Nicht zu unterschätzen: der Einfluss des Darms auf die Lunge

Weil Lunge und Darm(flora) miteinander zusammenhängen, kommen Probiotika zur Asthma-Prävention und -therapie infrage.

Weil Lunge und Darm(flora) miteinander zusammenhängen, kommen Probiotika zur Asthma-Prävention und -therapie infrage.

Wir kommen nochmal auf die Verbindung zwischen Lunge und Darm zu sprechen, die natürlich über die nicht so seltene Koexistenz von Reflux und Asthma bzw. COPD hinausgeht. Saisonal passt das ohnehin ganz gut, weil beide Organe in diesen weihnachtlichen Wintertagen häufig stark beansprucht werden: im Fall der Lunge unfreiwillig durch Erkältungs- oder gar Grippeviren, im Fall des Darms mindestens semi-freiwillig durch kulinarisch reichhaltige Weihnachtsfeiern.

Ontogenetisch betrachtet beginnen die pulmo-gastrointestinalen Zusammenhänge ja schon sehr frühzeitig. Wann und wie bzw. wo wird nochmal der Atemtrakt angelegt?

Die Lunge – eine Darmabfaltung

Richtig, in der 4. Woche der Embryonalentwicklung, als Abfaltung vom Vorderdarm (wir haben sicherheitshalber nochmal nachgeschaut). Die Lungenentwicklung zieht sich bis ins achte Lebensjahr hin und schließt ab, wenn sich alle Alveolen ausgebildet haben, deren Zahl auf etwa 300 Millionen geschätzt wird.

Das ist reichlich, aber immer noch recht wenig im Vergleich zur Gesamtzahl der Körperzellen und erst recht der Mikroorganismen, die wir mit uns herumschleppen. Angesichts der quantitativen Überlegenheit körperfremder Zellen im menschlichen Organismus stellt sich die Frage: Wer bin ich und wie viele sind die Anderen? Um nicht zu fragen: Bin ich auch die Anderen? Letzteres muss wohl bejaht werden, schließlich ist das persönliche Mikrobiom eine individuelle (und familiäre) Angelegenheit, verantwortlich für zahlreiche physiologische und pathologische Wechselbeziehungen im Körper, von denen immer mehr aufgedeckt werden.

Mehr Bakterien als Körperzellen

Nur nebenbei bemerkt: Seit den 1970er Jahren geht man davon aus, dass sich das Verhältnis zwischen Bakterien und Körperzellen in einer Größenordnung von 10:1 bewegt. Laut einer im letzten Jahr publizierten Studie1 gilt das nur unter Nichtberücksichtigung der kernlosen Elemente der Menschenzellmenge. Die israelischen Autoren postulieren im Abgleich mit Studien und Zählungen folgende Quantitäten: 30 Billionen Körperzellen – davon 84% (25 Billionen) rote Blutkörperchen und 6% Thrombozyten – stehen 39 Billionen Bakterien auf oder im Körper (vor allem im Dickdarm) gegenüber.

Alles ungefähr, versteht sich, und mit einer Unsicherheitsspanne von 25%. Die zelldemografischen Verhältnisse sind alles andere als statisch. Schon der tägliche Stuhlgang sorgt nach Meinung der Wissenschaftler für eine Fluktuation von etwa einem Drittel der Dickdarm-Bakterien. In pathologischen Situationen wie z.B. Durchfall kommt es zu noch deutlich dramatischeren Verschiebungen. Auch medizinische Maßnahmen wie Antibiotika-Einnahme oder Darmentleerung zwecks Koloskopie können das Verhältnis Bakterien versus Körperzellen stunden- bis tagelang unter 1 drücken.

Je vielfältiger die Bakterienflora, desto besser: Das gilt nicht nur für das enterale Mikrobiom, ist hier aber am besten untersucht. Eine verminderte Biodiversität geht häufig einer Allergie voraus. Diese Beobachtung unterstützt den angenommenen Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Zudem lassen die Ergebnisse von Studien zum Nutzen von Prä- und Probiotika bei Atemwegserkrankungen auf einen kausalen Zusammenhang schließen.2

Frühes Zeitfenster für erhöhtes Allergie- und Asthma-Risiko

Ob sich bei einem Kind eine Asthma-Erkrankung entwickelt oder nicht, wird auch von der Darmflora beeinflusst. Zu bekannten Risikofaktoren für Asthma zählen u.a.  eine Entbindung per Kaiserschnitt, fehlendes Stillen und die Einnahme von Antibiotika in den ersten Lebensmonaten. Eine vor zwei Jahren publizierte Arbeit zeigte: Wenn wichtige Keimarten im Alter von drei Monaten fehlen, steigt das Risiko für ein späteres Asthma an. Es handelt sich dabei um ein frühes Zeitfenster, denn die zuvor beobachteten Unterschiede zwischen den Kindern waren im Alter von einem Jahr praktisch verschwunden.3

Diese Beobachtung ist mit der Hygiene-Hypothese kompatibel, die einen Grund für die Zunahme von Allergien im Aufwachsen in einer zu sauberen, keimarmen Umgebung sieht. Kinder, die auf dem Bauernhof leben, entwickeln seltener eine Allergie als Stadtkinder. Wer mit Hunden oder Katzen groß wird, bleibt eher von einer Tierhaarallergie verschont.

Man darf gespannt sein, ob sich die Bestimmung des Darm-Profils als früher Risikomarker etabliert und über den gezielten Einsatz von Probiotika auch zu präventiven und therapeutischen Zwecken nutzen lässt.

Breitspektrum-Probiotikum als empfehlenswerte Option

Eine Untersuchung von Forschern der Mailänder Universität hat schon mal gezeigt, dass die Kombination der probiotischen Bakterienstämme Lactobacillus salivarius und Bifidobacterium breve – im Unterschied zur Einzelanwendung – eine starke Wirksamkeit entfaltet. Wenn auch erstmal nur im Labor, wo die Probiotika-Kombi Entzündungssubstanzen im Blut von Asthmatikern hemmte.4

Ein potenzieller Wirkmechanismus könnte in der Anhebung des IL-10-Niveaus durch die Probiotika bestehen. Dieses hilfreiche Zytokin hemmt andere, proinflammatorische Zytokine,  liegt aber in den alveolären Mitochondrien von Asthma-Patienten in verminderter Konzentration vor. Es mehren sich die Hinweise auf eine synergistische Wirkung der probiotischen Stämme, die mit der Breite des verwendeten Spektrums zunimmt. Hier empfiehlt sich also der Einsatz von Breitspektrum-Probiotika – im Unterschied zu Antibiotika, die umso mehr das Mikrobiom schädigen, je breiter das Wirkspektrum und je länger die Therapiedauer ist.

Referenzen:
1. Sender R et al. Revised estimates for the number of human and bacteria cells in the body. PLoS Biol 2016;14(8):e1002533. doi: 10.1371/journal.pbio.1002533.
2. Interaktionen zwischen Mikrobiom und Lunge tragen zum klinischen Phänotyp bei. Pneumo News 2015;7(2):49.
3. Arrieta M-C et al. Early infancy microbial and metabolic alterations affect risk of childhood asthma. Sci Transl Med 2015:7(307):307ra152. doi: 10.1126/scitranslmed.aab2271.
4. Drago L et al. Immunomodulatory effects of Lactobacillus salivarius LS01 and Bifidobacterium breve BR03, alone and in combination, on peripheral blood mononuclear cells of allergic asthmatics. Allergy Asthma Immunol Res 2015;7(4):409-13.