Neurologische Symptome sind keine Seltenheit bei Vorliegen einer COVID-19-Erkrankung. Sie können ein Hinweis auf eine Gewebeschädigung durch die neurotropen Coronaviren SARS-CoV-2 sein.
Diese können über die oberen Atemwege oder auch über die Blutbahn ins zentrale Nervensystem gelangen. Für ihren Eintritt in das Zellinnere verwenden SARS-CoV-2-Viren den Angiotensin-Converting-Enzyme-Rezeptor 2 (ACE2). Dieser Rezeptor befindet sich auf der Zelloberfläche von Endothelzellen, Gliazellen und Neuronen und macht diese damit zu potenziellen Zielstrukturen. Zu der besagten Gewebeschädigung kann es auf direktem oder auch auf indirektem Weg über die Freisetzung von Zytokinen kommen. Im weiteren Krankheitsverlauf können schwerwiegende Entzündungsreaktionen und apoplektische Ereignisse die Folge sein. So kam es in einer Studie bei rund 57% der Patientinnen und Patienten mit COVID-19 zum Auftreten neurologischer Symptome, bei 4% nahmen die neurologischen Komplikationen ein tödliches Ende. Eine Forschungsgruppe der Dicle Universität der türkischen Stadt Izmir -lateinisch auch unter dem Namen Smyrna bekannt- hat mittels automatischer Pupillometrie die Pupillenreaktion von Patientinnen und Patienten mit COVID-19 untersucht. Auf diese Weise wollte die Forschungsgruppe eine mit diesen neurotropen Viren assoziierte Dysfunktion des autonomen Nervensystems erkennen. Mehr dazu im heutigen Beitrag.1-12
Mittels Pupillometrie können Veränderungen der Pupillenweite gemessen werden. Verschiedene Krankheitsbilder sowie Alkoholeinfluss oder Müdigkeit können die Pupillenweite beeinflussen. Die Prüfung des Pupillenlichtreflexes kann Hinweise auf pathologische Veränderungen geben. Der Pupillenlichtreflex selbst wird vom autonomen Nervensystem kontrolliert. So wird die Pupillenerweiterung vom Sympathikus gesteuert, während die Pupillenkontraktion vom Parasympathikus gesteuert wird. Kommt es nun zu einer Gewebeschädigung durch die neurotropen SARS-CoV-2-Viren, so kann dies über eine Dysfunktion des autonomen Nervensystems die Pupillenweite beeinflussen.1-12
In der vorliegenden Studie wurden 60 Patientinnen und Patienten, die sich von COVID-19 erholten, untersucht. In der Kontrollgruppe befanden sich 40 gesunde Personen (keine systemischen Erkrankungen und negatives PCR-Testergebnis für SARS-CoV-2). Die Einschlusskriterien beinhalteten u.a. das Vorhandensein einer leichten Lungenentzündung und das Fehlen einer Lungenbeteiligung bei ambulanten Patientinnen und Patienten. SARS-CoV-2 wurde mittels Polymerase-Kettenreaktionstest (PCR) nachgewiesen. Bei positivem Testergebnis erfolgte eine serologische Untersuchung sowie eine Computertomographie. Die medikamentöse Therapie erfolgte mit Favipiravir. Bei hohen Entzündungsmarkern erfolgte eine stationäre Behandlung der Patientinnen und Patienten. Von der Studie ausgeschlossen wurden diejenigen Patientinnen und Patienten, die eines der nachfolgenden Kriterien erfüllten:
Sobald sich die Studienpatientinnen und Studienpatienten von ihrer Erkrankung erholt hatten, wurden erneut zwei PCR-Tests durchgeführt. Bei zweifach negativem Testergebnis begann die ophthalmologische Untersuchung der Patientinnen und Patienten. Die Studienpatientinnen und Studienpatienten wurden vollständig augenärztlich untersucht.1
Die statischen und dynamischen Pupillometermessungen wurden von ein und derselben Ärztin bzw. demselben Arzt etwa 1 Monat nach der Genesung durchgeführt. Die statischen Pupillometermessungen fanden bei verschiedenen Beleuchtungsstärken statt. Auf diese Weise erhielt die Forschungsgruppe Informationen über die Pupillengröße bei skotopischem (0,1 cd/m2), mesopischem (1 cd/m2), schwach photopischem (10 cd/m2) und stark photopischem (100 cd/m2) Sehen. Die statischen und dynamischen Pupillenparameter wurden dreifach gemessen. Hieraus wurde anschließend der Durchschnittswert des jeweiligen Parameters bestimmt. Zu den dynamischen Pupillenparametern zählten in der vorliegenden Studie die Amplitude, Geschwindigkeit und Latenzzeit der Pupillenkontraktion sowie der Pupillenerweiterung. Der Durchmesser der Ruhepupille wurde ebenfalls bestimmt. Der skotopische und hochphotopische Pupillendurchmesser, sowie die Geschwindigkeit der Pupillenkontraktion und der Pupillendurchmesser in Ruhe waren -verglichen mit der Kontrollgruppe- in der Post-COVID-19-Gruppe signifikant höher gewesen. Die Latenzzeit der Pupillendilatation und die Dauer der Pupillenkontraktion hingegen waren in der Post-COVID-19-Gruppe signifikant niedriger gewesen.1
Die vorliegende Studie konnte zeigen, dass eine autonome Dysfunktion mit einer Störung der Pupillenkontraktion und Pupillendilatation nach Genesung der COVID-19-Erkrankung auftreten kann. Sie ist nicht die einzige Studie, die uns bedeutende Hinweise auf die Folgen bzw. auf eine anhaltende Symptomatik einer COVID-19-Erkrankung liefert. Einige Personen können eine chronische schwere Müdigkeit, eine kognitive Verlangsamung, autonome Störungen und ein posturales Tachykardiesyndrom entwickeln.13 SARS-CoV-2 kann zu einem Anstieg von Angiotensin II und dadurch zu einer Verstärkung der Aktivität des sympathischen Nervensystems führen. Bei Komorbiditäten kann diese sympathische Überaktivität das Herzkreislaufsystem zusätzlich belasten. Einige Begleiterkrankungen können zudem zu einem dysfunktionalen neurovagalen Antiinflammationsreflex und dadurch zu einem raschen Anstieg der Zytokinausschüttung bei COVID-19 führen. Die automatische Pupillometrie stellt eine nicht-invasive Möglichkeit dar, die autonome Dysfunktion zu erkennen und im weiteren Verlauf zu beobachten. Die Messung der Pupillenparameter könnte auch für die Diagnostik bei Personen mit Long Covid sich als nützlich erweisen. Weitere Studien sind hierfür nötig, um eine prognostische Relevanz dieser Methodik zu ermitteln.14-19
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