Neues aus Nizza: pulmonale Hypertonie und COPD

Beim 6. Weltsymposium zur pulmonalen Hypertonie wurde im vergangenen Jahr nicht nur die Definition der pulmonalen Hypertonie geändert, sondern auch eine differenzialdiagnostische Hilfestellung zur Unterscheidung zwischen PAH und PH bei COPD erarbeitet.

Beim 6. Weltsymposium zur pulmonalen Hypertonie wurde im vergangenen Jahr nicht nur die Definition der pulmonalen Hypertonie geändert, sondern auch eine differenzialdiagnostische Hilfestellung zur Unterscheidung zwischen PAH und PH bei COPD erarbeitet.  

Im vorletzten Beitrag drehte sich die Frage 2 zum Thema COPD und Herz um die pulmonale Hypertonie. Darauf kommen wir jetzt nochmal zurück – und reisen nach Nizza, wenn auch leider nur gedanklich. An der schönen Côte d’Azur fand im letzten Jahr das 6. Weltsymposium zur pulmonalen Hypertonie (WSPH) statt. Dabei präsentierten 124 Experten in 13 Arbeitskreisen ihre konsentierten Meinungen einer 1.376 Teilnehmer umfassenden Zuhörerschaft.1  Für den Praktiker stellt sich die Frage: Was ist neu und relevant?

Neue Leitlinien?

Die Ergebnisse dieser alle 5 Jahre tagenden Weltkonferenz beinhalten etliche klare Aussagen und wurden als "Proceedings" im European Respiratory Journal veröffentlicht. Die ERS/ESC-Leitlinien aus dem Jahr 2015 sind aber noch gültig, die nächste Version ist für das kommende Jahr anvisiert.

Neue Klassifikation der PH?

Eine gute Nachricht: Die Struktur der klinischen Klassifikation aus den Leitlinien von 2015 bleibt in den aktuellen WSPH Proceedings erhalten, wir müssen nicht umlernen.2 Es gelten weiterhin die bekannten fünf klinischen PH-Gruppen:

  1. pulmonalarterielle Hypertonie (PAH),
  2. PH bei Linksherzerkrankungen,
  3. PH bei Lungenerkrankungen oder Hypoxie,
  4. PH bei Lungenarterienobstruktionen (z. B. chronische thromboembolische PH/CTEPH),
  5. PH mit unklaren oder multifaktoriellen Mechanismen.

Eine aktuelle Änderung betrifft die Klassifizierung von PAH-Patienten, die bei der pharmakologischen Austestung die Responder-Kriterien erfüllen und längerfristig mit hoch dosierten Kalziumkanalantagonisten therapiert werden. Sie bilden künftig eine eigene PAH-Subgruppe, um die Bedeutung der pharmakologischen Testung während der diagnostischen Rechtsherzkatheter-Untersuchung und die Responder-Identifizierung zu betonen. Behandlungserfolg und Prognose sind in diesen Fällen bekanntlich recht gut.

Neue Definition der PH?

Ja, tatsächlich. Die Grenze für den pulmonalen Mitteldruck wird laut publizierter Empfehlung der zuständigen Arbeitsgruppe auf 20mmHg gesenkt. Wie zu lesen war, soll dieser Vorschlag in Nizza bei einer Abstimmung im Auditorium vom Großteil der anwesenden Kollegen wegen befürchteter Überdiagnosen abgelehnt worden sein.3  

Die Definition der PH ist damit bereits zum zweiten Mal innerhalb der letzten 10 Jahre geändert worden. Ein kurzer historischer Rückblick:

Die vorgeschlagene hämodynamische PH-Definition lautet nun also:2

Bezeichnung:

Hämodynamik:

präkapilläre PH

mPAP > 20mmHg, PAWP < 15mmHg, PVR ≥ 3 WU

isolierte postkapilläre PH (ipcPH) 

mPAP > 20mmHg, PAWP > 15mmHg, PVR < 3 WU

kombinierte prä- und postkapilläre PH (cpcPH)

mPAP > 20mmHg, PAWP > 15mmHg, PVR ≥ 3 WU

(Abkürzungen s.u.)

Wie kommen die WSPH-Experten auf die Idee der Grenzwert-Absenkung auf 20mmHg? So ganz aus der Luft gegriffen ist das nicht, denn der mPAP-Durchschittswertwert beträgt bei Gesunden 14mmHg mit einer Standardabweichung von 3mmHg. Für pathologische Verhältnisse gilt: Mittelwert plus zweifacher Standardabweichung. Die 20mmHg sind daher als Grenzwert weniger willkürlich als die bisherigen 25mmHg. Außerdem hat sich der Grenzbereich in diversen Studien bereits als prognostisch relevant gezeigt. Morbidität und Mortalität steigen im Krankheitsverlauf ab 20mmHg an. Vom Vorliegen einer PAH kann man angesichts der vielen Begleiterkrankungen im Patientenkollektiv dabei allerdings nicht ausgehen.3,4

Medikamentöse Therapie jetzt schon bei mPAP über 20mmHg?

In der Praxis stehen wir jetzt jedenfalls vor einem Dilemma: Die Änderung der hämodynamischen Definition bedeutet nicht, dass Patienten mit einem mPAP unter 25mmHg jetzt mit PAH-Medikamenten behandelt werden sollen. Das ist schon allein deshalb schwierig, weil keines der verfügbaren PAH-Medikamente im Druckbereich zwischen 20 und 25mmHg getestet und zuge­lassen worden ist. Es besteht also ein großer Bedarf an klinischen Studien mit Patienten mit milder präkapillärer PH, bevor eine entsprechende Therapie empfohlen werden kann. Man hätte also mit der neuen Definition vielleicht doch bis zum nächsten Weltsymposium warten sollen …

Die Indikation für eine zielgerichtete PAH-Therapie orientiert sich also vorerst weiterhin am 25mmHg-Grenzwert. Dafür gibt es jetzt ein bisschen mehr Kommunikations- und vor allem Abklärungsbedarf bei Patienten mit milder mPAP-Erhöhung. Viel häufiger als ein pulmonal vaskuläres Problem wird eine kardiale oder pulmonale Grunderkrankung die Ursache sein, wodurch sich jeweils ein unterschiedlicher Therapiezugang ergibt.

Aus pneumologischer Sicht ist vor allem die Gruppe 3 der PH-Klassifikation im Kontext einer COPD relevant: Bei 90% der Patienten mit schwerer COPD ist der pulmonale Mitteldruck – meist nur moderat – erhöht. Der Anteil an COPD-Patienten mit schwerer PH (mPAP > 35mmHg in Ruhe) liegt bei 1–5%. Angesichts von rund 6 Mio. COPD-Kranken sind das beträchtliche Zahlen.4 Rarefizierung und zunehmende Steifigkeit der Lungengefäße sind für den raschen und starken Druckanstieg verantwortlich, der bei COPD-Patienten unter Belas­tung oft zu verzeichnen ist.

"Pulmonalvaskulärer Phänotyp der COPD": wie abgrenzen von PAH?

Wie ist es zu deuten, wenn COPD-Patienten keine starke Atemflusseinschränkung, aber eine ausgeprägte Hypoxämie und Diffusionskapazität aufweisen? Dann kann es sich um den postulierten pulmonalvaskulären Phänotyp der COPD handeln, bei dem die Patienten laut Prof. Stefan Krüger (Florence Nightingale Krankenhaus, Düsseldorf) "keine schwere Bronchialerkrankung, sondern eher ein kardiovaskuläres Problem" haben. "Wenn Sie bei ihnen eine Spiroergometrie machen, ist die Belastbarkeit nicht pulmonal limitiert, sondern kardial", so der klinische Kollege. Die vaskulären Veränderungen ähneln denen bei der idiopathischen PH und das Sterblichkeitsrisiko wird eher durch die PH dominiert als durch die FEV1.4

Die Unterscheidung zwischen primärem vaskulärem oder pulmonalem Problem bzw. zwischen Gruppe 1 oder 3 der PH-Klassifikation ist nicht immer trivial, aber wichtig. Eben, weil es für die PAH etablierte und zugelassene Medikamente sowie validierte Therapiealgorithmen gibt. Und hier kommt aus Nizza noch eine praxisrelevante Hilfestellung für die Differenzialdiagnose:5

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Modifiziert nach Nathan et al 20195

Referenzen:
1. Galiè N et al. An overview of the 6th World Symposium on Pulmonary Hypertension. Eur Respir J 2019;53(1):1802148. doi:10.1183/13993003.02148-2018
2. Simonneau G et al. Haemodynamic definitions and updated clinical classification of pulmonary hypertension. Eur Respir J 2019;53(1). pii:1801913. doi:10.1183/13993003.01913-2018
3. Bock S. Pulmonale Hypertonie: Vorstoß zu niedrigerem Grenzwert kommt verfrüht. Medical Tribune, 23.04.2019 (medical-tribune.de; Zugriff am 27.08.2019)
4. Arand M. Pulmonale Hypertonie: Vorstoß zu niedrigerem Grenzwert kommt verfrüht. Medical Tribune, 28.03.2019 (medical-tribune.de; Zugriff am 27.08.2019)
5. Nathan SD et al. Pulmonary hypertension in chronic lung disease and hypoxia. Eur Respir J 2019;53(1):1801914.  doi:10.1183/13993003.01914-201

Abkürzungen:
FEV1 = forciertes exspiratorisches Volumen in einer Sekunde (Einsekundenkapazität)
mPAP = mittlerer pulmonal-arterieller Druck
PAPW = pulmonal-arterieller Verschlussdruck
PH = pulmonale Hypertonie
PVR = pulmonaler Gefäßwiderstand
WU = Wood-Einheiten (Wood Units)