Asthma und Corona-Gefahr: Umstellen auf ICS-freie Medikation?

Sind Patienten mit Asthma oder COPD von COVID-19 besonders bedroht? Und sollten Asthma-Patienten jetzt auf ICS verzichten?

Sind Patienten mit Asthma oder COPD von COVID-19 besonders bedroht? Und sollten Asthma-Patienten jetzt auf ICS verzichten?

Viele Patienten mit respiratorischen Grunderkrankungen machen sich Sorgen, vom neuen Coronavirus besonders bedroht zu sein. Auf eine erhöhte Gefahr für lungenkranke Menschen wird in Medien und Internet immer wieder hingewiesen. Wie hoch ist das Risiko tatsächlich?

RKI zählt Lungenpatienten zur Risikogruppe

Das Robert Koch-Institut zählt in seinem SARS-CoV-2 Steckbrief Personen mit Vorerkrankungen "der Lunge (z. B. Asthma, chronische Bronchitis)" zu den Risikogruppen für schwere Verläufe. Da müssen wohl prinzipielle – und gut nachvollziehbare – Überlegungen eine Rolle spielen, denn an fundierter Evidenz mangelt es in der Frühphase der Pandemie naturgemäß noch.

In drei Publikationen, die wir gesichtet haben, gibt es keine Hinweise auf einen derartigen prädisponierenden Effekt. In einem Patienten-Cluster in Wuhan, dem Ausgangspunkt der Corona-Epidemie, wurde nur in knapp einem Drittel der Fälle (bei 13 von 41 hospitalisierten Patienten) eine Grunderkrankung festgestellt. Dabei ging es, teilweise kombiniert, vor allem um Diabetes, Hypertonie und kardiovaskuläre Krankheiten.1 In einem anderen Paper aus China schlussfolgerten die Autoren nach der Auswertung der klinischen Details von 140 COVID-19-Patienten: "Allergische Erkrankungen, Asthma und COPD sind keine Risikofaktoren für eine SARS-CoV-2-Infektion. Fortgeschrittenes Alter, eine hohe Zahl von Komorbiditäten und auffälligere Abweichungen der Laborbefunde waren mit schweren Verläufen assoziiert."1

"Niedrige Rate an assoziierten respiratorischen Komorbiditäten"

Italienische Wissenschaftler der Universität in Turin zeigten sich kürzlich vom Ergebnis ihres Reviews der existierenden Literatur zum neuartigen Coronavirus überrascht. Denn im Unterschied zu häufig erwähnten kardiovaskulären, gastrointestinalen und endokrinen Krankheiten waren präexistente Lungenerkrankungen wie z. B. COPD, Asthma oder Bronchiektasien "erstaunlicherweise unterberichtet".3 Ob diese "niedrige Rate an assoziierten respiratorischen Komorbiditäten" mit wachsender Evidenz weiterhin Bestand hat, wird sich zeigen. Immerhin kann es im Moment für verängstigte Patienten eine eher beruhigende Nachricht sein – ohne die Dringlichkeit der empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen in irgendeiner Weise abzuschwächen.

Risikofaktor Kreislauf

Für eine gewisse Verunsicherung bei Asthma-Patienten und sicher auch bei einigen Ärzten sorgte vor kurzem auch Deutschlands Chef-Virologe von der Charité, Prof. Christian Drosten, in seinem täglichen NDR-Podcast. In Folge 13 wies er zunächst auf die Kreislaufbelastung durch SARS-CoV-2 und die Manifestation eines erhöhten Risikos für einen schweren Verlauf am Ende der ersten Krankheitswoche hin. Man solle, so der Experte,  "gar nicht so stark immer in Richtung Immunsystem, Immunschädigung denken", sondern viel mehr in Richtung Kreislauf, z. B. bei Patienten mit Angina-pectoris-Beschwerden oder Menschen, die etwa beim Treppensteigen rasch in Atemnot geraten.

Drosten: "Da könnte man im Moment mit seinem Arzt mal drüber reden" …

Anschließend sagte Drosten:

"Und dann haben wir andere Erkrankungen. Die gehen schon ein bisschen mit einer Immunsuppression einher. Aber eigentlich kommt diese Immunsuppression zum Teil auch von einer Behandlung, das ist bei Asthma so. Wir haben Asthma-Patienten, die kennen die Exazerbationen. Das heißt, es kommt eine Erkältungskrankheit – und dann wird das Asthma für Wochen hinterher schlimmer. Wenn das Asthma zum Beispiel durch inhalative Therapie, also durch solche kleinen Inhalatoren, behandelt wird, dann muss man möglicherweise sogar für ein paar Wochen hinterher die Therapie auf ein anderes Asthma-Medikament umstellen. Da könnte man im Moment mit seinem Arzt mal drüber reden, ob man zum Beispiel ein Kortison-Asthma-Medikament ersetzt durch ein Asthma-Medikament, das weniger ins Immunsystem eingreift. Denn diese Kortison-Asthma-Medikamente haben da natürlich eine Wirkung. Aber es gibt dafür keine richtige wissenschaftliche Fundierung. Deswegen kann ich jetzt auch nicht sagen, das muss man umstellen. Das kann kein Mensch sagen, und da ist wirklich der Allgemeinmediziner gefragt. Er kennt seinen Patienten und weiß, wie er auf verschiedene Medikamente reagiert. Da ist man als Asthmatiker, der häufig selber eine lange Krankheitserfahrung hat, auch selber gefragt, sich zu überlegen, ob man mit seiner jetzigen Einstellung der Erkrankung gut zufrieden ist. Viele Asthmatiker merken das im Alltag gar nicht, wenn die Krankheit gut eingestellt ist." 

DGP widerspricht

Vielleicht sind Sie ja auch schon Patienten darauf angesprochen worden. Die DGP hat postwendend in einer Stellungnahme (PDF) – gemeinsam mit GPP und GPA – widersprochen: Eine "adäquate und individuell eingestellte antiasthmatische Inhalations-Therapie (insbesondere auch eine ICS-Therapie)" sollte weder bei Kindern noch bei Erwachsenen mit Asthma wegen der Aussage des Virologen geändert oder gar beendet werden. Denn sonst droht eine mögliche Verschlechterung des Asthmas mit eigentlich unnötigen Arztbesuchen oder sogar Krankenhausaufenthalten. Diese Gefahr bewerten die Experten höher als "ein mögliches, gleichwohl unbelegtes Risiko" einer erhöhten Ansteckungsgefahr mit SARS-CoV-2 bei kortisonhaltigem Inhalationsregime.

Referenzen:
1. Zhang JJ et al. Clinical characteristics of 140 patients infected with SARS-CoV-2 in Wuhan, China. Allergy 2020. doi: 10.1111/all.14238
2. Huang C et al. Clinical features of patients infected with 2019 novel coronavirus in Wuhan, China. Lancet 2020;395(10223):497-506
3. Lupia T et al. 2019 novel coronavirus (2019-nCoV) outbreak: A new challenge. J Glob Antimicrob Resist 2020;21:22-7

Abkürzungen:
DGP = Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V.
GPA = Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin e. V.
GPP = Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie e. V.
ICS = inhalative Kortikosteroide