Kill Asthma mit KI?

Funktioniert die Asthma-Diagnose künftig über einen Bluttest?

Funktioniert die Asthma-Diagnose künftig über einen Bluttest?

Nur noch zwei Wochen bis zum Jahreswechsel. Sie haben hoffentlich alles gut im Griff und lassen sich vom üblichen Weihnachtsstresswahnsinn nicht anstecken. Was fällt Ihnen rückblickend auf dieses Jahr als Erstes ein, wenn Sie so an die (fach-) mediale Berichterstattung denken? Zwei "Ks" tauchen in unserer Liste recht weit oben auf: Klimawandel und Künstliche Intelligenz (KI).

Greta-Gate – wenig intelligent …

Ob der Mitarbeiter (generisches Maskulinum!) der Deutschen Bahn, der für die Twitter-Kommunikation und damit für das Greta-Gate (spiegel.de, welt.de) verantwortlich ist, auch im neuen Jahr noch seinem Job frönen darf, wissen wir nicht. Dass beim kommunikativen Umgang mit dem nun weltweit bekannten Tweet der Klimaaktivistin aus dem überfüllten ICE weder künstliche noch soziale Intelligenz federführend mitgewirkt hat, ist offensichtlich. Und jetzt hat die DB auch noch ein Datenschutz-Problem …

Wenngleich die Thematik sehr ergiebig ist (nicht nur für Nuhr), geht es in unserem Blog-Beitrag nicht um Greta und den Klimawandel, sondern um Asthma – und künstliche Intelligenz.

Ist die KI eine Job-Gefahr?

Angenommen, man bräuchte zur Asthma-Diagnose nur einen Tropfen Blut, wie kürzlich bei esanum und auf aerztelbatt.de zu lesen war – das könnte dann auch der Hausarzt. Und wenn schon die Diagnose KI-gestützt erfolgt, müsste das ja für die Behandlung – und für andere Indikationen – auch bald möglich sein. Wie ist es da um die Zukunft der Pneumologen-Zunft bestellt?

Sorgen um seinen Facharzt-Job wird man sich erstmal sicher keine machen müssen, jedenfalls nicht wegen der KI. Im Gegenteil: "Wenn sich solche Diagnose-Programme etablieren, werden sie den Arzt nicht ersetzen (sofern nicht politisch/wirtschaftlich gewollt). Sie könnten aber seine Fähigkeiten ergänzen und ihm – richtig eingesetzt – mehr Zeit für das Menschliche in seiner ärztlichen Arbeit mit dem Patienten verschaffen." Kommt Ihnen das Zitat bekannt vor?

Uns schon, denn wir haben es selbst geschrieben: vor gut drei Jahren, in den Anfängen dieses Blogs. Im Beitrag Verbessert künstliche Intelligenz die pneumologische Diagnose? ging es um einen an der Katholischen Universität im belgischen Leuven entwickelten selbstlernenden Algorithmus. Dieser schlägt anhand einer antrainierten Mustererkennung nach der Analyse von klinischen und Lungenfunktionsdaten die wahrscheinlichste Diagnose vor.1

Lufu-Beurteilung: 100% Mustererkennung, 82% korrekte Diagnose

Der im Blog-Beitrag angekündigte Schritt ist nun gegangen und publiziert2 worden: 120 Pneumologen (73% "Senior", 27% "Junior") aus 16 europäischen Kliniken (inklusive Marburg) evaluierten 50 Fälle, bei denen Lungenfunktionstests und klinische Informationen vorlagen. Damit ergaben sich 6.000 unabhängige Interpretationen. Die KI-Software analysierte dasselbe Datenmaterial. Als Goldstandard für die Beurteilung der Lufu-Muster dienten die ATS/ERS-Leitlinien. Für den Diagnose-Goldstandard wurden Krankengeschichte, Lufu und alle Zusatzuntersuchungen herangezogen.

Das Ergebnis: Bei der Beurteilung der Lufu-Muster durch die Pneumologen gab es einen hohen Grad an Übereinstimmung, einerseits mit den Leitlinien (in 74% der Fälle) und andererseits untereinander (niedrige Interobserver-Variabilität mit kappa = 0,67). Eine korrekte Diagnose wurde dagegen nur in knapp 45% der Fälle gestellt und die Interobserver-Variabilität war hier größer (kappa = 0,35). Die KI-gestützte Software schnitt dagegen bei der Musterinterpretation mit perfekten 100% und bei der korrekten Diagnosestellung mit einer fast doppelt so hohen Trefferquote (82%) ab. Die Überlegenheit der KI war in beiden Fällen hoch signifikant und qualifiziert sie als "mächtiges Entscheidungshilfeinstrument", um die Ergebnisse in der klinischen Praxis zu verbessern.

Blut-Schnelltest noch nicht praxisreif

In der klinischen Praxis ist die oben erwähnte Asthma-Diagnose per Blutstropfen noch nicht angekommen, auch wenn der Titel der zugehörigen Pressemitteilung der Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie und Zelltechnik EBM das im Brustton der Überzeugung so suggerieren mag ("Schnelltest für die Asthma-Diagnose").

Der Ansatz der Wissenschaftler besteht darin, die Immunzellen aus dem Tropfen Blut unter einem holografischen Mikroskop bzw. Zellscanner, das speziell für diesen Zweck entwickelt wurde, etwa 90 Minuten lang zu beobachten. Anhand der Bewegungsmuster der automatisch, dreidimensional und in Echtzeit getrackten Zellen wird dann mithilfe von künstlichen neuronalen Netzen und selbstlernenden Machine Learning Algorithmen eingeschätzt, ob eine Asthmaerkrankung vorliegt. "Bei Asthma ist die Bewegung der Immunzellen stark verlangsamt, wenn sie einen Entzündungsreiz erfahren", wird der Arbeitsgruppenleiter Dr. Daniel Rapoport zitiert.

Der Schnelltest wird (Präsens!) von der Arbeitsgruppe Zellprozessierung am Lübecker Fraunhofer EBM in Zusammenarbeit mit zwei Hightech-Unternehmen aus Schleswig-Holstein entwickelt. Das Forschungsprojekt trägt den anspruchsvollen Namen "Kill Asthma". Auf der zugehörigen Webseite findet sich die folgende Abbildung zum Prinzip des Verfahrens:

asthma.JPG

Quelle: Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie und Zelltechnik EMB, Forschungsprojekt "Kill Asthma"

"Kill Asthma" – (auch) ein Prestige-Projekt

Der wissenschaftliche Ansatz geht auf die Vorarbeit US-amerikanischer Forscher zurück, die 2014 feststellten, dass sich die veränderte bzw. stark verlangsamte Chemotaxis neutrophiler Granulozyten als potenzieller Biomarker für Asthma in Abgrenzung zur allergischen Rhinitis eignet.3 Eine Publikation der deutschen Arbeitsgruppe steht offenbar noch aus. Stattdessen freut man sich schon mal über erste erfolgreich abgeschlossene Tests und dass "die Bildauswertung ergab, dass unser holografisches Mikroskop einem Hochleistungsmikroskop überlegen ist." Schließlich geht es auch um Politik und das von ihr zu verteilende Geld. Das KillAsthma-Projekt wird vom Land Schleswig-Holstein gefördert und im Rahmen der medialen Bewerbung seiner KI-Strategie stolz präsentiert ("Künstliche Intelligenz – Lübeck mischt vorne mit").

Wir halten fest: Wenn es mal soweit ist, freuen wir uns über die Möglichkeit eines zusätzlichen Schnelltests in der klinischen Routine der Asthma-Diagnostik, die dadurch vielleicht etwas akkurater, aber immer noch fachärztlich betrieben wird.

Wir wünschen Ihnen fröhliche Weihnachten, ruhige Festtage im Kreise Ihrer Liebsten, einen gesunden Rutsch ins neue Jahr und alles Gute für 2020!

Herzlichst, Ihre
Dr. Hubertus Glaser & Dr. Jörg Zorn

Referenzen:
1. Topalovic M et al. Automated Interpretation of Pulmonary Function Tests in Adults with Respiratory Complaints. Respiration 2017;93(3):170-8
2. Topalovic M et al. Artificial intelligence outperforms pulmonologists in the interpretation of pulmonary function tests. Eur Respir J 2019;53(4). pii:1801660
3. Sackmann EKH et al. Characterizing asthma from a drop of blood using neutrophil chemotaxis. Proc Natl Acad Sci U S A. 2014;111(16):5813-8

Abkürzungen:
ATS = American Thoracic Society
ERS = European Respiratory Society