Noradrenalin trägt möglicherweise signifikant zu sepsisinduzierter Immunparalyse bei

Norepinephrin führt bei Tieren und Menschen zu einer Fehlregulation der Immunantwort und einer Kompromittierung der Abwehrfunktion. Dies ergab eine aktuell im 'American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine' erschienene Studie.

Norepinephrin führt bei Tieren und Menschen zu einer Fehlregulation der Immunantwort und einer Kompromittierung der Abwehrfunktion. Dies ergab eine aktuell im 'American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine' erschienene Studie.

Noradrenalin ist aus der Therapie kritisch Kranker kaum wegzudenken. Weltweit kommt es bei nahezu allen Patienten mit septischem Schock und anderen schweren systemischen inflammatorischen Geschehen zum Einsatz. In-vitro-Daten deuten auf überwiegend antientzündliche Eigenschaften von Noradrenalin hin, aber Evidenz zu den vermuteten immunmodulatorischen Effekten in vivo war bislang bei Tieren spärlich und bei Menschen nicht vorhanden.1,2

 "...Unterstützende Therapien, die derzeit undifferenziert angewendet werden, könnten wesentlich zur Dysregulation der Immunantwort beitragen und erfordern im Licht des neuen Konzeptes der Immunparalyse möglicherweise eine Reevaluation", warnen die Autoren einer aktuellen Studie.2
Die sepsisinduzierte Immunparalyse geht mit diversen Störungen des Immunsystems einher, welche in einer ineffektiven Beseitigung infektiöser Foci und erhöhter Anfälligkeit gegenüber Sekundärinfektionen, oft mit opportunistischen Erregern, münden. Hierdurch ist diese Immunsuppression für relevante Mortalität und Morbidität verantwortlich.3

Wirkung von Noradrenalin auf die Immunantwort erstmals in vivo untersucht

In einer im September im American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine publizierten Studie untersuchten niederländische Wissenschaftler die immunologischen Auswirkungen von Noradrenalin und Vasopressin in einem ersten Schritt an menschlichen Leukozyten in vitro.2 Anschließend führten sie Experimente am murinen Modell durch, um die funktionelle Bedeutung ihrer Beobachtungen zu evaluieren. Schließlich prüften sie die Übertragbarkeit auf den Menschen mittels eines in-vivo-Modells systemischer Inflammation (experimentelle Endotoxämie) sowie mittels Beobachtungen an septischen Patienten.

Hierzu stimulierten sie Leukozyten von menschlichen Donoren in An- oder Abwesenheit von Norepinephrin und Vasopressin.
Außerdem erhielten 190 Mäuse per Perfusor eine kontinuierliche Vasopressin- oder Noradrenalin-Infusion und bekamen entweder LPS (Lipopolysaccharide) verabreicht oder unterliefen eine Blinddarm-Ligatur und -Punktion.

Noradrenalin schwächte die Produktion proinflammatorischer Mediatoren und reaktiver Sauerstoffspezies ab und verstärkte die Produktion des entzündungshemmenden Zytokins IL‑10 (veraltet: Cytokine-synthesis inhibitory factor = CSIF) sowohl in vitro als auch bei den gegenüber LPS exponierten Versuchstieren.
Eine intravenöse Norepinephrin-Gabe während Zökum-Ligatur und -Punktion resultierte in einer gesteigerten bakteriellen Dissemination in die Milz, die Leber und das Blut.

Potente Hemmung der Immunabwehr unter Noradrenalin auch bei Patienten nachweisbar

Sodann randomisierten die Forscher 30 gesunde Freiwillige zu einer fünfstündigen Infusion von Noradrenalin, Vasopressin oder Kochsalzlösung und verabreichten ihnen LPS intravenös.
Noradrenalin erhöhte bei diesen Probanden die IL‑10-Plasmakonzentrationen und verminderte die Freisetzung des proinflammatorischen Zytokins IP‑10 (IFN-γ–induced protein 10).
Vasopressin zeigte in all diesen Versuchsanordnungen keine unerwünschten immunmodulierenden Einflüsse.

Des Weiteren untersuchten sie den Zusammenhang zwischen Noradrenalin-Infusionsraten, Betablocker-Gabe und Plasmazytokinen bei 195 Patienten im septischen Schock.
Höhere Infusionsraten korrelierten mit einer eher antiinflammatorischen Zytokinbalance, während der Einsatz von Betablockern mit einer stärker proinflammatorischen Zytokinbalance einher ging.

Fazit

Falls diese Ergebnisse von weiteren Studien bestätigt werden, halten die Autoren eine Neubewertung der Vasopressor-Therapie bei Sepsis für angezeigt.
Ein septisches Geschehen kann sowohl hyperinflammatorische als auch immunsuppressive Charakteristika aufweisen. Obwohl auch eine Hyperinflammation deutliche abträgliche Folgen haben kann (bspw. bei Patienten mit Makrophagenaktivierungssyndrom), konnten immunsuppressive Interventionen die Outcomes bei Sepsis nicht verbessern.4 Daher hat sich die Aufmerksamkeit auf die schädliche Rolle der sepsisinduzierten Immunsuppression verlagert.3
"Mit dem Aufkommen der Ära der Präzisionsmedizin für die Sepsis könnte der Einsatz unterschiedlicher Vasopressoren zukünftig auf spezifische Subgruppen von septischen Patienten zugeschnitten werden, basierend auf ihren (molekularen) immunologischen Endotypen", schließen die Autoren.

Referenzen:
1. Bergmann, M. & Sautner, T. Immunomodulatory effects of vasoactive catecholamines. Wien. Klin. Wochenschr. 114, 752–761 (2002).
2. Stolk, R. F. et al. Norepinephrine Dysregulates the Immune Response and Compromises Host Defense during Sepsis. Am J Respir Crit Care Med 202, 830–842 (2020).
3. Boomer, J. S. et al. Immunosuppression in patients who die of sepsis and multiple organ failure. JAMA 306, 2594–2605 (2011).
4. J, L., M, K., Jg,  van der H., Mg, N. & P, P. Immunotherapy for the adjunctive treatment of sepsis: from immunosuppression to immunostimulation. Time for a paradigm change? American journal of respiratory and critical care medicine vol. 187 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/23590272/ (2013).