Die Rolle immunprivilegierter Reproduktionsorgane bei Virusepidemien und Viruspandemien

Eine Forschungsgruppe konnte RNA des Ebolavirus selbst mehrere Monate nach Genesung in der männlichen Samenflüssigkeit nachweisen. Bei rund 27% dieser männlichen Patienten war dies der Fall gewesen.

Im letzten Blog-Beitrag haben wir uns über eine mögliche Ebolaviruspersistenz im menschlichen Körper Gedanken gemacht. Die Ebolavirusepidemien der letzten Jahre legen nahe, dass das Virus in einigen Menschen persistieren kann. Dies birgt das Risiko einer viralen Transmission und erneuter Ebolavirusepidemien.1 Die Forschungsgruppe um Deen konnte RNA des Ebolavirus selbst mehrere Monate nach Genesung in der männlichen Samenflüssigkeit nachweisen. Bei rund 27% dieser männlichen Patienten war dies der Fall gewesen. Die Forschungsgruppe hatte insgesamt 210 männliche Patienten untersucht, die eine Infektion mit dem Ebolavirus überlebt hatten. Die Hoden zählen ja bekanntermaßen zu den immunprivilegierten Organen. Auf diesem Wege wäre auch eine sexuelle Transmission denkbar.2 In der Republik Liberia kam es auf diese Weise zu einem Todesfall. Eine weibliche Patientin hatte sich durch ungeschützten Geschlechtsverkehr bei einem Ebolafieber-Überlebenden angesteckt und war an den Folgen verstorben.3 Um weitere Epidemien zu vermeiden, sind Aufklärungsarbeit und regelmäßige Folgeuntersuchungen notwendig. Auch muss geklärt werden, ob Personen, die mit Ervebo® geimpft worden sind eine Auffrischimpfung benötigen, um das Risiko für erneute Ebolafieber-Ausbrüche zu reduzieren.

Der Hoden als perfektes virales Versteck

Das Ebolavirus ist nicht das einzige Virus, dass in der Samenflüssigkeit von frisch infizierten und auch genesenden männlichen Patienten nachweisbar ist. Das wohl aktuell bekannteste Virus (SARS-CoV-2) konnte ebenfalls in der Samenflüssigkeit männlicher Patienten nachgewiesen werden. Noch ist unklar, ob eine Infektion auf diesem Wege möglich ist. Im November 2020 wurde eine chinesische Studie veröffentlicht, welche sich damit beschäftigt hat, ob das neue Coronavirus die Fruchtbarkeit männlicher Patienten beeinträchtigen kann.

Hierfür wurden post mortem histologische Untersuchungen der Hoden und der Nebenhoden der betroffenen verstorbenen Patienten (n=6) durchgeführt und mit gesunden Individuen verglichen. Zusätzlich wurden Samenproben von insgesamt 23 Patienten untersucht, die eine Infektion mit dem neuen Coronavirus überstanden hatten. Die histologischen Untersuchungen zeigten ein interstitielles Ödem, eine lokale Kongestion, sowie den Austritt von Erythrozyten im Bereich der Hoden und der Nebenhoden der verstorbenen Patienten. Mittels TUNEL assay konnten apoptotische Zellen in den Samenkanälchen nachgewiesen werden. Der Unterschied zu den Samenkanälchen gesunden Personen war signifikant gewesen. Es zeigte sich eine erhöhte Anzahl an CD3+ und CD68+ interstitieller Zellen innerhalb des Hodengewebes. In den Samenkanälchen war Immunglobulin G nachweisbar gewesen. Die Untersuchung der Samenflüssigkeit von Personen, die COVID-19 überstanden hatten konnte ebenso einige Besonderheiten ans Licht bringen: Fast 40% der Patienten litten unter Oligozoospermie. Bei über 60% der Patienten konnte ein erhöhter Leukozytengehalt der Samenflüssigkeit gemessen werden. Die Spermakonzentration war reduziert und die Konzentration von Interleukin-6, des Tumornekrosefaktors alpha und des Monozyten-Chemoattraktiven Proteins 1 erhöht.4

Es gibt jedoch einige wichtige Kritikpunkte an dieser Studie: Bei der vorliegenden Studie von Li wurde nur eine sehr geringe Patientenanzahl untersucht. Die Ergebnisse dieser Forschungsgruppe befinden sich in einer Kontroverse zu 5 anderen wissenschaftliche Studien, die zu diesem Thema publiziert worden sind. In den anderen wissenschaftlichen Studien konnte das Virus nicht in der Samenflüssigkeit infizierter Männer nachgewiesen werden. Wer nun Recht und wer Unrecht hat wird durch einen weiteren Tatbestand verkompliziert. Eine wichtige biologische Gegebenheit erschwert die Untersuchung der Samenflüssigkeit mittels PCR: Die Samenflüssigkeit enthält PCR-Inhibitoren und das Ergebnis kann dadurch verfälscht werden.5-11

Eines wissen wir aus den Blog-Beiträgen der letzten Monate: Das Zikavirus und das Ebolavirus sind noch lange Zeit nach Genesung der Patienten in der Samenflüssigkeit enthalten und können in einigen Fällen zu Infektionen der SexualpartnerInnen führen. Wie es mit dem neuen Coronavirus aussieht, wird die Zeit zeigen.

Referenzen:
1. Heeney J. L. (2015). Ebola: hidden reservoirs. Nature527, 453–455 (2015).
2. Deen G. F. et al. (2017). Ebola RNA Persistence in Semen of Ebola Virus Disease Survivors — Final Report. N Engl J Med 2017; 377:1428-1437
3. Mate S. E. et al. (2015). Molecular Evidence of Sexual Transmission of Ebola Virus. N Engl J Med 2015; 373:2448-2454.
4. Li H. et al. (2020). Impaired spermatogenesis in COVID-19 patients. EClinicalMedicine. 2020 Nov;28:100604.
5. Bendayan M. et al. (2021). COVID-19 in men: With or without virus in semen, spermatogenesis may be impaired. Andrologia. 2021;53(1):e13878.
6. Guo L. et al. (2020). Absence of SARS‐CoV‐2 in Semen of a COVID‐19 Patient Cohort. Andrology, in Press., 10.1111/andr.12848.
7. Pan F. et al. (2020). No evidence of severe acute respiratory syndrome‐coronavirus 2 in semen of males recovering from coronavirus disease 2019. Fertility and Sterility, 113(6), 1135–1139. 10.1016/j.fertnstert.2020.04.024.
8. Schrader C. et al. (2012). PCR inhibitors ‐ occurrence, properties and removal. Journal of Applied Microbiology, 113(5), 1014–1026. 10.1111/j.1365-2672.2012.05384.x.
9. Holtmann N. et al. (2020). Assessment of SARS‐CoV‐2 in human semen‐a cohort study. Fertility and Sterility, 114(2), 233–238. 10.1016/j.fertnstert.2020.05.028.
10. Paoli D. et al. (2020). Study of SARS‐CoV‐2 in semen and urine samples of a volunteer with positive naso‐pharyngeal swab. Journal of Endocrinological Investigation, 1–4, 10.1007/s40618-020-01261-1.
11. Song C. et al. (2020). Absence of 2019 novel coronavirus in semen and testes of COVID‐19 patients†. Biology of Reproduction, 103(1), 4–6. 10.1093/biolre/ioaa050.