Wohin hat uns die Erfindung synthetischer Kunststoffe seit dem Jahr 1907 geführt?

Eine Forschungsgruppe hat in ihrer wissenschaftlichen Publikation folgende mit dem Elektronenmikroskop nachgewiesene mechanische Eigenschaften der chirurgischen Gesichtsmasken bemängelt: All diese Normen und Standards beurteilen nicht die lose an der Innenfläche chirurgischer Gesichtsmasken befindlichen Mikro- und Nanofasern, die beim Einatmen ihren Weg in die menschliche Lunge, Blutbahn und in das Zellinnere finden können.

Im letzten Beitrag haben wir uns mit dem elektronenmikroskopischen Aufbau chirurgischer Gesichtsmasken auseinandergesetzt. ISO steht für "International Organisation for Standardization". Die ISO-Normen dienen der Aufstellung von Industriestandards. Neben den internationalen ISO-Normen gibt es die ASTM-, NOISH-, EU- und China-Normen. Das Akronym ASTM steht für "American Society for Testing and Materials" und NOISH für "The National Institute for Occupational Safety and Health". Anders als der Name vermuten lässt, sind die ASTM-Standards international. Ebenso die NOISH-Standards. Anhand all dieser Normen findet eine Beurteilung der Sicherheit von chirurgischen Gesichtsmasken statt. Die Forschungsgruppe um Han hat in ihrer wissenschaftlichen Publikation folgende mit dem Elektronenmikroskop nachgewiesene mechanische Eigenschaften der chirurgischen Gesichtsmasken bemängelt: All diese Normen und Standards beurteilen nicht die lose an der Innenfläche chirurgischer Gesichtsmasken befindlichen Mikro- und Nanofasern, die beim Einatmen ihren Weg in die menschliche Lunge, Blutbahn und in das Zellinnere finden können.1 Dabei sind die ISO-Normen ja vor allem mechanischer Natur und müssten solche wichtigen Erkenntnisse in die Beurteilung miteinbeziehen. Aus experimentellen Tiermodellen wissen wir, dass Nanopartikel in Zellen eindringen können und auch die Blut-Hirn-Schranke passieren können.

Es besteht ein Mangel an Studien zum Einfluss von Mikro- und Nanoplastik auf den menschlichen Organismus

Die Forschungsgruppe um Hirt hat sich in ihrem Review mit dem Einfluss von Mikro- und Nanoplastik auf den Organismus von Tieren und dem Menschen auseinandergesetzt. Aktuell besteht noch ein Mangel an wissenschaftlichen Studien, die sich ausschließlich mit dem Einfluss von Mikro- und Nanoplastik auf den menschlichen Organismus auseinandersetzen. In Tierversuchen ging die Exposition der Versuchstiere gegenüber Nano- und Mikroplastik mit einer Beeinträchtigung des oxidativen und inflammatorischen intestinalen Gleichgewichts einher. Der Einfluss dieser Partikel resultierte in einem Zusammenbruch der Darmbarriere. Verschiedene Forschungsgruppen konnten eine Dysbiose und eine Immunzelltoxizität als Folge der Exposition gegenüber Mikro- und Nanoplastikpartikel beobachten. Das Mikroplastik enthält darüber hinaus noch Additiva und ist in der Lage Schadstoffe einzuspeichern. Die Oberfläche dieser Partikel kann zudem noch mit pathogenen Bakterien besiedelt sein. Dies könnte eine Grundlage für die Entwicklung chronisch entzündlicher Krankheiten sein.2

Plastik ist allgegenwärtig

Es ist die Omnipräsenz des Mikro- und Nanoplastiks, welches früher oder später in einer Exposition gegenüber dem menschlichen Organismus resultiert. Die Langzeitfolgen dieser Exposition sind noch nicht erforscht. Sie bereiten der Forschungswelt jedoch jetzt schon Sorgen, da die Entwicklung chronisch entzündlicher Erkrankungen denkbar ist.3 Der Mensch kann auf verschiedenen Wegen Mikroplastik aufnehmen. Die Nahrung spielt hier eine wichtige Rolle. So sind z.B. in einer Portion Fisch 66 x 103 Partikel, im Zucker 217 Plastikfasern/kg, im Bier 2-79 Plastikfasern/Liter und in der Milch 1-14 Plastikfasern/Liter enthalten. Selbst im Trinkwasser - sei es in Plastikflaschen oder Glasflaschen abgefüllt - sind Plastikpartikel auffindbar.4-11

Haut wie Porzellan war gestern

Neben der Plastikaufnahme über Nahrung und Getränke spielt die Inhalation von Mikro- und Nanoplastik ebenfalls eine wichtige Rolle für den menschlichen Organismus. Synthetische Textilien und der Abrieb von Autoreifen auf der Straße stellten bisher die Hauptquellen inhalativer Plastikpartikel dar.12,13 Mikro- und Nanoplastik können auf einem dritten Weg in den menschlichen Organismus gelangen: Hier kommt die Kosmetikindustrie ins Spiel, die Mikroplastik in Zahnpasta und in Gesichtspeelings zum täglichen Konsum anbietet. Auch über die Haut kann Mikro- und Nanoplastik aufgenommen werden.14 Neben solchen offensichtlichen Mirkoplastikverstecken, gibt es noch andere Produkte, in denen man nicht auf den ersten Blick Mikroplastik vermuten würde. Mikroplastik wird von der Kosmetikindustrie eingesetzt, um die Viskosität ihrer Produkte zu erhöhen und Emulsionen zu stabilisieren. Es ist in Seifen, Shampoos, Deodorants, Anti-Falten-Cremes, Feuchtigkeitscremes, Rasierschaum, Sonnenschutzcremes, Gesichtspflegemasken, Lippenstiften, Make-Up und sogar in Badezusätzen für Kleinkinder vorhanden.15

Mikro- und Nanoplastik statt Nährstoffe

Der menschliche Körper wird von allen Seiten mit Plastik bombardiert. Welchen Effekt kann dies auf lange Sicht hin auf unseren Organismus haben? Mehreren Studien zufolge akkumuliert das von einem lebenden Organismus aufgenommene Mikroplastik im Magen-Darmtrakt der jeweiligen Spezies.16-19 Mikroplastik mit einer Größe von über 150 µm kann nicht absorbiert werden und verbleibt in der Darmschleimhaut. Hier führt es zu lokalen Entzündungsreaktionen und beeinflusst das Immunsystem. Sind die Plastikpartikel kleiner als 150 µm, so können sie die Darmbarriere passieren. Es kommt zu einer Endozytose durch Enterozyten, zu einer Transzytose durch die M-Zellen und anschließend zu einer parazellulären Aufnahme.20

Mikro- und Nanoplastik macht keinen Halt vor Organsystemen und der Blutbahn

Die kleine Größe der aufgenommen Plastikpartikel erlaubt es ihnen auch andere Organsysteme zu erreichen. Sie können die Leber, die Milz, das Herz, die Lunge, den Thymus, die Reproduktionsorgane, die Nieren und sogar das Gehirn auf diesem Wege erreichen.21,22 Auch inhaliertes Mikroplastik kann -neben seiner Absorption durch das respiratorische Epithel- einen Effekt auf den Magen-Darm-Trakt und das Immunsystem mit sich führen.23-25 In der Blutbahn angekommen können Mikro- und Nanoplastikpartikel zu einer Dysregulation des Immunsystems führen.

Im kommenden Beitrag schauen wir uns die immunologischen Effekte von Mikro- und Nanoplastik im Detail an.

Referenzen:
1. Han J. et al. (2021). Need for assessing the inhalation of micro(nano)plastic debris shed from masks, respirators, and home-made face coverings during the COVID-19 pandemic. Environ Pollut. 2021;268(Pt B):115728.
2. Hirt N. et al. (2020). Immunotoxicity and intestinal effects of nano- and microplastics: a review of the literature. Part Fibre Toxicol 17, 57 (2020). 
3. Prata JC, da Costa JP, Lopes I, Duarte AC, Rocha-Santos T. Environmental exposure to microplastics: An overview on possible human health effects. Sci Total Environ. 2020; 702:134455.
4. Hantoro I, Löhr AJ, Van Belleghem FGAJ, Widianarko B, Ragas AMJ. Microplastics in coastal areas and seafood: implications for food safety. Food Addit Contam Part Chem Anal Control Expo Risk Assess. 2019;36:674–711.
5. Liebezeit G, Liebezeit E. Non-pollen particulates in honey and sugar. Food Addit Contam Part A Taylor & Francis. 2013; 30:2136–40.
6. Yang D, Shi H, Li L, Li J, Jabeen K, Kolandhasamy P. Microplastic pollution in table salts from China. Environ Sci Technol. 2015; 49:13622–7.
7. Iñiguez ME, Conesa JA, Fullana A. Microplastics in Spanish table salt. Sci Rep. 2017; 7:8620.
8. Karami A, Golieskardi A, Ho YB, Larat V, Salamatinia B. Microplastics in eviscerated flesh and excised organs of dried fish. Sci Rep. 2017; 7:5473.
9. Gündoğdu S. Contamination of table salts from Turkey with microplastics. Food Addit Contam Part Chem Anal Control Expo Risk Assess. 2018; 35:1006–14.
10. Liebezeit G, Liebezeit E. Synthetic particles as contaminants in German beers. Food Addit Contam Part A. Taylor & Francis. 2014; 31:1574–8.
11. Kutralam-Muniasamy G. et al. (2020). Branded milks – are they immune from microplastics contamination? Sci Total Environ. 2020; 714:136823.
12. Prata J. C. (2018). Airborne microplastics: consequences to human health? Environ Pollut. 2018; 234:115–26.
13. Chen G. et al. (2020). Mini-review of microplastics in the atmosphere and their risks to humans. Sci Total Environ. Elsevier. 2020; 703:135504.
14. Strand J. (2014). Contents of polyethylene microplastic in some selected personal care products in Denmark; 2014.
15. Leslie HA. Review of microplastics in cosmetics. IVM Inst Environ Stud. 2014; 476:1–33
16. Deng Y. et al.  (2017). Tissue accumulation of microplastics in mice and biomarker responses suggest widespread health risks of exposure. Sci Rep. 2017; 7:46687.
17. Qiao R. et al. (2019). Accumulation of different shapes of microplastics initiates intestinal injury and gut microbiota dysbiosis in the gut of zebrafish. Chemosphere. 2019; 236:124334.
18. Jin Y. et al. (2019). Impacts of polystyrene microplastic on the gut barrier, microbiota and metabolism of mice. Sci Total Environ. 2019; 649:308–17.
19. Deng Y. et al. (2018). Evidence that microplastics aggravate the toxicity of organophosphorus flame retardants in mice (Mus musculus). J Hazard Mater. 2018; 357:348–54.
20. Powell J. J. et al. (2010). Origin and fate of dietary nanoparticles and microparticles in the gastrointestinal tract. J Autoimmun. 2010;34:J226–3.
21. EFSA. Presence of microplastics and nanoplastics in food, with particular focus on seafood. EFSA J. 2016;14:e04501.
22. Prüst M. et al. (2020). The plastic brain: neurotoxicity of micro- and nanoplastics. Part Fibre Toxicol BioMed Central. 2020; 17:1–16.
23. Smith J. R. H. et al. (2002). A study of aerosol deposition and clearance from the human nasal passage. Ann Occup Hyg Oxford University Press. 2002; 46:309–13.
24. Asgharian B. et al. (2001). Mucociliary clearance of insoluble particles from the tracheobronchial airways of the human lung. J Aerosol Sci Elsevier. 2001; 32:817–32.
25. Enaud R. et al. (2020). The gut-lung axis in health and respiratory diseases: a place for inter-organ and inter-kingdom crosstalks. Front cell infect Microbiol. Frontiers. 2020; 10:9.