Eine Geschichte von Asymmetrie, Neutralisation und Mosaiken

Der heutige Beitrag hat die klinische Studie zum neuen HIV-Impfstoff "Ad26/Ad26 plus gp140 HIV-1 vaccine" zum Thema. Momentaufnahmen der Hülle mittels Single-Molecule Fluorescence Resonance Energy Transfer bringen interessante Erkenntnisse über das Virus ans Licht.

Diesen Sommer haben wir uns ausführlich mit dem HI-Virus auseinandergesetzt. Aktuell befinden wir uns bei den molekularen Grundlagen der HI-Infektion. Letzte Woche haben wir erfahren, dass ein gesunder Lebensstil, der den Konsum von Granatapfelsaft als natürlichen Eintrittshemmer (PJ-S21) beinhaltet, theoretisch Einfluss auf die HI-Infektion nehmen kann. Der heutige Beitrag hat die klinische Studie zum neuen HIV-Impfstoffes "Ad26/Ad26 plus gp140 HIV-1 vaccine" zum Thema. Momentaufnahmen der Hülle mittels Single-Molecule Fluorescence Resonance Energy Transfer bringen interessante Erkenntnisse über das Virus ans Licht.

Bei der intermediären Form sind die Protomere asymmetrisch angeordnet

Der Env-Glykoproteinkomplex ist ein Trimer, bei dem jedes Protomer aus je zwei Untereinheiten aus gp120 und gp41 besteht. Die aus gp120-Molekülen bestehende Untereinheit ist für die Bindung an den CD4-Rezeptor und seinen Corezeptor zuständig. Die aus gp41-Molekülen bestehende Untereinheit vermittelt die Fusion der viralen mit der zellulären Membran der Wirtszelle. Eine kalifornische Forschungsgruppe konnte mittels Single-Molecule Fluoresecence Resonance Energy Transfer zeigen, dass das die intermediäre Konfigurationsform von asymmetrischer Natur ist. Hierbei nehmen bestimmte Protomere eine ganz besondere Form an. Diese asymmetrische intermediäre Form wird gebildet, sobald sich ein einzelnes CD4-Molekül auf die Hüllentrimere einlässt. Das wiederum führt zu der Konfigurationsänderung in den Zustand Nr.3. Hierbei werden die V3-Schleife und das Überbrückungsblatt freigelegt.1

Der "geno2pheno[coreceptor]" zeigt uns, mit welcher V3-Schleife wir es zu tun haben

Diese V3-Schleife dockt an den Corezeptor der Wirstzelle an und ermöglicht so den Eintritt in die Wirtszelle. Die verschiedenen HI-Virusstämme unterscheiden sich durch die Zusammensetzung ihrer V3-Schleife und damit auch in der Nutzung des jeweiligen Corezeptors voneinander. Durch Sequenziermaschinen kann aus den Patientenblutproben bestimmt werden, welche Corezeptornutzung wahrscheinlich ist. Dadurch kann die Therapie mit Entry-Inhibitoren auf den jeweiligen Patienten und Virusstamm angepasst werden. Die hierfür notwendigen Informationen liefert das bioinformatische Modell "geno2pheno[coreceptor]".2,3

Die Bindung an den Corezeptor verändert gp41

Die Bindung an einen Corezeptor geht mit einer weiteren Konformationsänderung des Glykoproteins gp41 einher. Hierbei geht gp41 erst in eine gestreckte Form über, um sich dann zu einem Bündel aus sechs Helices zusammenzufügen. Diese entscheidende Konformationsänderung bringt die virale und zelluläre Membran für die nachfolgende Fusion zusammen. Der Env-Glykoproteinkomplex besitzt die Fähigkeit zu enormen Gestaltsveränderungen. Dies ist eine Grundvoraussetzung für den Eintritt in die Wirtszelle. Durch Konformationsmaskierung versteht es der Env-Glykoproteinkomplex sein Inneres vor dem Angriff durch Antikörper des Immunsystems des Wirtsorganismus zu schützen.1,4,5 Nur wenige (unter 1%) der HIV-Infizierten können neutralisierende Antikörper erfolgreich gegen das Virus einsetzen.

Breitneutralisierende Anti-HIV-Antikörper auf dem Vormarsch

Breitneutralisierende Anti-HIV-Antikörper wirken gegenüber verschiedenen HIV-Stämmen neutralisierend. Die Induktion solcher Antikörper ist Ziel bei der Entwicklung von HIV-Impfstoffen. Sie können gegen verschiedene virale Epitope gebildet werden und lassen sich so voneinander unterscheiden. Solche virale Epitope sind die MPER (membrane-proximal external region) des gp41, das "V1V2-glycan", das "V3-glycan", das "outer domain glycan" und die CD4-Bindungsstelle des gp120. Zur Impfstoffentwicklung wird in Labortests geprüft, welche HIV-Stämme von welchen Antikörpern neutralisiert werden können.6

Der Antikörper 10-1074 zeigt eine starke antivirale Wirksamkeit

Anfang 2017 wurde eine Studie über die Wirksamkeit des breitneutralisierenden Antikörpers 10-1074 im Menschen veröffentlicht. Der Antikörper 10-1074 erkennt die V3-Schleife auf der Virusoberfläche. Dieser Antikörper wurde in einer Phase I Studie bei Patienten mit HIV-Infektion und bei gesunden Studienteilnehmern untersucht. Insgesamt zeigte sich ein adäquates Sicherheitsprofil und eine günstige Pharmakokinetik. Bei Patienten mit einer HIV-Infektion zeigte der Antikörper 10-1074 eine starke antivirale Wirksamkeit. Wir warten gespannt auf weitere Ergebnisse.6

Mosaik-HIV-1-Impfstoff "Ad26/Ad26 plus gp140 HIV-1 vaccine" löst eine robuste Immunantwort aus

In einer multizentrischen, doppelblinden, randomisierten kontrollierten Phase 1/2a-Studie (APPROACH) wurden 7 verschiedene Impfregime (Prime-Boost-Konzept) untersucht. Der jeweilige Mosaik-Impfstoff bestand aus den Gensequenzen unterschiedlicher HIV-Stämme. Das Prime-Boost-Konzept bedeutet, dass Ad26 als Primer eingesetzt wurde und mit unterschiedlichen Boostern kombiniert wurde. Solche Booster waren "Ad26.Mos.HIV", "Modified Vaccinia Ankar-Mosaic" und "Clade C glycoprotein 140 drug product".7

Forscher aus aller Welt ziehen an einem Strang

An der Studie nahmen Teilnehmer von 12 Kliniken aus Ostafrika, Südafrika, Thailand und den USA teil. Diese wurden in 8 verschieden Gruppen unterteilt. Die gesunden Studienteilnehmer hatten ein Alter von 18-50 Jahren. Zu Studienbeginn und 12 Wochen danach wurden die Studienteilnehmer mit Ad26.Mos.HIV (mit 5x108 Viruspartikel pro 0,5 ml) exprimierenden Mosaik-HIV-1-Env/Gag/Pol-Antigenen geprimt. Den Booster erhielten sie in der 24. und 48. Woche nach Studienbeginn. Die Patienten in der Kontrollgruppe erhielten lediglich 0,9%-ige Salzlösung. Die primären Studienendpunkte waren ein gut verträglicher und sicherer Impfstoff sowie die Produktion von Env-spezifischen Antikörpern in der 28. Woche nach Studienbeginn. In der 52. Woche wurde erneut auf Immunogenität und Sicherheit des Impfstoffes hin geprüft. Parallel hierzu fand eine Studie mit Rhesusaffen (NHP 13-19) statt. In dem Zeitraum vom Februar 2015 bis Oktober 2015 nahmen insgesamt 393 Menschen an der Studie teil.7

Das Immunsystem reagiert bei 80% der Patienten ab der 50. Woche

Der auf dem modifizierten Adenovirus-Serotyp 26 (Ad26) basierende HIV-1-Impfstoff wurde bei Rhesusaffen und Menschen auf Wirksamkeit hin geprüft. Die stärkste Immunantwort (100%) wurde von "mosaic-Ad26/Ad26 plus high-dose gp140 Boost-Vakzine" hervorgerufen. In der 52.Woche wurde bei 80% der Patienten, die den "mosaic-Ad26/Ad26 plus high-dose gp140 Boost-Vakzine" erhalten hatten, eine Antikörper-vermittelte zelluläre Phagozytoseantwort ausgelöst. Bei 83% dieser Patienten zeigte sich in der 50.Woche eine T-Zellantwort.7

Schmerzen an Einstichstelle als häufigste Nebenwirkung

Die häufigste Nebenwirkung der Impfung war eine Schmerzempfindung an der Einstichstelle (69-88% der Impfstoffgruppe vs. 49% in der Placebogruppe). Insgesamt 1% der Studienteilnehmer der Impfstoffgruppe hatten eine der folgenden Nebenwirkungen: Diarrhoe, Bauchschmerzen, erhöhte Aspartat Aminotransferase-Werte, Schwindelanfälle, Rückenschmerzen oder ein Krankheitsgefühl. Aktuell wird eine Phase 2b-Studie in Subsahara-Afrika durchgeführt. Wir sind gespannt auf weitere bahnbrechende Ergebnisse.7

Nächste Woche nähern wir uns der Transplantationsimmunologie. Hierbei wird ein wissenschaftlicher Artikel durchgenommen, der so einigen das Gruseln lehrt.

Referenzen:
1. Ma X. et al. (2018). HIV-1 Env trimer opens through an asymmetric intermediate in which individual protomers adopt distinct conformations. Elife. 2018 Mar 21;7. pii: e34271.
2. Swenson L. C. et al. (2010).Calibration and accuracy of the geno2pheno co-receptor algorithm for predicting HIV tropism for single and triplicate measurements of V3 genotype. J Int AIDS Soc. 2010; 13(Suppl 4): O8.
3. Riemenschneider M. et al. (2016). Genotypic Prediction of Co-receptor Tropism of HIV-1 Subtypes A and C. Scientific Reports volume 6, Article number: 24883 (2016)
4. Sasmal D. K. et al. (2016). Single-Molecule Fluorescence Resonance Energy Transfer in Molecular Biology. Nanoscale. 2016 Dec 8; 8(48): 19928–19944.
5. Kwong P. D. et al. (2002). HIV-1 evades antibody-mediated neutralization through conformational masking of receptor-binding sites. Nature. 2002;420:678–682. doi: 10.1038/nature01188.
6. Caskey M. et al. (2017). Antibody 10-1074 suppresses viremia in HIV-1-infected individuals. Nat Med. 2017 Feb;23(2):185-191.
7. Barouch D. H. et al. (2018). Evaluation of a mosaic HIV-1 vaccine in a multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 1/2a clinical trial (APPROACH) and in rhesus monkeys (NHP 13-19). Volume 392, No. 10143, p232–243, 21 July 2018.