Mainzer Mediziner unterstützt Benachteiligte

Nach Ankunft der vielen Flüchtlinge auf den Bahnhöfen hat er Ärzte zusammengerufen und eine medizinische Versorgung in den Unterkünften organisiert.

Nach Ankunft der vielen Flüchtlinge auf den Bahnhöfen hat er Ärzte zusammengerufen und eine medizinische Versorgung in den Unterkünften organisiert. Das gesellschaftliche Klima hat sich in einem Jahr geändert, aber der Mainzer Arzt packt weiter an.

Gerhard Trabert geht hin zu Menschen, die in Not sind. Ob in Kriegen wie auf dem Balkan und in Afghanistan oder bei Naturkatastrophen wie dem Tsunami in Sri Lanka (2004) und dem Erdbeben in Haiti (2010) – der Mainzer Notfallmediziner macht sich auf den Weg. Im April hat er Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze in Idomeni verarztet, in diesem Monat bei der Rettung von Flüchtlingen in Mittelmeer geholfen. Bei seiner Rückkehr warten schon Obdachlose in Mainz darauf, dass er ihre Wunden versorgt.

Der Arzt und Professor für Sozialmedizin redet eher beiläufig darüber. Aber die Augen des 60-Jährigen fangen an zu blitzen, wenn er von Bürokraten spricht, die sein Engagement behindern, von Politikern, die nichts unternehmen, um Unrecht zu mindern. Ganz frisch ist noch die Enttäuschung, dass er die Stadt Mainz nicht zur Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge bewegen konnte.

Mainzer Mediziner unterstützt Benachteiligte

Als vor einem Jahr Tausende von Flüchtlingen über Ungarn auf den Bahnhöfen in Deutschland eintrafen, schrieb er Ärzte in der Region an, organisierte medizinische Hilfe in den Unterkünften. Heute betreibt sein Team eine regelmäßige Betreuung in sechs Heimen, seit kurzem auch eine Sprechstunde von Ärztinnen für geflüchtete Frauen.

Mit seinem Einsatz habe Trabert “herausragende Verdienste um das deutsche Gesundheitswesen und die Ärzteschaft erworben”, erklärte die Bundesärztekammer vor zwei Jahren bei der Verleihung ihrer Paracelsus-Medaille an den Mainzer Mediziner. Dabei nimmt Trabert schon mal in Kauf, wenn er bei der kostenlosen Versorgung von Flüchtlingen mit Standesbestimmungen in Konflikt gerät. “Es herrscht eine große Verunsicherung und Angst bei niedergelassenen Ärzten, Leistungen, die erbracht werden, nicht refinanziert zu bekommen”, beklagt er. Daher komme es immer wieder vor, dass Asylbewerber einfach weggeschickt würden.

“Ist das individuelles Versagen oder ist das strukturell gewollt?”, fragt Trabert. “Inzwischen entscheidet man sich in Deutschland momentan mehr für die Angst vor den Flüchtlingen, als dass man die Chancen und Ressourcen sieht, die mit den Menschen verbunden sind, die zu uns kommen.”

Die Begegnung mit Menschen in Not, das Bewusstsein für ihre “Gleichwürdigkeit” hat Trabert schon als kleiner Junge erfahren. Er wuchs in einem Waisenhaus in Mainz auf, wo sein Vater erst Hausmeister, dann Erzieher war. “Alle meine Spielkameraden hatten keine Eltern mehr und in der Schule wurden sie meistens schlechter behandelt”, erinnert er sich. “Ich fand das ungerecht, dass es mir so gut geht und ihnen so schlecht, und ich konnte als Kind nichts dagegen tun. Da habe ich mir gesagt: Als Erwachsener lasse ich Ungerechtigkeit nicht mehr zu.”

Über Hauptschule, Handelsschule und Fachabitur schaffte er es zum Studium der Sozialarbeit in Wiesbaden – an derselben Hochschule, an der er heute unterrichtet. Dazwischen lag ein Zweitstudium der Medizin, das er sich erst mit Hilfe eines Rechtsanwalts erklagen musste, und die Arbeit an mehreren Kliniken. In der Versorgung von Krebspatienten sei ihm bewusst geworden, dass die psychosoziale Betreuung in den starren Klinikstrukturen immer zu kurz komme.

In Indien erlebte er, wie die Ärzte in die Dörfer gingen, um dort vor Ort ihre Hilfe zu leisten. Dies wurde prägend für das “aufsuchende Konzept”, das Trabert vor 22 Jahren in der medizinischen Versorgung von Wohnungslosen umsetzte und nun auf die Behandlung von Flüchtlingen übertrug. Die wissenschaftliche Arbeit führte ihn zwischenzeitlich nach Nürnberg, wo er von 1999 bis 2009 Professor für Medizin und Sozialmedizin war.

Woher schöpft der vierfache Vater seine Kraft? “Im Team machen wir uns gegenseitig Mut, wenn wir wütend, verzweifelt oder melancholisch sind.” Geprägt habe ihn die Bergpredigt im Neuen Testament mit ihrer radikalen Nächstenliebe, auch wenn er sich heute von den Kirchen wesentlich mehr Klarheit und Engagement wünsche.

Und dann gibt es noch den Sport für den ehemaligen 400-Meter-Läufer, der 1975 mit der Staffel Vize-Europameister der Junioren war. “400 Meter sind eine besondere Strecke: Da muss man Durchhaltevermögen haben und bereit sein, an die eigenen Grenzen zu gehen.” Auch heute läuft Trabert an fünf Tagen in der Woche eine Dreiviertelstunde durch die Weinberge.

Durchhaltevermögen braucht Trabert auch bei einem neuen Projekt: Er will in Mainz eine erste kleine Armutsklinik aufbauen mit sechs bis acht Betten. “Ich habe immer gehofft, dass es bei einer umfassenden Regelversorgung nicht nötig sein wird, eine Armutsmedizin zu etablieren – aber der Trend geht in eine andere Richtung.”