Wochenrückblick Gesundheitspolitik: Neuer Pharmastandort in Deutschland

Ein milliardenschweres Investment von Lilly in eine neue Produktionsanlage in Deutschland, die Forderung nach mehr Wissenschaftskompetenz bei Ärzten und ein Zero-Pay-Day für Kassenpatienten waren Themen der vergangenen Woche.

Lilly investiert 2,3 Milliarden Euro in neue Deutschland-Produktion

Das US-Pharma-Unternehmen Eli Lilly baut mit einem Investment von insgesamt 2,3 Milliarden Euro einen neuen High-Tech-Produktionsstandort im rheinland-pfälzischen Alzey ab 2024 auf. Dies kündigte das Unternehmen am Freitag in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den Bundesministern für Wirtschaft und Gesundheit, Robert Habeck und Karl Lauterbach, in Berlin an. Weitere 100 Millionen Dollar investiert Lilly in das Start-up-Ökosystem der Lifescience und Biotech-Branche in Deutschland.

Mit der neuen Anlage erweitert Lilly sein weltweites Produktionsnetzwerk für injizierbare Medikamente einschließlich der dazugehörenden Pens. Es reagiert damit auf die wachsende Nachfrage nach Diabetes-Arzneimitteln, zu deren wichtigsten und innovativsten Produzenten Lilly gehört. Die Inbetriebnahme in Alzey ist für 2027 geplant, bis zu 2900 hochqualifizierte Fachkräfte sollen dort arbeiten. Mit dem geplanten Werk wird Lilly allein in Europa sechs Produktionsstandorte betreiben. Alzey werde einer der größten davon sein, so Produktionsvorstand Edgardo Hernandez.  Das Unternehmen erhalte dafür keine staatlichen Subventionen. Lilly machte zuletzt 28,5 Milliarden Dollar Umsatz, Innovationen gegen Diabetes und Adipositas gehören zu den Wachstumstreibern im Portfolio des Unternehmens, dessen Kapitalisierung in der Pharmabranche einen Spitzenwert erreicht.

"Die Ansiedlungsentscheidung ist eine gute Nachricht für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Mit der Neuansiedlung wird mit Hightech-Produktionsanlagen sowie Forschung und Entwicklung ein wichtiger Beitrag zur industriellen Wertschöpfung am Standort Deutschland geschaffen", sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. "Diese Investition bestärkt die Bundesregierung in ihren Bemühungen, den Pharmastandort Deutschland wieder attraktiver zu machen", ergänzte Gesundheitsminister Karl Lauterbach. So werde für Patienten der Zugang zu neuen Therapieoptionen gesichert. Dies schaffe Unabhängigkeit von brüchigen Lieferketten.   

Bundesausschuss beschließt DMP Adipositas

Menschen mit einem BMI von 30 bis 35 können künftig ein vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossenes strukturiertes Behandlungsprogramm zur Gewichtsreduzierung in Anspruch nehmen. Neben einem differenzierten Behandlungsplan werden auch Schulungen und individualisierte Empfehlungen zur Ernährung und Bewegung angeboten. Eine Teilnahmevoraussetzung ist, dass neben Adipositas eine weitere Krankheit, zum Beispiel Bluthochdruck oder Diabetes, manifest ist. Ab einem BMI von 35 entfällt diese Voraussetzung. In einem zweiten Schritt will der GBA auch altersgerechte DMP für Kinder und Jugendliche beschließen.

Ausdrücklich verweist der GBA darauf, dass appetitzügelnde Arzneimittel nicht Bestandteil des DMP sein können. Sie sind von Gesetzes wegen durch den Lifestyle-Paragrafen ausgeschlossen. Das gilt auch für die jüngst auf den Markt gekommenen Innovationen, die zur Reduzierung des Körpergewichts sehr effektiv sind. Sie sind nur dann GKV-Leistung, wenn zugleich auch ein behandlungsbedürftiger Diabetes vorliegt.

GBA ermöglicht Zweitmeinung vor Hüftgelenks-Op

GKV-Versicherte erhalten im Laufe des nächsten Jahres die Möglichkeit, eine Zweitmeinung vor einer Hüftgelenks-Operation einzuholen. Beraten werden Patienten zur Indikationsstellung und zu Behandlungsalternativen. Ab Juli 2024 können ambulant oder stationär tätige Ärzte bei Kassenärztlichen Vereinigungen eine Genehmigung beantragen, um Zweitmeinungen abzugeben und mit den Krankenkassen abzurechnen. Erforderlich dazu ist eine Qualifikation als Orthopäde, auch in Kombination mit Unfallchirurgie, Chirurgie mit dem Schwerpunkt Unfallchirurgie oder Physikalische und Rehabilitative Medizin. Bei Genehmigung durch das BMG tritt die Richtlinie voraussichtlich zum 1. Juli 2024 in Kraft.

AWMF fordert Stärkung der Wissenschaftskompetenz von Ärzten

Angesichts der Innovationskraft der Medizin und der inzwischen hohen Verfügbarkeit wissenschaftlicher Studien im Internet fordert die Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), die Wissenschaftskompetenz von Ärzten in Aus-, Weiter- und Fortbildung zu stärken. Ärzten müsse besser die Fähigkeit vermittelt werden, neues, rasant sich änderndes Wissen einzuordnen, zu bewerten und Quellen kritisch zu überprüfen. Befragungen von Studierenden zeigten, dass sie ihre wissenschaftliche Kompetenz im Studium nicht ausreichend gefördert sehen. Ferner werde berichtet, dass Ärzte in der Versorgung oft Probleme haben, Forschungsbefunde richtig zu lesen. Mit der neuen Approbationsordnung soll die wissenschaftliche Ausbildung gestärkt werden; sie ist allerdings noch nicht in Kraft getreten.

Modellstudiengänge wie an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Uni Heidelberg zeigen, wie es funktionieren kann: Hier wird ein obligatorischer Leistungsnachweis "Wissenschaftliches Arbeiten" gefordert; dazu gehören der Besuch von Vorlesungen zur Literaturrecherche, Evidenzbasierte Medizin und als Abschluss die Erstellung einer wissenschaftlichen Arbeit. Ergänzt wird dies durch Laborpraktika, Versuchsplanung, Biomathematik und Epidemiologie. 

Mit Blick auf die nächste Reform der Musterweiterbildungsordnung soll Wissenschaftskompetenz auch systematisch in die Weiterbildungsordnungen für angehende Fachärzte integriert werden. Dies sei wichtig, weil Registerstudien oder Forschungspraxisnetze helfen, Innovationen zu generieren und die Qualität von Behandlungen zu prüfen. Die Integration dieser Fähigkeiten sei in den Landesärztekammern derzeit uneinheitlich geregelt. Ziel müsse sein, Forschung, Lehre und Versorgung enger miteinander zu verbinden.  

Zero-Pay-Day: Für den Rest des Jahres arbeiten Ärzte "umsonst" 

Seit dem vergangenen Mittwoch gewähren Vertragsärzte ihren in der GKV versicherten Patienten einen "Sozialrabatt". Das heißt: in den verbleibenden rund sieben Wochen dieses Jahres werden die Behandlungen im Schnitt aller Ärzte und Arztgruppen in der GKV nicht mehr vergütet. Dies hat die KBV ausgerechnet. Dies betrifft alle Leistungen, die im Rahmen der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung und für Ärzte über Regelleistungsvolumina honoriert werden. 

GKV-Spitzenverband: 730 Integrierte Notfallzentren notwendig

Mit einer Simulationsrechnung hat der GKV-Spitzenverband den Bedarf an Integrierten Notfallzentren (INZ) in Deutschland auf 730 Einheiten errechnet. Das sind erheblich mehr als die Regierungskommission der Bundesregierung für die Krankenhausreform für notwendig hält, die auf 450 INZ kam. Die GKV-Berechnungen berücksichtigen insbesondere den Bedarf von INZ in ländlichen Regionen unter der Bedingung, dass die Anfahrzeit nicht mehr als 30 Minuten beträgt. Die von der Regierungskommission genannte Zahl werde dazu führen, dass zwölf Millionen Menschen längere Anfahrzeiten hätten. Die Empfehlung der Kommission, INZ nur in Krankenhäusern mit umfassender und erweiterter Notfallstufe einzurichten, werde überdies zu Überkapazitäten in Städten führen. Daher fordert die GKV, auch an Kliniken mit Basisnotfallstufe INZ zu errichten. Bei der Planung müssten überdies die etwa 550 existierenden Notdienstpraxen berücksichtigt werden. Dabei müsse bedacht werden, dass diese meist nur zu sprechstundenfreien Zeiten geöffnet sind. Für eine optimale Notfallversorgung in ausgewählten Kliniken mit hohen Fallzahlen müssten zusätzliche vertragsärztliche Niederlassungen erforderlich sein, damit diese Praxen auch tagsüber geöffnet sind.