Asthma: Diagnoseprävalenz nimmt zu

Kurz vor Weihnachten wurde ein interessantes Stück vertragsärztliche Versorgungsforschung veröffentlicht: die erste bundesweite, flächendeckende Studie zur Schätzung der Morbidität von Asthma in Deutschland auf Kreisebene.

Kurz vor Weihnachten wurde ein interessantes Stück vertragsärztliche Versorgungsforschung veröffentlicht: die erste bundesweite, flächendeckende Studie zur Schätzung der Morbidität von Asthma in Deutschland auf Kreisebene.

Asthma nimmt zu, vor allem unter Erwachsenen. Genauer gesagt: Die Diagnoseprävalenz bei Adulten hat im Beobachtungszeitraum von 2009 bis 2016 um mehr als ein Drittel auf 5,9 % zugenommen. Das ist das Ergebnis einer Studie1 aus dem kassenärztlichen Zentralinstitut (ZI), die vor gut einem Monat veröffentlicht wurde.

Bundesweite Datenbasis: die vertragsärztliche Abrechnung von 2009 bis 2016

Für den Versorgungsatlas-Bericht Nr. 18/08 wurden vertragsärztliche Abrechnungsdaten aller gesetzlich Versicherten in Deutschland ausgewertet. Allein für das Jahr 2016 waren das über 70 Millionen Datensätze (n = 70.416.019). Patienten mit Asthma bronchiale wurden über den ICD-10-Code J45.- identifiziert. Ihr Anteil an allen Versicherten mit mindestens einer vertragsärztlichen Leistungsinanspruchnahme im jeweiligen Kalenderjahr diente zur Bestimmung der Einjahres-Diagnoseprävalenz.

Auf Basis dieser Systematik wurden folgende Ergebnisse errechnet:

Morbidität eher unterschätzt?

Für ihre Prävalenzberechnung haben die Versorgungsforscher das sogenannte M2Q-Kriterum für die Falldefinition benutzt. Dabei werden nur Fälle berücksichtigt, bei denen die entsprechende Kodierung in mindestens zwei Quartalen eines Kalenderjahres erfolgte. Mit diesem Ansatz zur internen Validierung wird die Gefahr des Einschlusses von Fehldiagnosen verringert.

Andererseits ist zu vermuten, dass man sich auf diese Weise der tatsächlichen epidemiologischen Prävalenz bzw. Inzidenz eher von unten nähert. Zumal ambulante Leistungen und Diagnosen aus Selektivverträgen, wie es sie v. a. in Baden-Württemberg und Bayern gibt, im Datenkörper der ZI-Studie fehlen. Eine systematische Verzerrung hinsichtlich einer unterschätzten Morbidität ist damit nicht auszuschließen. In anderen, in der Regel stichprobenbasierten Erhebungen finden sich teilweise höhere Quantitäten. Dafür stimmen die Inzidenzschätzwerte laut den Studienautoren "sehr gut" mit Ergebnissen aus anderen Industrieländern überein, wie z. B. Kanada, USA oder Großbritannien.

Deutlich mehr Asthma-Behandlungen in Großstädten

Übereinstimmung mit der Literatur besteht auch hinsichtlich solcher Assoziationen wie der Effektmodifikation zwischen Geschlecht und Alter oder Stadt-Land-Unterschieden. Die Autoren werten das als einen Beleg für die inhaltliche Validität der von ihnen analysierten Daten. In Großstädten war der Anteil der Asthma-Behandlungen rund 25 % höher als auf dem Land.

Übrigens war zwischen 2009 und 2016 ein kontinuierlicher Rückgang der unspezifischen, nicht kausal differenzierenden Diagnose-Codes (J45.9) von 62 % auf 53 % zu verzeichnen. Zugelegt haben vor allem das nichtallergische Asthma (von 8 % auf 15 %) und die Mischformen (von 6 % auf 9 %), während das vorwiegend allergische Asthma weiterhin knapp ein Viertel aller Kodierungen ausmacht.

Ist der Morbi-RSA ein Grund für die Zunahme?

Der beobachtete Anstieg der Diagnoseprävalenz spricht für eine reale Zunahme der Erkrankungs-  bzw.  Versorgungslast. Oder handelt es sich eher um strukturelle Effekte, etwa aufgrund eines veränderten ärztlichen Kodierverhaltens? Ganz ausschließen wollen bzw. können das die Autoren nicht. Am Morbi-RSA immerhin scheint es in diesem Fall nicht zu liegen: "Der Steigungsverlauf für den Zeitraum 2009 bis 2012, in dem Asthma Bestandteil des Morbi-RSA war, und für 2013 bis 2016, als Asthma nicht mehr im Morbi-RSA gelistet war, weist keinen Unterschied auf."

Und weiter: "Regional war der Anstieg der Diagnoseprävalenz über die Zeit in allen Kreisen und unabhängig vom Wohnort (Kreistyp) zu beobachten. Zwischen den Kreisen variierte jedoch die Prävalenzzunahme. Die relative Steigerung der Diagnoseprävalenz zwischen den Jahren 2009 und 2016 schwankt auf Kreisebene zwischen 4 % und 62 %."

Asthma-Patienten werden älter

Die bundesweite Studie ist die erste ihrer Art "zur Schätzung der kleinräumigen Unterschiede in der Diagnoseprävalenz und -inzidenz von Asthma in Deutschland", wie die Autoren betonen. Die Gründe für die beobachteten Variationen können mit den verfügbaren Daten aber leider nicht näher eruiert werden. Luftverschmutzung und urbaner Stress auf der einen Seite sowie protektive Faktoren – Stichwort "Hygiene-Hypothese" – auf der anderen sind bekanntlich in der Diskussion.

Zum Anstieg der adulten Asthma-Häufigkeit trägt laut der begleitenden ZI-Pressemitteilung "offenbar auch der Anstieg der Lebenserwartung von Patienten mit Asthma nicht unerheblich bei". Ja, das könnte sein. Vielleicht ja auch die Abnahme anderer Diagnosen bzw. Kodierungen. Das könnte man noch besser einschätzen, wenn die Versorgungsforschung nicht so punktuell, sondern ganzheitlicher ausgerichtet wäre. Das gilt aber ja auch für das Versorgungssystem in toto.

Referenzen:
1. Akmatov MK et al. Diagnoseprävalenz und -inzidenz von Asthma bronchiale – Ergebnisse einer Studie mit Versorgungsdaten aller gesetzlich Versicherten in Deutschland (2009-2016). Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi). Versorgungsatlas-Bericht Nr. 18/08. Berlin 2018. doi: 10.20364/VA-18.08

Abkürzungen:
Morbi-RSA = morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich
ZI = Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland