Luftretter sind startklar für alle Notfälle

Der Rettungshubschrauber “Christoph Gießen” hebt Hunderte Male im Jahr ab, um schwer kranken und verletzten Menschen zu helfen.

Der Rettungshubschrauber “Christoph Gießen” hebt Hunderte Male im Jahr ab, um schwer kranken und verletzten Menschen zu helfen. Dafür muss rund um die Uhr ein eingespieltes Team einsatzbereit sein.

Ein riesiges weißes “H” auf Asphalt weist den Rettungsfliegern das Ziel. Ihr Hubschrauber geht in eine steile Kurve, umrundet das Blau eines Freibades und setzt langsam zwischen Häusern und Discount-Markt auf dem Hof der Feuerwehr in Rüdesheim auf. Noch während die Triebwerke dröhnen und sich die Rotorblätter drehen, springt Rettungsassistent Peter Becker aus der Maschine. Es ist der erste Einsatz für die Crew von “Christoph Gießen” an diesem Tag, von dem sie wie immer nicht weiß, was er alles bringen mag.

Ein Unfall auf der Autobahn. Ein Herzinfarkt in der Provinz. Und vor allem die Verlegung Schwerstkranker in Spezialkliniken oder Reha – das sind die Einsätze, zu denen der Intensivtransporthubschrauber der Johanniter Luftrettung gerufen wird. Weil er mehr Medizintechnik an Bord hat als normale Rettungshubschrauber, kann er zu Notfällen ebenso ausrücken wie zu den heiklen Patiententransporten. “Er ist wie eine fliegende Intensivstation”, sagt Günther Lohre, der Geschäftsführer der Johanniter Luftrettung in Gießen.

Darauf angewiesen ist an diesem Tag ein schwer kranker Mann um die 80. Er soll von Rüdesheim in die Reha nach Bad Wildungen kommen. Der Auftrag erreicht die Rettungsflieger gegen 8.30 Uhr an der Heimatbasis ihres Helikopters, dem Luftrettungszentrum Gießen. Der Alarm bedeutet das Aus für den Frühstückskaffee von Rettungsassistent Peter Becker (32), Notarzt Martin Heinrich (38) und Pilot Chris Bauer (60).

Das Team geht sofort in den Flugvorbereitungsraum. Dort informiert sich Mediziner Heinrich über den Gesundheitszustand des Patienten, Pilot Bauer checkt die Wetterdaten und ruft im Internet Luftaufnahmen von Rüdesheim auf. “Vor dem Start schauen wir uns auch auf Google Maps den Landeplatz an, um mögliche Gefahrenpunkte zu identifizieren”, erläutert Bauer.

600 bis 700 Einsätze fliegt “Christoph Gießen” pro Jahr, in Hessen, Rheinland-Pfalz und bundesweit. Zur ständig einsatzbereiten Besatzung gehören ein Notarzt und Rettungsassistent sowie der Pilot – nachts ist das Cockpit mit zwei Mann besetzt. Der Heli ist Hessens einziger Rettungshubschrauber, der nachts starten darf, wie Lohre sagt. Am Boden halten kann ihn allerdings schlechtes Wetter ohne Sicht.

An diesem Tag spielt das Wetter mit. “Christoph Gießen” fliegt über Felder, Wälder und die Staus auf den Autobahnen 5 und 3 hinweg. Bei Verlegungen von Patienten sei man einfach schneller, sagt Becker. “Ein Notarzt am Boden wäre ja viel länger für so einen Verlegungs-Einsatz gebunden.” Rund 200 Kilometer sind es auf dem Landweg von Rüdesheim nach Bad Wildungen. Der Helikopter braucht Luftlinie nur eine gute halbe Stunde.

In Rüdesheim nehmen Kollegen des Deutschen Roten Kreuzes die Gießener in Empfang. Sie fahren die Crew und ihr medizinisches Gerät mit einem Krankenwagen in die Klinik, denn die hat keinen eigenen Hubschrauber-Landeplatz. Dort fassen alle mit an, um den Patienten aus seinem Bett und auf die Trage der Luftretter zu hieven.

Mit dem Wagen geht es zurück zum Hubschrauber – eine logistische Herausforderung, weil der Patient an verschiedene medizinische Geräte angeschlossen ist und überall Schläuche sind. Notarzt Martin Heinrich erklärt: “Man muss jetzt pedantisch sein. Wir müssen darauf achten, dass nichts hinunterhängt, was sich verfangen kann, dass wir alles dabei haben, was wir in der Luft benötigen.”

Im Hubschrauber bekommt der Patient einen Hörschutz aufgesetzt, weil es in der Maschine laut ist. Trotzdem: “Der Transport mit dem Hubschrauber ist für Intensivpatienten schonender”, sagt Becker. Nicht nur erreicht der Heli schnell das Ziel, er kann Patienten auch Erschütterungen ersparen, denen sie im Krankenwagen ausgesetzt wären.

Noch während sich die Rettungsflieger um den alten Mann kümmern, erreicht sie der nächste Auftrag: Sie sollen im Anschluss eine Frau mit schwersten Halswirbelsäulenverletzungen vom Kreiskrankenhaus Frankenberg in die Marburger Uni-Klinik bringen. Es sind nur wenige Minuten Flug von Bad Wildungen nach Frankenberg. Schon packen Martin Heinrich und Peter Becker ihre Trage und Technik aus, um die Frau abzuholen. Nicht lange und der Pilot kann den Hubschrauber wieder starten. An eine Pause und ein Mittagessen für die eingespielte Besatzung ist nicht zu denken.

Diesmal kann die Crew auf dem Dach der Marburger Uni-Klinik landen, wo Ärzte und Schwestern die Verletzte sicher in Obhut nehmen. Für das Flugteam geht es erneut weiter. Die Männer legen einen kurzen Zwischenstopp in Gießen ein, ehe sie einen Patienten von Aschaffenburg nach Neustadt an der Saale bringen. Und vielleicht müssen die Luftretter danach zu einem Unfall. Oder einem Herzinfarkt. Oder es passiert nichts, kein Patient braucht ihre Hilfe und die Crew bleibt am Boden. “Das ist ja das Schöne an unserem Beruf”, sagt Notarzt Heinrich. “Wenn wir nichts zu tun haben, geht es allen gut.”