Bekommen auch wir bald italienische Verhältnisse?

In Deutschland sorgt momentan noch die Ansetzung von "Geisterspielen" im Fußball für reichlich Diskussionsstoff. Der Charité-Chefvirologe mahnt dagegen die beobachtete Sorglosigkeit in der besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppe der Senioren an.

In Deutschland sorgt momentan noch die Ansetzung von "Geisterspielen" im Fußball für reichlich Diskussionsstoff. Der Charité-Chefvirologe mahnt dagegen die beobachtete Sorglosigkeit in der besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppe der Senioren an.

Man stelle sich vor, es ist Epidemie und keiner geht hin. Diese Überlegung hat gerade eben KBV-Chef Dr. Andreas Gassen in einem Focus-Interview aufgrund der geringen Realisierungschance verworfen: "Natürlich wäre es einfach, wenn jeder in Deutschland jetzt drei Wochen zuhause bliebe. Dann hätte sich das Thema Virus erledigt, weil niemand mehr jemanden anstecken könnte. Vorausgesetzt, es reist auch niemand mehr nach Deutschland ein. Aber das ist natürlich ein unrealistisches Szenario."

Andererseits: In Teilen wird der Vorschlag bereits umgesetzt. Großveranstaltungen und Kongresse werden abgesagt, Schulen geschlossen, Starttermine für das Sommersemester verschoben und sogar Geisterspiele in der Bundesliga angeordnet. Kommentar der Bundeskanzlerin in einer ebenfalls gerade erfolgten Pressekonferenz: "Fußballspiele vor leeren Rängen sind nicht das Schlimmste, was dem Land passieren kann."

Zeigt der Blick nach Italien Deutschlands nahe Zukunft?

Das stimmt wohl, es droht weitaus Ärgeres: Folgt Deutschland der Entwicklung Italiens? Diese auf rp-online.de thematisierte Frage ist berechtigt. Chefreporter Gregor Mayntz schreibt dazu: "Die Coronavirus-Entwicklung in Italien scheint ein Blick in Deutschlands nahe Zukunft zu sein. Über Wochen hielt sich in Deutschland die Einschätzung, Italien habe die Corona-Infektionen nicht im Griff, und im Unterschied zu den südlichen Partnern schafften es die Behörden hierzulande, die Ausbreitung der Pandemie zu verlangsamen. Je mehr Daten über die Entwicklung vorliegen, desto fragwürdiger ist diese Auffassung. In Italien lagen zehn Tage zwischen der Ausbreitung von drei auf 1.100 Infizierte. Mit einwöchiger Verzögerung vergingen in Deutschland zwölf Tage zwischen drei und 1.100 Infizierten."

Jetzt sind wir schon bei mehr als 1.500 bestätigten Infektionen mit Sars-CoV-2 in Deutschland, rund 700 davon in NRW. Dort kam es auch zu den ersten drei Todesfällen hierzulande (alle im Alter über 70 Jahre), davon einer in Essen und zwei im Landkreis Heinsberg, den das RKI als besonders betroffenes Gebiet in Deutschland deklariert. Die Einstufung als Risikogebiet wurde in Italien inzwischen auf das ganze Land ausgeweitet. Immerhin gibt es bislang noch einen großen Unterschied zwischen beiden Ländern: Die Zahl der Sterbefälle ist in Italien von Anfang an drastisch angestiegen und liegt jetzt schon bei über 630. Bei mehr als 10.000 gemeldeten Infektionen würde das einer Sterberate von rund 6% entsprechen.

Mortalität bis zu 25%?

Wodurch könnte diese bedenklich hohe Mortalität bedingt sein? Zunächst ist fraglich, ob diese Momentaufnahme wirklich dem wahren Bild entspricht, da möglicherweise viel mehr Menschen als offiziell bestätigt mit dem neuen Coronavirus infiziert sein können. Dass das Virus in Italien erst spät entdeckt wurde, sieht RKI-Chef Prof. Lothar Wieler als Grund für die hohe Zahl an Toten im Verhältnis zu den Erkrankten. Zu den Ursachen der schnellen Virusausbreitung im mittlerweile abgeriegelten Italien äußerte sich Wieler in einem Update zur Corona-Lage nicht. Das RKI schätzt die Gefahr im Heinsberg als hoch und für ganz Deutschland bisher als mäßig ein.

Der Leiter der Charité-Virologe Prof. Christian Drosten mahnt, auch aufgrund von Beobachtungen im eigen Umfeld, zu weniger Sorglosigkeit und verstärkte Schutzmaßnahmen in der älteren Bevölkerung an: "Sie haben noch nicht verstanden, dass sie die wirklich Betroffenen sind und dass ihr Sozialleben jetzt für einige Monate aufhören muss." Nachdruck verleihen dieser Aufforderung die präzisieren Zahlen zur Sterblichkeit, die er kürzlich präsentierte (n-tv.de): 20–25% im Alter über 80 Jahre, 7–8% im Alter zwischen 70 und 80 Jahren und 3% im Alter zwischen 60 und 70 Jahren.

Keine Entwarnung für Frühjahr und Sommer

Der Hoffnung auf ein Einknicken der Epidemie in der wärmeren Jahreszeit versetzt der Virologe aufgrund von Modellrechnungen einen Dämpfer. Er geht von einer direkt durchlaufenden Infektionswelle aus: "Das heißt, wir müssen damit rechnen, dass ein Maximum von Fällen in der Zeit von Juni bis August auftreten wird."

Teil 2 des Beitrags folgt

Abkürzungen:
KBV = Kassenärztliche Bundesvereinigung
RKI = Robert Koch-Institut