Ton des Symposiumsvorsitzenden und Kongresspräsidenten Prof. Martin Hetzel, Stuttgart). Als solcher ist er nun seit ebenfalls 10 Jahren im Klinikmanagement tätig. Er hat einige aus ambulanter Sicht disputable, um nicht zu sagen provozierende Thesen mit im Gepäck.

Strukturqualität gut, Ergebnisqualität schwer definierbar, Prozessqualität problematisch

Die Strukturqualität in Deutschland ist gut, die Ergebnisqualität dagegen schwierig zu definieren. „Mit ihr kann man nicht gewinnen“, sofern nicht die nötige Transparenz geschaffen wird. Diese Einschätzungen Gretschers dürften die meisten seiner Kollegen teilen. Für den Klinikmanager hat deshalb die Prozessqualität die größte Bedeutung, die seiner Meinung nach noch zu wenig beachtet wird: "Hier werden viele Ressourcen verbraten."

Eigentlich müsste nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot in § 12 SGB V die Hälfte der Krankenhäuser geschlossen werden, da sie defizitär arbeiten. (Gretschers Hinweis am Rande: Gemäß § 39 SGB V entscheidet der aufnehmende Arzt über die Begründung der stationären Aufnahme, nicht der MDK. „Es muss nur gut dokumentiert werden.“)

"Ausreichend Geld im System", aber fehlallokiert

Dennoch ist sich Gretscher sicher, dass "ausreichend Geld im System" sei. Es werde aber halt einerseits in Prozessmängeln verschwendet und andererseits unfair zwischen ambulant und stationär verteilt. Beispiel COPD und Asthma: Während sich niedergelassene Pneumologen bei der quartalsweisen Kontrolle der Patienten in Routine und hoher Planungssicherheit wähnen könnten, gingen die "schwereren" Fälle stationär. Das Krankenhaus trage dann das finanzielle Risiko, da eine Refinanzierung der Behandlung über die DRG-Abrechnung keinesfalls gesichert ist.

Gretscher stellt deshalb infrage, ob die Chancen und Risiken der Leistungserbringung gleichverteilt sind. Und noch etwas provozierender: "Wo ist die Risikoaffinität im ambulanten Bereich? Kennen Sie eine ambulante Qualitätssicherung?" (Reaktionen aus dem Publikum: Hinweise auf Qualitätszirkel, Peer-Review-Verfahren und Qualitätssicherungsmaßnahmen etwa bei der Blutgasanalyse und in der Radiologie.) Im Gegensatz zur wirtschaftlichen Situation im stationären Bereich gehe es den niedergelassenen Pneumologen als viertbestverdienende Facharztgruppe durchweg gut.

Zunehmende Ambulantisierung der Polysomnographie

Kritik übt der Unternehmenschef auch an der zunehmenden Ambulantisierung der Polysomnographie, die stationäre Leistungserbringer nun über ambulante KV-Ermächtigungen durchführen sollen. Während Letztere auf widerruflicher Basis erfolgen und damit keine langfristige Absicherung bedeuten, muss die Klinik eine kostenintensive Infrastruktur vorhalten. Mit Zahlenbeispielen zweier eigener Standorte veranschaulicht Gretscher die Vergütungsunterschiede: defizitär über die vorstationäre Vergütung gemäß Landesvereinbarung, profitabel über die ambulante Vergütung via KV-Ermächtigung.  

Die Aufrechterhaltung der Sektorengrenzen kostet viel Geld, hinzu kommt noch so mancher regulatorische Unsinn der Selbstverwaltung. Die systemische Trennung bewirkt einen Mangel an Kooperationsanreizen und führt stattdessen zu einem "Wettrüsten" zwischen den Sektoren. "Wo nutzen wir die Dinge gemeinsam?", fragt sich Gretscher.

Das MVZ sei in dieser Hinsicht an sich sinnvoll, aber in der praktischen Umsetzung sehr mühsam. Dagegen bekomme das Krankenhaus Mietanfragen für die Durchführung von Heimbeatmung und Wohngruppen in der Altenpflege. "Das muss unglaublich profitabel sein", so der Klinikmanager.

Wie wichtig eine stabile wirtschaftliche Grundlage ist, wird auch am Beispiel der Digitalisierung deutlich. Ihr Schnittstellenpotenzial ist zweifelsohne extrem hoch. "Aber welches Krankenhaus kann in die Digitalisierung investieren?"

Doppelte Facharztschiene: Mehrkosten bei schlechterem Outcome?

Die Chancen der intersektoralen Vernetzung sind ebenso evident wie die Notwendigkeit der sektorenübergreifenden Patientenversorgung. Gretscher listet die bekannten Punkte auf, wie etwa die Bündelung der Expertisen und die Vermeidung von Informationsverlusten und Doppeluntersuchungen. Aus seiner Sicht erfordert das die Überwindung der doppelten Facharztschiene, die eine massive Fehlallokation der Ressourcen und Mehrkosten für das Gesundheitssystem verursache.

Und das bei gleichzeitig schlechterem Outcome, wie der Blick über den Tellerrand nach Finnland zeige. In dessen staatlich organisiertem Gesundheitssystem ohne Niedergelassene und freie Arztwahl liegen die Mortalitätsraten bei Atemwegserkrankungen nach OECD-Angaben deutlich niedriger.

In der Kooperation liegt die Zukunft – und wie weit weg?

"In Zukunft sollte die fachärztliche Versorgung nur noch über das Krankenhaus laufen", sagt Gretscher. Gleichzeitig betont der Klinikmanager unter Verweis auf die gelebte Realität im eigenen Versorgungsalltag: "Ich bin ein Fan von Kooperationen mit Niedergelassenen." An diese Botschaft ließe sich anknüpfen, doch angekommen ist sie bei den ambulanten Kollegen vermutlich nicht mehr. Kommentar eines Niedergelassenen, der abschließend ans Mikrofon tritt: "Jetzt weiß ich, warum die Sektorgrenzen für uns so wichtig sind."

Referenz:

Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Pneumologie. Messestadtsymposium beim 58. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Stuttgart, 24. März 2017.