Mordserie im Krankenhaus ist ein herausragender Fall

Im Krankenhaus fällt ein Mord scheinbar kaum auf – Sterben gehört hier zum Alltag. Ein Mord ist hier aber auch besonders schwer zu fassen. Wieso wird ein Pfleger zum Täter? Es ist der Alptrau

Im Krankenhaus fällt ein Mord scheinbar kaum auf – Sterben gehört hier zum Alltag. Ein Mord ist hier aber auch besonders schwer zu fassen. Wieso wird ein Pfleger zum Täter?

Es ist der Alptraum jedes Patienten: Ein Pfleger tötet in Delmenhorst immer wieder kranke Menschen – und lange wird niemand hellhörig. Am Landgericht Oldenburg hat der Mann 90 Taten gestanden, bis zu 30 Patienten sollen gestorben sein. Der Psychiater Prof. Karl H. Beine hat 36 Mordserien an Krankenhäusern untersucht. Was in den Tätern vorgeht, erläutert der Experte in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Frage: Der in Oldenburg angeklagte Ex-Pfleger will bis zu 30 Patienten getötet haben. Ist das verglichen mit anderen Fällen viel?

Antwort: Für deutsche Verhältnisse ist das schon eine herausragende Geschichte. Im internationalen Vergleich liegt sie aber eher im Durchschnitt. In den USA gibt es Fälle mit deutlich mehr Opfern.

Frage: Wieso wird ein Mensch, der Patienten helfen will, zum Mörder?

Antwort: Diese Menschen ergreifen oft einen helfenden Beruf, um sich selbst besser zu fühlen. Sie haben – wie in diesem Fall auch – hohe Ideale. Gleichzeitig sind sie mit einem geringen Selbstwertgefühl ausgestattet. Durch die Arbeit wollen sie sich selbst aufwerten und Anerkennung bekommen. Doch sie werden zwangsläufig enttäuscht. Die pflegerische Arbeit ist belastend. Sie wird nicht gut bezahlt. Dadurch kommt eine Abwärtsspirale in Gang: Das fremde Leiden wird zum eigenen Leiden. Am Ende eines langen Prozesses tötet der Mensch einen anderen, damit es ihm selbst bessergeht.

Frage: Mehr als zwei Jahre lang soll der Ex-Pfleger Patienten getötet haben – und ist dabei immer unvorsichtiger geworden. Wieso hat es so lange gedauert, bis die Mordserie aufgefallen ist?

Antwort: In diesem Beruf ist es geradezu unvorstellbar, dass ein Kollege Patienten tötet statt ihnen zu helfen. Außerdem gibt es Aufdeckungsbarrieren in den Krankenhäusern. Das war auch in diesem Fall so, dass es Gerede über den Angeklagte gab, dass er bestimmte Spitznamen hatte. Man ahnte, dass etwas nicht stimmte. Auch dass der Medikamentenverbrauch überproportional gestiegen ist, war ein Warnsignal. Trotz konkreter Hinweise wurde nicht reagiert. Da sehe ich eindeutig Versäumnisse.

ZUR PERSON: Der Psychiater Prof. Karl H. Beine ist Lehrstuhlinhaber an der Privaten Universität Witten/Herdecke und Chefarzt am St.- Marien-Hospital Hamm.

Text und Foto: dpa /fw