Schlaganfallrisiko senken durch Ultraschallscreening der Halsschlagadern

Bei 11 Prozent der Patientinnen und Patienten, die in Deutschland pro Jahr einen Schlaganfall erleiden, ist die Ursache eine Verengung oder ein Verschluss der inneren Halsschlagader. Durch Ultraschall lassen sich leichte Gefäßveränderungen bis hin zu Carotisstenosen heute bereits frühzeitig diagnostizieren.

Breit verfügbare Technik zur Risikoermittlung

Rund 265.000 Menschen erleiden jährlich in Deutschland einen Schlaganfall. Bei 11 Prozent der PatientInnen ist die Ursache eine Verengung oder ein Verschluss der inneren Halsschlagader (Carotisstenose). Kalkablagerungen in der Carotis können aufbrechen, als Gerinnsel ins Gehirn verschleppt werden und so einen Schlaganfall auslösen. Durch Ultraschall lassen sich leichte Gefäßveränderungen bis hin zu Carotisstenosen heute bereits frühzeitig diagnostizieren.

Der Schlaganfall gehört zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland, mit zunehmendem Alter steigt auch das Risiko. Für Professor Dr. med. Felix Schlachetzki, Chefarzt am Zentrum für Vaskuläre Neurologie und Intensivmedizin der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universität Regensburg ist die Ultraschalluntersuchung der Halsschlagader eine breit verfügbare Technik, um das individuelle Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse wie Schlaganfälle abzuschätzen.

Früher Ultraschall ermöglicht präventive Therapien

Durch den Ultraschall kann festgestellt werden, ob die Carotis eine erhöhte Intima-Media-Dicke (Verdickung der inneren und mittleren Schicht der Gefäßwand) oder Plaques (Lipid- und Kalkablagerungen) aufweist. In diesem Fall rät Schlachetzki dazu, die PatientInnen dazu zu ermutigen, sich mehr zu bewegen und Übergewicht zu reduzieren. Bestehende Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes und Cholesterin müssten konsequent behandelt werden, um das Risiko für einen Gefäßverschluss einzudämmen. Diese präventiven Therapien (best medical treatment) seien bei Risikopatienten mit erblicher Vorbelastung auch schon im berufsfähigen Alter unbedingt empfehlenswert. Im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung sei das Carotis-Ultraschallscreening daher sinnvoll.

Carotis-Screening nicht als alleinige Entscheidungsgrundlage

Entstehen durch Kalkablagerungen aus Plaques erst einmal manifeste Stenosen – also Engstellen an der Halsschlagader – können diese aufbrechen, als Gerinnsel ins Gehirn verschleppt werden und so einen Schlaganfall auslösen. Welche Therapie nach einer entsprechenden Diagnose erfolgen soll, muss interdisziplinär bewertet werden.

Das Carotis-Screening darf hier nicht alleinige Entscheidungsgrundlage sein, vielmehr müsse in diesem Fall eine detaillierte Nutzen-Risiko-Abwägung zwischen den Möglichkeiten der modernen Pharmakotherapie und den operativen Möglichkeiten inklusive Stenting erfolgen. Auch das Alter der PatientInnen spiele eine große Rolle.

Carotisstenosen, die keine Symptome verursachen, seien zwar ein Maßstab für Erkrankungen des gesamten arteriellen Systems, aber gleichzeitig nur ein Teil des komplexen arteriellen Hirnversorgungssystems. Der Anteil der Arteriosklerose-bedingten Schlaganfälle sinke ab der siebten Lebensdekade wieder. Eine Carotisstenose müsse in diesem Alter deshalb immer in der Zusammenschau des gesamten Gefäßsystemzustandes betrachtet werden. Zudem seien die möglichen Komplikationsraten einer Carotis-Operation beziehungsweise eines Carotis-Stents gegenüber den Möglichkeiten des "best medical treatment", von dem auch die Herzinfarkte und arterielle Verschlusskrankheit der Beine profitieren, abzuwägen.

Ultraschallscreening bereits ab dem 30. Lebensjahr wichtig, um Carotiden zu erkennen

Insgesamt ist aus neurologischer Sicht ein Ultraschallscreening der Halsschlagadern wichtig, um frühe Gefäßwandveränderungen zwischen dem 30. und 70. Lebensjahr an den Carotiden zu erkennen. "Damit können wir das sogenannte Gefäßalter eines Menschen definieren und gegebenenfalls notwendige Lebensveränderungen initiieren", erklärt Schlachetzki. Ein breites Screening bei Experten könne helfen. Im Falle hämodynamisch relevanter Stenosen müssten die PatientInnen jedoch zu neurovaskulären Experten wie Neurologen oder Angiologen überwiesen werden, die auch intrakranielle Gefäße beurteilen können. Eine Operation oder Stent-Therapie ohne vorherige Begutachtung durch diese Spezialisten sei strikt abzulehnen und für den PatientInnen gefährlich.

Weiterführende Literatur:
1. Nezu T, Hosomi N. Usefulness of Carotid Ultrasonography for Risk Stratification of Cerebral and Cardiovascular Disease. Atheroscler Thromb, 2020; 27: 1023-1035.
2. Näslund U, Ng N, Lundgren A et al. Visualization of asymptomatic atherosclerotic disease for optimum cardiovascular prevention (VIPVIZA): a pragmatic, open-label, randomised controlled trial. Lancet 2019; 393: 133–42
3. Paraskevas KI et al. How to identify which patients with asymptomatic carotid stenosis could benefit from endarterectomy or stenting. Stroke and Vascular Neurology 2018; 3: e000129
4. Abbott A, Brunser AM, Giannoukas A et al. Misconceptions regarding the adequacy of best medical intervention alone for asymptomatic carotid stenosis. Journal of Vascular Surgery January 2020
5. Keyhani S, Cheng EM, Hoggatt KJ et al. Comparative Effectiveness of Carotid Endarterectomy vs Initial Medical Therapy in Patients With Asymptomatic Carotid Stenosis. JAMA Neurology Published online June 1, 2020. doi:10.1001/jamaneurol.2020.1427