Theodor-Frerichs-Preis an zwei Darmforscher verliehen

Darmbakterien helfen bei der Verdauung, sie können aber auch Entzündungen verursachen und die Krebsentstehung fördern. Für diese Erkenntnisse erhalten zwei Darmforscher den diesjährigen Theodor-Frerichs-Preis der DGIM.

DGIM verleiht Theodor-Frerichs-Preis an zwei Darmforscher für neue Erkenntnisse zu Darmkrebs und Morbus Crohn

Darmbakterien helfen bei der Verdauung, sie können aber auch Entzündungen verursachen und die Krebsentstehung fördern. Für ihre neuen Erkenntnisse zur Rolle der Darmbakterien bei der Entstehung von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und von Darmkrebs, die möglicherweise neue Therapieansätze eröffnen, erhalten die beiden Forscher Professor Samuel Huber, Hamburg, und Professor Sebastian Zeißig, Dresden, den diesjährigen Theodor-Frerichs-Preis der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e.V. (DGIM). Er ist mit 30.000 Euro dotiert und wird auf der Tagung der größten deutschen wissenschaftlichen Fachgesellschaft für Internisten verliehen.

Etwa 400.000 Menschen in Deutschland leiden unter Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Bei beiden Erkrankungen ist die friedliche Koexistenz von Darmbakterien und Immunsystem gestört. Der genaue Grund dafür ist nicht bekannt. Nach den Forschungsergebnissen von Professor Huber vom Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf spielt der von Abwehrzellen gebildete Botenstoff Interleukin(IL)-22 in der Pathogenese dieser beiden Erkrankungen eine entscheidende Rolle. Bei gesunden Menschen fördert IL-22 die Wundheilung und die Produktion von antimikrobiellen Peptiden, die die Darmbakterien in Schach halten. Zu viel IL-22 ist jedoch schädlich, weshalb die Abwehrzellen als Gegenmittel ein IL-22-Bindeprotein bilden.

Samuel Huber hat nun herausgefunden, dass Patienten mit chronischen Darmerkrankungen zu viel IL-22-Bindeprotein bilden. Dies verhindert, dass IL-22 die Schleimhaut schützt. Es kommt zu einer Abwehrreaktion gegen Darmbakterien. Den Beweis lieferten Versuche an Mäusen. Die Tiere erkranken nicht an einer entzündlichen Darmerkrankung, wenn ihnen das Gen für die Produktion von IL-22-Bindeprotein fehlt. Weitere Experimente zeigten, dass so genannte TNFalpha-Antikörper, die derzeit stärksten Medikamente bei entzündlichen Darmerkrankungen, ihre Wirkung wenigstens teilweise über die Hemmung des IL-22-Bindeproteins erzielen.

Ergebnisse helfen die Wirkungsweise der TNFalpha-Antikörper besser zu verstehen

"Eine wichtige Konsequenz aus der im letzten Jahr im Journal Science erschienenen Arbeit ist die Suche nach spezifischen Therapien, welche direkt die Produktion von Interleukin-22-Bindeprotein hemmen oder verhindern", sagt DGIM-Generalsekretär Professor Dr. med. Dr. h.c. Ulrich Fölsch aus Kiel. "Die Forschungsergebnisse könnten uns auch helfen, die Wirkungsweise der TNFalpha-Antikörper besser zu verstehen und möglicherweise auch die Nebenwirkungen zu vermeiden."

Etwa fünf Prozent aller Patienten mit Colitis ulcerosa erkranken im Verlauf ihres Lebens an Darmkrebs; auch beim Morbus Crohn ist das Risiko erhöht, wenn auch weniger stark. Professor Zeißig von der Medizinischen Klinik der Technischen Universität Dresden konnte zeigen, dass Darmbakterien ein möglicher Auslöser dieser Krebserkrankung sind. Durch die Entzündung kommen die Bakterien mit den Schleimhautzellen in Kontakt. Sie aktivieren in den Zellen sogenannte Toll-like-Rezeptoren und starten dadurch eine Signalkette, die am Ende zu Darmkrebs führt. An der Signalkette sind das Molekül Calcineurin und der Genaktivator (Transkriptionsfaktor) NFAT beteiligt, was Sebastian Zeißig anhand von Experimenten an Mäusen eindeutig belegen konnte. Die Hemmung von Calcineurin oder NFAT verhindert, ebenso wie eine lebenslange Antibiotikabehandlung, dass die Tiere an Darmkrebs erkranken.

Überlebenschancen bei aktiviertem NFAT deutlich schlechter

Sebastian Zeißig fand zudem heraus, dass Patienten, in deren Krebszellen NFAT vermehrt aktiviert ist, deutlich schlechtere Chancen haben, einen Darmkrebs zu überleben. "Aus der im Journal Nature Medicine erschienenen Arbeit ergeben sich zahlreiche neue und wichtige Fragestellungen", erklärt Professor Fölsch. "So könnte es sein, dass sich durch Beeinflussung der Darmbakterien die Entstehung von Tumoren bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen verhindern lässt. Auch Medikamente, die Calcineurin im Darm hemmen, könnten therapeutisch genutzt werden." Beide Forscher hätten hervorragende und zukunftsträchtige Ergebnisse in der Gastroenterologie erzielt, so Fölsch. Daher hätte sich die DGIM dafür entschieden, den Theodor-Frerichs-Preis an zwei Kollegen zu verleihen.

Der renomierte DGIM-Preis ist nach dem Internisten Friedrich Theodor von Frerichs benannt, dem Präsidenten des ersten Deutschen Kongresses für Innere Medizin im Jahr 1882. Mit dem Preis würdigt die DGIM die beste zur Bewerbung eingereichte, möglichst klinisch-experimentelle Arbeit auf dem Gebiet der Inneren Medizin im deutschsprachigen Raum. Die Fachgesellschaft verleiht die Auszeichnung jährlich im Rahmen der Festlichen Abendveranstaltung ihrer Jahrestagung.

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