Pneumotoxische Effekte: ein weites Nebenwirkungsfeld

Mit Medikamenten können respiratorische Erkrankungen nicht nur behandelt, sondern leider auch ausgelöst werden. Die Liste ist sehr lang. Wie behält man da den Überblick?

Mit Medikamenten können respiratorische Erkrankungen nicht nur behandelt, sondern leider auch ausgelöst werden. Die Liste ist sehr lang. Wie behält man da den Überblick? 

Die Medikamentenanamnese ist in der pneumologischen Praxis besonders wichtig. Die Lunge ist nun mal als immunkompetentes, stoffwechselaktives und auch mit Filterfunktionsaufgaben betrautes Organ prädestiniert als ein Manifestationsort für unerwünschte Wirkungen. Im letzten Beitrag ging es um neue Hinweise auf das pneumopathologische Nebenwirkungspotenzial einer noch jungen Medikamentenklasse, den Checkpoint-Inhibitoren. 

Hunderte pneumotoxische Arzneimittel – Tendenz weiter steigend

Das ist gut zu wissen, da mit einer zunehmenden Verordnung dieser und anderer Biologika zu rechnen ist. Tatsächlich geht die Zahl der alten und neuen Arzneistoffe, für die Komplikationen an den Atmungsorganen beschrieben wurden, in die Hunderte. Da wird es mit dem Wissen dann schon schwierig, sodass es vor allem auf das Drandenken und Nachschauen ankommt.

In einem lesenswerten Beitrag in der Pharmazeutischen Zeitung (Ausgabe 02/2017) gibt der Potsdamer Toxikologe Prof. Burkhard Kleuser einen Überblick über pneumotoxische Arzneimittel. So sind allein mehr als 100 Medikamente bekannt, die eine eosinophile Lungenerkrankung mit alveolärer bzw. interstitieller Anhäufung von eosinophilen Granulozyten auslösen können. Dazu zählen u. a. ACE-Hemmer, Amiodaron, Bleomycin, Carbamazepin, Cephalosporine, Phenytoin, Methotrexat, Propranolol, Propylthiouracil, Statine und Sulfasalazin.

Artikel lesen, Tabelle ausdrucken, App herunterladen … und vor allem daran denken

Wer so was noch nicht am Schreibtisch liegen hat, kann beispielsweise die Tabelle mit "Substanzen mit toxischen pulmonalen Effekten" hier auf der Website des MSD Manuals anklicken und ausdrucken. Drei der neun arzneimittelbedingten Krankheitsbilder, die aufgelistet werden, sind:

Die analoge Vorgehensweise mit Ausdrucken erscheint heutzutage natürlich nicht mehr ganz zeitgemäß und hat auch bezogen auf Inhalt und Aktualität ihre Limitationen. Dafür steht mit The Drug-Induced Respiratory Disease Website (pneumotox.com) eine umfassende Online-Auskunft zur Verfügung. Dort kann nach Wirkstoffen und nach Schadensmustern gesucht werden – sehr praktisch.

Die frei zugängliche Datenbank betreibt der französische Toxikologe Philippe Camus von der Universität Dijon. Der Bestand wird laufend aktualisiert und umfasst gegenwärtig rund 1.000 Medikamente und Stoffe, bei denen potenziell die Gefahr bronchopulmonaler Nebenwirkungen besteht. Es werden übrigens auch etliche freiverkäufliche Medikamente einschließlich Phytopharmaka aufgeführt (die nicht immer so gut verträglich sind wie allgemein gedacht). Auch weniger bekannte Nebenwirkungen finden Erwähnung. Und falls Sie frage: Ja, als kostenfreie App gibt es Pneumotox auch – im App Store Ihres Vertrauens oder z. B. hier auf getjar.com.

Wie häufig ist mit respiratorischen Arzneimittelnebenwirkugen zu rechnen?

Beim Einsatz von ACE-Hemmern (allen voran Captopril und Enalapril) kommt es mit einer Häufigkeit von 5-35 % zum reflektorischen Husten, der dem Gros der Ärzte wohl noch aus dem Studium geläufig sein dürfte. Bei der Kenntnis (und dem Erkennen) sowie der Einschätzung der Häufigkeit weiterer arzneimittelbedingter Pneumopathologien dürfte es da schon schwieriger werden. Die nachfolgenden Fakten haben wir dem Artikel von Kleuser1 entnommen.

Was meinen Sie: Zu welchem Prozentsatz werden schätzungsweise a) schwere Asthmaanfälle, b) ARDS-Fälle, c) eosinophile Pneumonien und d) parenchymatöse Lungenerkrankungen durch Arzneistoffe verursacht?

Nicht gerade selten…

Die Antwort: a) 14 %; b) 10 %; c) 20 %; d) ca. 2,5-3 %. Die Zahlen beruhen auf Schätzungen, von hohen Dunkelziffern ist auszugehen.

Bei jedem zehnten Tumorpatienten, der eine Chemotherapie erhält, ist mit Nebenwirkungen an den Atmungsorganen zu rechnen. Mit der gleichen Häufigkeit (10 %) reagieren Asthmatiker mit einer Bronchokonstriktion auf die Einnahme von NSAID, wobei es zu schweren, unter Umständen soagr tödlichen Asthmaanfällen kommen kann.

Wie hoch ist die Inzidenz pulmonaler Nebenwirkungen bei der Behandlung mit den Tyrosinkinase-Inibitoren Erlotinib oder Gefitinib in Deutschland?

Sie beträgt laut Studien 0,3%, in Japan dagegen ca. 4-5 %. Der Grund für den ethnischen Risikounterschied ist bisher nicht bekannt.

Nitrofurantoin: Langzeittherapie erfordert pneumologische Kontrolle

Schließlich noch eine häufige Indikation, mit der der Pneumologe nur nebenwirkungshalber in Berührung kommt: Nitrofurantoin gilt bei unkomplizierter Zystitis als Mittel der ersten Wahl. Bei wie viel Prozent der zumeist weiblichen Patienten wurden akute, subakute oder chronische Lungenreaktionen beobachtet (von interstitieller Pneumonie bis hin zu tödlich verlaufender Lungenfibrose)?

Es sind 1-10 % und damit nicht gerade wenige. Im akuten Fall stellen sich meist innerhalb von 1-4 Wochen nach Behandlungsbeginn Fieber, Husten und Luftnot ein, häufig einhergehend mit Exanthem und Arthralgie. Zwar ist die Symptomatik nach dem Absetzen von Nitrofurantoin reversibel. Auf eine Reexposition sollte aber verzichtet werden, um schwere allergische Reaktionen – bis hin zum Lungenödem – zu vermeiden. Eine mehrmonatige Therapie mit Nitrofurantoin birgt die Gefahr einer chronischen interstitiellen Pneumonie mit Fibrotisierung. Im Falle einer unumgänglichen Langzeittherapie sollten die Atmungsorgane mit Lungenfunktionsprüfung und Bildgebung regelmäßig kontrolliert werden.

Abkürzungen:
ARDS = Acute Respiratory Distress Syndrome
NSAID = nichtsteroidale Antiphlogistika

Referenz:
1. Kleuser B. Pneumotoxische Arzneimittel – Lunge in Gefahr. PZ Ausgabe 02/2017. (pharmazeutische-zeitung.de; Zugriff am 26.11.2018)