“Polemik bei der Kritik am Merkblatt zum Mammografie-Screening”

Interview mit Dr. Klaus Koch, Leiter des Ressorts Gesundheitsinformation beim IQWiG, über Verbesserungen des Merkblatts und dessen Nutzen für betroffene Frauen.

Interview mit Dr. Klaus Koch, Leiter des Ressorts Gesundheitsinformation beim IQWiG, über Verbesserungen des Merkblatts und dessen Nutzen für betroffene Frauen.

Anfang des Jahres hat das IQWiG im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses ein Merkblatt zum Mammografie-Screening erarbeitet. Es sollte Patientinnen besser aufklären und eine Entscheidungshilfe für oder gegen die Teilnahme am Screening sein. Für den ersten Entwurf gab es Kritik  – vor allem aus der Ärzteschaft. Nun liegt das überarbeitete Papier vor.

esanum: Herr Dr. Koch, war die Kritik hilfreich? Konnten die fraglichen Punkte ausgeräumt und korrigiert werden?

Dr. Klaus Koch – Leiter des Ressorts Gesundheitsinformation beim IQWiG

Koch: Das Niveau der Kritik war unterschiedlich. Wir haben den Entwurf ja als sogenannten Vorbericht veröffentlicht, weil wir an Stellungnahmen interessiert waren. In den Stellungnahmen gab es dann zwar auch Polemik. Es überwog aber die konstruktive Kritik mit einigen kleineren und größeren Verbesserungsvorschlägen, die wir auch umgesetzt haben. Die verwertbaren Stellungnahmen  und deren Umsetzung haben wir in unserem Abschlussbericht auf IQWiG.de dokumentiert, sodass sie jeder nachlesen kann. Und dann gab es noch die ein oder andere, ziemlich aggressive Stimme in Blogs und Internetforen. Das muss man heute wohl aushalten. Aus dieser Szene kam aber kein einziger hilfreicher Hinweis.

esanum: Ein Vorwurf war, dass Sie falsche Fallzahlen verwendet hätten, wurden diese nun korrigiert – so dass jetzt deutlicher wird, wie viele Brustkrebs-Patientinnen beim Screening detektiert werden?

Koch: Ich weiß nicht, worauf diese Behauptung beruhte. In den Stellungnahmen kam dieser Vorwurf nicht, im Gegenteil: Unsere Darstellung der Fallzahlen wurde bestätigt. Die Grafik dazu wurde als sehr gut bewertet.

esanum: Haben Sie die angesprochene Altersgruppe weiterhin konkret auf 50 bis 69 Jahre eingegrenzt?

Koch: Das ist ganz einfach: Die Materialen werden im deutschen Mammographie-Programm eingesetzt. Und in diesem Programm erhalten Frauen zwischen 50 und 69 alle zwei Jahre einen Brief mit einem Terminvorschlag und unserer Broschüre. Natürlich dienen die Materialien dann dazu, Frauen genau dieser Altersgruppe zu informieren. Wer der Ansicht ist, das Programm sollte auf andere Altersgruppen ausgeweitet werden, sollte diese Kritik nicht an den Informationsmaterialien zum Programm auslassen.

esanum: Es störte sogar manche, dass überhaupt der Begriff Screening verwendet wird – wie nehmen Sie hier nun die Angrenzung zwischen Vorsorge und Früherkennung vor?

Koch: Das Programm heißt offiziell “Mammographie-Screening”. Das ist der Fachbegriff für Reihenuntersuchung (nach englisch: “to screen” – filtern). Ich persönlich finde solche Anglizismen auch nicht nötig. In unserer Broschüre erklären wird den Namen des Programms, sprechen ansonsten aber von “Früherkennung”. Der Begriff “Vorsorge” ist ungeeignet, da er leicht suggeriert, dass man Brustkrebs vermeiden könnte.

esanum: Wird in der gültigen Fassung des Merkblattes erklärt, von welchen Faktoren die Gefährlichkeit des Brustkrebses abhängt? Also Aspekte von “staging”, “grading” und Alter?

Koch: Das wird nur grob angesprochen. Da sich die Broschüre an gesunde Frauen richtet, haben wir Details zu Brustkrebs bewusst nur knapp beschrieben. Zum Glück erhält ja nur eine Minderheit der Frauen tatsächlich eine Diagnose. Die Details der Diagnose gehören in die dann nötige persönliche Aufklärung – nicht in eine Früherkennungsbroschüre. Allein den Unterschied zwischen den (weiteren) Anglizismen “staging” und “grading” zu erklären, würde einiges an Text benötigen.  Da ist die Erklärung von “Überdiagnosen” sicher wichtiger. Viele Frauen wissen gar nicht, dass bei der Mammografie Brustkrebs gefunden wird, der sonst nie aufgefallen wäre.

esanum: Was wurde noch verändert/verbessert? Und wer hat daran mitgewirkt?

Koch: Wir haben vor allem versucht, die Broschüre noch zu vereinfachen. Dazu haben wir zusammen mit unseren ärztlichen externen Sachverständigen die Stellungnahmen und die Nutzertestung ausgewertet.

esanum: Auch der Umfang war manchen einen Zweifel wert: 16 Seiten – wer liest die alle gründlich und geduldig? Wie lang ist das Merkblatt jetzt geworden?

Koch: Es gibt keinen Text, der von allen gelesen wird. Wir haben die Materialien aber abschließend von 1000 Frauen testen lassen. Und die haben sie ziemlich positiv bewertet. Knapp 80 % fanden die Entscheidungshilfe insgesamt gut oder sehr gut, nur etwa 1 % fand sie schlecht oder sehr schlecht. 83 % hatten das Gefühl, dass weder zur Teilnahme geraten noch davon abgeraten wird. Nur etwa 2 % empfanden sie als abratend.

Wir gehen davon aus, dass die Broschüre vor allem für Frauen hilfreich ist, die die erste Einladung erhalten und für jene, die sich noch nicht sicher sind. Das würde uns schon genügen.

Es ist übrigens lustig, dass dieselben Kritiker, die die Materialien einerseits für zu lang halten, dann bemängeln, dass Inhalte fehlen. Eine gute Information muss immer so kurz wie möglich sein, aber auch die wichtigen Fragen beantworten. Für uns ist da nicht entscheidend, was Kritiker sagen, sondern was die Frauen selbst sagen: Und da waren die Frauen zufrieden. Um die 63 % empfanden die Länge der Entscheidungshilfe als genau richtig.

esanum: Glauben Sie, dass jetzt nach gründlicher Überarbeitung die Allgemeinverständlichkeit gegeben ist und damit Frauen eine echte Hilfe an die Hand bekommen?

Koch: Die Allgemeinverständlichkeit war von Anfang an gegeben, dazu haben wir ganz früh die Entwürfe von Fokusgruppen testen lassen – übrigens auch von Ärzten. Am Ende haben wir aber auch dazu die Frauen gefragt. Das Ergebnis war: 70 % würden sie einer guten Freundin weiterempfehlen.

Das Gespräch führte Vera Sandberg.

Vera Sandberg#Vera SandbergVera Sandberg, geboren 1952 in Berlin, absolvierte ihr Journalistik-Studium in Leipzig und war 12 Jahre lang Redakteurin einer Tageszeitung in Ost-Berlin. Im Juni 1989 wurde ihr die Ausreise bewilligt, seit 1990 ist sie Autorin für verschiedene Publikationen, Journalistin für medizinische Themen und hat mehrere Bücher geschrieben, zuletzt “Krebs. Und alles ist anders”. Vera Sandberg ist Mutter von zwei inzwischen erwachsenen Kindern und lebt seit 2000 bei Berlin.