Die deutsche Suchtpolitik steht vor neuen Herausforderungen

Die Teilnehmer des Deutschen Suchtkongresses in Berlin diskutieren vom 5. bis 7. September Prävention und Therapie von Suchterkrankungen. Internetabhängigkeit bildet einen Schwerpunkt.

Die Teilnehmer des Deutschen Suchtkongresses in Berlin diskutieren vom 5. bis 7. September Prävention und Therapie von Suchterkrankungen. Internetabhängigkeit bildet einen Schwerpunkt. Erfolgsautor Norman Ohler referiert zu “Breaking Bad: Hitler under Drugs“.

Etwa 20 Millionen Menschen leiden in Deutschland an einer Abhängigkeit oder Suchterkrankung wie Drogenabhängigkeit, Alkoholismus, Rauchen, Glücksspielsucht oder seit neuestem vermehrt Internet- und Onlineabhängigkeit. Welche Möglichkeiten der Prävention gibt es? Wie wirksam sind neue Therapieansätze? Welche aktuellen Entwicklungen zeigt die Suchtforschung? Diese und andere Fragen werden etwa 600 führende Suchtexperten vom 5. bis 7. September 2016 auf dem Deutschen Suchtkongress in der Technischen Universität in Berlin diskutieren.

“Suchtmittel und Suchtgefahren in der Gesellschaft nehmen immer weiter zu. Die Drogen- und Suchtpolitik in Deutschland konnte bisher zwar partielle Erfolge erzielen – etwa beim Nichtraucherschutzgesetz, das zu einem deutlichen Rückgang des Zigarettenkonsums bei Kindern und Jugendlichen beigetragen hat”, erklärt Professor Falk Kiefer, Präsident des Deutschen Suchtkongresses. Dagegen zeige sich bei illegalen Drogen sogar wieder ein negativer Trend. “Die Zahl der Drogentoten in Deutschland steigt. Außerdem haben sich in enormer Geschwindigkeit neue gefährliche Drogen wie das Methamphetamin Crystal Meth oder GHB/GDL etabliert; auch Crack ist wieder auf dem Vormarsch”, so der Ärztliche Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim. Im Jahr 2015 wurden 1.226 drogenbedingte Todesfälle polizeilich registriert – rund 19 Prozent mehr als im Vorjahr. Zwischen 42.000 und 74.000 Menschen sterben jährlich an den Folgen des Alkoholkonsums.

Internetabhängigkeit und exzessiver Medienkonsum verbreiten sich unter Jugendlichen

Privat-Dozent Dr. Hans-Jürgen Rumpf, Präsident der beim Kongress federführenden Fachgesellschaft Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht), warnt davor, sich bei Abhängigkeitserkrankungen nur auf legale und illegale Drogen zu konzentrieren: “Exzessiver Internet- und Onlinekonsum bereitet uns als Suchtforscher zunehmend Sorgen.” Bisher maßgeblich sind Ergebnisse der bis 2011 durchgeführten PINTA-Studie, der zufolge mehr als 560.000 Menschen als internetabhängig gelten. “Nach der aktuellen Studienlage müssen wir allerdings befürchten, dass die Zahl der Menschen mit internetbezogenen Störungen deutlich ansteigt und besonders Jugendliche davon betroffen sind”, warnt Rumpf. Soziale Isolation und depressive Verstimmungen können Risikofaktoren für eine Internetabhängigkeit sein. Die Internetsucht führt häufig zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Lebensbewältigung. Schlafstörungen und Leistungsabfall sind nur einige der Folgen. Studien gehen von täglich mehr als 150 Blicken aufs Handy aus.

Rund 20 Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Abhängigkeiten

Der im Jahr 2012 durchgeführten repräsentativen Umfrage Epidemiologischer Suchtsurvey zufolge rauchen in Deutschland rund 14,7 Millionen Menschen, circa 1,8 Millionen Menschen gelten als alkohol- und 2,3 Millionen Menschen als medikamentenabhängig. Fast zehn Millionen Menschen in Deutschland konsumieren Alkohol in gesundheitlich riskanter Form. Rund 600.000 Menschen weisen einen problematischen Konsum von Cannabis und anderen illegalen Drogen auf; etwa 500.000 Menschen ein problematisches oder sogar pathologisches Glücksspielverhalten. Hinzu kommen rund 560.000 Menschen mit Internetabhängigkeit. “Die langfristigen Kosten für unser Gesundheitssystem sind enorm. Wir müssen viel mehr Aufwand und Geld für die Prävention einsetzen”, fordert Kiefer angesichts dieser Zahlen. Peter Missel, Präsident der mitveranstaltenden Deutschen Gesellschaft für Suchtpsychologie (dg sps) ergänzt: “Der frühzeitige und nahtlose Zugang zum Suchthilfesystem muss verbessert werden. Dies gilt auch für die medizinische Rehabilitation bei Abhängigkeitserkrankungen.”

Auf dem Deutschen Suchtkongress – dem führenden Kongress für Suchterkrankungen in Deutschland – werden Strategien vorgestellt, wie Suchterkrankungen präventiv begegnet werden kann, welche Rolle Familienangehörige, Partner und Freunde einnehmen können und welche politischen Weichenstellungen jetzt getroffen werden müssten. Schwerpunkte werden neben Alkoholismus und Internetabhängigkeit vor allem Cannabis, die Folgen der zunehmenden Verbreitung der E-Zigarette und Legal Highs sein. Ein weiterer Programmpunkt ist der Vortrag des deutschen Erfolgsautors Norman Ohler mit dem Titel “Breaking Bad: Hitler under Drugs”. Ohler hatte im vergangenen Jahr weltweit mit seinem Buch “Der totale Rausch: Drogen im Dritten Reich” Aufmerksamkeit erregt. Er analysiert in dem Werk den Drogenkonsum der Führung während der Nazizeit.

Der Suchtkongress dient auch dazu, die weltweite Dimension von Sucht- und Abhängigkeitserkrankungen zu begreifen und deutlich zu machen, dass nationale Lösungen allein nicht ausreichen. Der World Drug Report 2016 der Vereinten Nationen spricht von rund 247 Millionen Drogenkonsumenten weltweit, mehr als 200.000 Drogentoten und 29 Millionen Abhängigen. Insbesondere Heroin und Methamphetamine werden weltweit in hohem Umfang konsumiert.

Erstmals wird der Deutsche Suchtkongress 2016 in enger Abstimmung mit dem “World Congress on Alcohol and Alcoholism” stattfinden, zu dem vom 2. bis 5. September in Berlin etwa 800 führende Alkoholforscher aus der ganzen Welt erwartet werden.