Beatmungs-WGs ermöglichen Intensivpflege auch außerhalb von Kliniken

Wer zeitweise oder dauerhaft beatmet werden muss, kann einerseits recht normal leben. Andererseits ist die Versorgung hochkomplex, die Abhängigkeit von der Technik enorm. Jenseits von Intensivstati

Wer zeitweise oder dauerhaft beatmet werden muss, kann einerseits recht normal leben. Andererseits ist die Versorgung hochkomplex, die Abhängigkeit von der Technik enorm. Jenseits von Intensivstationen gibt es aber Betreuungsalternativen – endlich auch im Südwesten.

Sehr hell, sehr neu, sehr modern. Die Fünf-Zimmer Wohnung in Pforzheim sieht aus wie viele andere, mit offener Küche und Wohnzimmer samt sehr großem Fernseher. Alles ganz normal. Das soll auch so sein – und doch: Die Bewohner sind ein bisschen anders. In ihrem Hals steckt eine Art weißer Pfropf aus Plastik, es sieht fremd aus, ein wenig beängstigend auch. Die Vorrichtung direkt unter dem Kehlkopf ist eine sogenannte Trachealkanüle. Die Menschen, die hier leben, atmen durch diese Kanüle, die direkt zur Luftröhre führt. Nachts werden sie – je nach Krankheitsbild – an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Die Wohngemeinschaft ist eine sogenannte Beatmungs-WG.

Platz ist dort für fünf Menschen; zwei Frauen leben schon dort. Ein Mann zieht demnächst ein, zwei weitere Bewohner sollen folgen. Sie alle eint: eine Krankheit oder eine Behinderung oder ein schwerer, etwa mit Querschnittslähmung verbundener Unfall, der die normale Atmung unmöglich macht und eine mindestens teilweise Beatmung erfordert. Die Patienten brauchen zwar Betreuung rund um die Uhr, sind aber nicht oder längst nicht mehr krank genug, um auf Intensivstationen betreut zu werden.

Noch bis Mitte der 1990er Jahre gab es für solche Patienten nur die Möglichkeit der Versorgung stationär in Pflegeheimen. Im Heim leben – schrecklich fand Hannelore Krause das. Die 65-Jährige ist von ihrer bronchitischen Erkrankung zwar schwer gezeichnet, regelmäßig muss ihre Kanüle abgesaugt werden, sonst würde sie ersticken. Nachts kommt sie an die Maschine. Aber sonst ist Krause fit. Sie will kochen. Sie will reden. Sie will selbstständig sein. “Im Heim lebte ich unter Demenzkranken, das war schlimm”, sagt sie.

Wohngemeinschaften, die für Beatmungspatienten eine außerklinische Intensivbetreuung anbieten, gibt es bundesweit immer häufiger. Denn der Bedarf wächst. Die Deutsche interdisziplinäre Gesellschaft für außerklinische Beatmung (Digab) geht von bundesweit rund mindestens 15 000 Menschen mit sogenannter invasiver Beatmung aus. “Fest steht, dass ihre Zahl jährlich um 20 bis 25 Prozent ansteigt”, sagt Digab-Sprecherin Maria Panzer.

Grund dafür ist neben den immer älter werdenden Menschen auch die höhere Überlebensrate mit schweren Krankheiten oder nach Unfällen. Auch spezielle Einrichtungen für beatmete Kinder und Jugendliche gibt es inzwischen: In Baiersbronn (Kreis Freudenstadt) eröffnete jüngst das Haus “Luftikus” mit zehn Plätzen für Kinder und Jugendliche zwischen 0 und 18 Jahren; in Kusterdingen bei Tübingen gibt es bereits eine solche Einrichtung.

In den Intensivstationen der Krankenhäuser kostet ein Beatmungspatient die Kassen schnell an die 25 000 Euro im Monat; auch die Eins-zu-eins-Betreuung zu Hause durch Pflegekräfte rund um die Uhr ist enorm teuer. Beatmungs-Wohngemeinschaften sind laut Digab mit Tagessätzen um die 240 Euro oft weit günstiger als an Krankenhäuser angeschlossene Beatmungs-Stationen. Und sie sind eine von den Betroffenen oft bevorzugte Alternative, selbstständig zu leben und doch 24 Stunden betreut zu sein. Bayern und Nordrhein-Westfalen waren dank entsprechender Gesetzgebung Vorreiter bei dieser Wohnform. Baden-Württemberg war – mit Thüringen – Schlusslicht.

Wie viele solcher WG es bundesweit gibt, ist nach Digab-Angaben unbekannt. Sie unterteilen sich in die von einem Pflegedienst geführten Wohngemeinschaften und die Wohngemeinschaften, die nicht an einen Pflegedienst gebunden sind, sondern diesen selbst wählen. “Hunderte Pflegedienste, die außerklinische Intensivpflege anbieten, tummeln sich auf dem Markt”, sagt Jörg Brambring, der selbst einen Pflegedienst führt. Einheitliche Standards aber gebe es leider nicht.

Das beklagt auch der Bundesverband privater Anbieter für Soziale Dienste (bpa). “Wir versuchen seit Jahren, mit den Krankenkassen solche Standards für Intensivpflege festzulegen”, sagt bpa-Geschäftsführer Bernd Tews. “Aber die Krankenkassen legen darauf keinen Wert.” Ein Stundensatz von mindestens 40 Euro sei erforderlich für eine qualifizierte Pflegekraft. Gezahlt werde im Bundesschnitt zwischen 32 und 38 Euro – oft auch weit darunter.

Inzwischen ist Maria-Cristina Hallwachs in der Pforzheimer WG angekommen, um sich umzusehen. Die 38-Jährige Stuttgarterin ist kinnabwärts komplett gelähmt, muss seit 20 Jahren beatmet werden. Warum? Sie antwortet nur kurz; sie hat es schon so oft erzählt. “Ins Becken gesprungen”, sagt sie, mit 18, da hatte sie gerade Abitur gemacht. Auch sie trägt die Trachealkanüle, atmet tagsüber über einen Zwerchfellschrittmacher und muss nachts an die Maschine.

Sie spielt erfolgreich Theater, ist auch in der Öffentlichkeit bekannt, berät viele Betroffene. Nach Pforzheim ist sie gekommen, weil sie gerne auf dem Laufenden ist; vielleicht ist eine Beatmungs-WG irgendwann eine Möglichkeit des Wohnens für sie. Brambring, dessen Pflegedienst die WG betreut, betont: “Das hier ist kein Hospiz. Hier wohnen Menschen, die mitten im Leben stehen.”

Text und Foto: dpa /fw