Lungenkarzinom: Immuntherapie auch bei Patienten mit Autoimmunerkrankung?

Eine beim ASCO 2019 präsentierte Beobachtungsstudie beschäftigte sich mit der Frage, ob Checkpoint-Inhibitoren auch bei bestehender Autoimmunerkrankung eingesetzt werden können.

Eine beim ASCO 2019 präsentierte Beobachtungsstudie beschäftigte sich mit der Frage, ob Checkpoint-Inhibitoren auch bei bestehender Autoimmunerkrankung eingesetzt werden können.

Über Neuigkeiten vom ASCO 2019 zur Immuntherapie beim Lungenkarzinom haben wir kürzlich berichtet. Wir schieben jetzt noch eine interessante Studie nach, die dort präsentiert wurde. Dabei geht es um die Frage, ob auch Lungenkarzinom-Patienten mit präexistenter Autoimmunerkrankung mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) behandelt werden können. Diese Patientengruppe wird aus klinischen Studien bisher ausgeschlossen, sie macht aber durchaus einen relevanten Anteil am Gesamtkollektiv aus. Deshalb findet in der realen Praxiswelt auch häufig eine Behandlung mit den Immuntherapeutika statt, wenn die Hoffnung auf therapeutischen Erfolg gegenüber der Befürchtung einer möglichen Verschlimmerung der Immunsituation überwiegt.

Evidenz bisher nur aus retrospektiven Studien erhältlich

Zur Beantwortung der Frage, ob diese Befürchtung zurecht besteht, müssen also vorerst retrospektive Studien herhalten, von denen einige initiiert worden sind. Schon im vergangenen Jahr hat ein Paper1 die vorläufige Evidenz so zusammengefasst: Die Autoimmunität wird durch den ICI-Einsatz zwar oft exazerbiert, ist im Allgemeinen aber mit den üblichen Behandlungsalgorithmen und engem multidisziplinärem Monitoring gut handhabbar. Die Wirksamkeit der Immuntherapie scheint bei AD-Patienten mit derjenigen im gesamten Patientenkollektiv vergleichbar zu sein.

Dieses Bild wird von der beim diesjährigen ASCO Annual Meeting präsentierten Studie2 bestätigt. An der retrospektiven Beobachtungskohortenstudie waren u. a. Wissenschaftler der FDA und der ASCO beteiligt. Die Real-World-Daten entstammen der CancerLinQ-Datenbank der ASCO. Ein Kollektiv von 2.425 Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC (Stadium III oder IV) und mindestens einer ICI-Dosis sowie zwei Besuchen zwischen Januar 2011 und November 2018 wurde in zwei Kohorten unterteilt: mit und ohne Autoimmunerkrankung (AD). Die Bestimmung des AD-Status vor ICI-Therapie erfolgte anhand der ICD-9/ICD-10-Codes oder der dokumentierten AD-Medikation (einschließlich Steroiden). Als aktive AD wurde der entsprechende Nachweis im Jahr vor Beginn der ICI-Therapie definiert.

Keine signifikanten Unterschiede bezüglich Therapiedauer und Überleben

Die beiden Kohorten wurden in vier Endpunkten miteinander verglichen: Zeit bis zum Therapieabbruch (TTD), Zeit bis zum Therapiewechsel (TTNT), reales progressionsfreis Überleben (rwPFS) und Gesamtüberleben (OS). Ein ganzes Fünftel (22%) des Patientenkollektivs wies eine Autoimmunerkrankung vor Beginn der ICI-Therapie auf. Bei den Endpunkten (jeweils mediane Werte) gab es aber keine signifikanten Unterschiede:

Es war also, bei einem medianen Gesamtüberleben von 12,4 Monaten, kein Zusammenhang zwischen AD-Status und Outcome erkennbar, zumindest nicht bei diesen vier Parametern. Auch nicht, was die unerwünschten Ereignisse (AE) anbelangt: Ihre Rate war in der AD-Gruppe nicht erhöht. In einer Subgruppenanalyse von Patienten mit aktiver AD wurden allerdings vermehrt endokrine, gastrointestinale und hämatologische Nebenwirkungen beobachtet. Diese Erkenntnis deckt sich mit der Erfahrung aus früheren Studien.

ICI-Einsatz nach individueller Abwägung und entsprechender Aufklärung

Freilich sind weitere Studien nötig, um die Auswirkungen einer aktiven AD auf das AE-Risiko und das Outcome für die Patienten besser zu verstehen. Eine bestehende Autoimmunerkrankung spricht aber offenbar zunächst einmal nicht gegen die Anwendung von Immuntherapeutika. Dass man die Patienten vorher über das erhöhte Risiko des Auftretens von (weiteren, medikamentenbedingten) Autoimmunerkrankungen aufklärt, versteht sich von selbst. Prof. Frank Griesinger (Oldenburg), der die Studie auf der deutschen ASCO Direct-Plattform präsentiert, merkt noch an, dass er ICI bei Lungenfibrosen eher nicht für geeignet hält.

Normalerweise dürfte der Nutzen des Progressionsaufschubs das zumeist geringere, da kontrollierbare Übel immunbezogener Nebenwirkungen überwiegen. Bei schwerer AD sollte man aber auf Einzelfallbasis andere Therapieoptionen, etwa eine Chemotherapie in der Erstlinie, in Erwägung ziehen. Beim Einsatz von ICI bei AD-Patienten liegt es zudem nahe, Einzelpräparate statt einer Kombinationstherapie zu bevorzugen, wenn man die Wahl hat.3 Schließlich bezieht sich der additive Effekt der ICI-Kombinationstherapie leider nicht nur auf die Wirkung, sondern auch auf die damit ausgelösten Autoimmunphänomene.

"Gender-Effekt in der Immunonkologie": erhöhte irAE-Rate bei Frauen

Dass sich die Entwarnung durch die retrospektive Evidenz vor allem auf höhergradige immunbezogene Nebenwirkungen (irAE) bezieht, macht die aktuelle Auswertung von Real-World-Daten4 durch eine italienische Autorengruppe deutlich. Bei dem Studienkollektiv handelte es sich um 751 mit PD-1-Inhibitoren behandelte Krebspatienten, von denen zwei Drittel ein Lungenkarzinom hatten. In dieser Beobachtungsstudie war ein gutes Zehntel (11%) der Patienten von einer präexistenten AD betroffen.

Auch in dieser Kohorte gab es im Verglich mit den Patienten ohne AD keine signifikanten Unterschiede bezüglich der Inzidenz von irAE Grad 3/4, der objektiven Ansprechrate zwischen den Subgruppen sowie PFS und OS. Die irAE-Gesamtrate war allerdings durchaus signifikant höher als bei den Patienten ohne AD (66% vs. 40%). In der multivariaten Analyse wurde für folgende Parameter eine signifikante Korrelation mit einer erhöhten irAE-Inzidenz ermittelt: inaktive und aktive präexistente AD, weibliches Geschlecht und ECOG-Status < 2.  In ihrer Schlussfolgerung bemerken die Autoren: "Die Beobachtung einer größeren irAE-Inzidenz bei weiblichen Patienten zählt zu den 'heißen Themen' der geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Immunonkologie."

Referenzen:
1. Johnson DB et al. Immune Checkpoint Inhibitor Therapy in Patients With Autoimmune Disease. Oncology (Williston Park) 2018;32(4):190-4
2. Khozin S et al. Real-world outcomes of patients with advanced non-small cell lung cancer (aNSCLC) and autoimmune disease (AD) receiving immune checkpoint inhibitors (ICIs). J Clin Oncol 2019;37(15_suppl):110. doi:10.1200/JCO.2019.37.15_suppl.110
3. Davis EJ, Johnson DB. Is Immunotherapy Safe in Patients With Autoimmune Disease? ASCO Daily News. May 22, 2019. https://dailynews.ascopubs.org/do/10.1200/ADN.19.190252/full/
4. Cortellini A et al. Clinical Outcomes of Patients with Advanced Cancer and Pre-Existing Autoimmune Diseases Treated with Anti-Programmed Death-1 Immunotherapy: A Real-World Transverse Study. Oncologist 2019;2(6):e327-37. doi:10.1634/theoncologist.2018-0618

Abkürzungen:
ASCO = American Society of Clinical Oncology
ECOG = Eastern Cooperative Oncology Group
FDA = Food and Drug Administration (US-amerikanische Behörde für Lebensmittel- und Arzneimittelsicherheit)
NSCLC = nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom