Fehlende Nationale Diabetes-Strategie: “Ein Armutszeugnis für Deutschland”

Die Anzahl der Diabetes-Patienten wird sich in den kommenden Jahren in Deutschland deutlich erhöhen. Vor allem Prävention müsse deshalb eine größere Rolle spielen, so Experten. Die Zahl der übergew

Die Anzahl der Diabetes-Patienten wird sich in den kommenden Jahren in Deutschland deutlich erhöhen. Vor allem Prävention müsse deshalb eine größere Rolle spielen, so Experten.

Die Zahl der übergewichtigen Menschen weltweit war noch nie so hoch wie derzeit. Im Jahr 2014 gebe es auf der Welt rund 641 Millionen adipöse Menschen – mehr als sechs Mal so viele wie in den 70er Jahren – so eine Studie der NCD Risk Factor Collaboration, die in der Fachzeitschrift „Lancet“ erschienen ist. Adipositas hat unmittelbare Auswirkungen auf das individuelle Diabetes-Risiko. Genauer gesagt gilt ein Bauchumfang von 88 Zentimetern bei Frauen und 102 Zentimetern bei Männern als erhöhtes Risiko zu erkranken.

Die “Deutsche Diabetes-Hilfe diabetesDE” hatte anlässlich des Weltgesundheitstages am 7. April zu einer Pressekonferenz eingeladen, um das Bewusstsein für die Risiken dieser Erkrankung zu schärfen. Die präsentierten Zahlen lassen am Ende vor allem die Frage offen, warum es keine Nationale Diabetes-Strategie gibt. “Ein Armutszeugnis für Deutschland”, nannte das Professor Thomas Danne, Vorstandsvorsitzender von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe und Chefarzt am Kinderkrankenhaus Auf der Bult in Hannover. Ein Plan läge längst in der Schublade. “Warum dieser nicht umgesetzt wird, ist völlig unverständlich”, so Danne. Die fehlende Implementierung überrascht umso mehr, da auch bei der Politik die Zahlen von rund 6,7 Millionen Diabetes-Patienten (Robert Koch-Institut) in Deutschland und einer Dunkelziffer von circa zwei Millionen Menschen, die ebenfalls erkrankt sind, es aber noch nicht wissen, längst angekommen sind.

Dietrich Monstadt, Mitglied des Deutschen Bundestages für die CDU/CSU-Fraktion und Vertreter im Ausschusses für Gesundheit, sprach gar von einem “Diabetes-Tsunami”, der auf Deutschland zurolle. Er attestiert der Versorgung der Patienten in Deutschland zwar ein hohes Niveau, sprach aber auch von 20 Millionen möglichen Diabetikerinnen und Diabetikern bis 2025, was Dipl.-Med. Ingrid Dänschel, stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes e.V., zu der Aussage motivierte “Das möge der liebe Gott verhindern”. Einig waren sich alle Teilnehmer, dass eine Nationale Diabetes-Strategie nun endlich kommen müsse. Dabei soll es sich um ein nationales Gesamtkonzept handeln, das sowohl Präventionsmaßnahmen, Früherkennungsmethoden als auch Behandlungsoptionen aufzeige und damit über die Leitlinien hinausgeht. Vor allem soll eine derartige Strategie ein Ziel definieren, wo die Reise bei dieser Stoffwechselerkrankung eigentlich hingehen solle.

Mangel an aktuellen Zahlen der Kosten von Diabetes

Bisher scheint bei den Kosten für das Gesundheitswesen ein Mangel an verlässlichen Zahlen vorzuliegen. Beispielsweise werden noch Zahlen von 2001 verwendet, die Kosten für das Gesundheitssystem von 35 Milliarden aufführen. Neuere Studien von 2009 gehen von 48 Milliarden Euro aus. 21 Milliarden Euro seien direkte Diabetes-Zusatzkosten, so Zahlen von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe. Aufgrund einer stetig steigenden Zahl von Diabetes-Patienten dürften die Kosten bereits jetzt deutlich höher liegen. Professor Baptist Gallwitz, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), bezifferte die direkten Kosten für Medikamente, ärztliche Leistungen, stationäre Behandlungskosten und Hilfsmittel auf rund 542 Euro pro Patient pro Jahr. Bei Komplikationen und Begleiterkrankungen würden diese sich auf durchschnittlich 1.965 Euro pro Patient erhöhen resultierend vor allem aus stationären Krankenhausaufenthalten und zusätzlichen Medikamenten. Bei Folgeerkrankungen und eventueller Arbeitsunfähigkeit würden sie sogar auf circa 3.835 Euro steigen.

Für Professor Thomas Danne ist klar, dass mehr für die Prävention und eine frühere Diagnosestellung getan werden müsse, um diese hohen Kosten zu senken. “Im Verdachtsfall sollte der behandelnde Arzt daher einen HbA1c-Test durchführen, der Aufschluss über den Langzeit-Blutzuckerverlauf der letzten acht bis zehn Wochen gibt.” Außerdem macht er sich für eine Ausweitung des “Gesundheits-Check 35” zum “Gesundheits-Check 35 plus D (Diabetes)” mit einer Erweiterung um den Langzeitblutzuckertest stark. Den Gesundheits-Check 35 zahlen die Krankenkassen bereits jetzt ab 35 Jahren. Im Durchschnitt dauert es fast zehn Jahre bis Diabetes nach Ausbruch erkannt wird.

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Text: V. Thoms

Foto: kurhan / Shutterstock