Schwere Dyspnoe, aber nur in aufrechter Position – was könnte das sein?

Ist Ihnen die Orthodeoxie bzw. das Platypnoea-Orthodeoxia-Syndrom (POS) in der Praxis schon öfter begegnet?

Ist Ihnen die Orthodeoxie bzw. das Platypnoea-Orthodeoxia-Syndrom (POS) in der Praxis schon öfter begegnet?

Der Symptomkomplex aus abnehmender Sauerstoffsättigung bei Lagewechsel von einer liegenden in eine aufrechte Position und gleichzeitiger Dyspnoe ist selten und wird wohl noch seltener diagnostiziert.

Aktuelles Fallbeispiel aus Westfalen

Darauf weist Dr. Wiebke Dohrn vom Praxisnetz Westfalen in einem aktuellen Beitrag2 in der Pneumo News hin. Sie schildert den Fall eines 46-jährigen Patienten, der sich zur Abklärung einer ausgeprägten Belastungsdyspnoe unmittelbar nach dem Aufstehen vorstellte. Während im Liegen und auch im Schlaf keine Einschränkungen bestanden, konnte die verminderte Sauerstoffsättigung in aufrechter Körperlage trotz hoher Sauerstoffgaben nicht verbessert werden. Nach umfangreicher Diagnostik wurde schließlich das POS erkannt. Die Ursache: ein hepatopulmonales Syndrom bei vorbekannter Leberzirrhose infolge chronischer Hepatitis C sowie polytoxikomaner Leberschädigung.

Die Pathophysiologie der Orthodeoxie ist komplex und abhängig von der Ursache:

Wir gehen jetzt nicht weiter auf darauf ein, sondern verweisen auf den lesenswerten Artikel und nehmen uns den Hinweis von Kollegin Dohrn zu Herzen: "Bei der typischen Klinik sollte an das Vorliegen einer Orthodeoxie gedacht werden und eine entsprechende Diagnostik mittels Blutgasanalysen in liegender und aufrechter Körperposition erfolgen."

Aktuelle Kasuistik aus Thailand: Fieber, hohe Laktat-/LDH-Werte, Orthodeoxie

Prolongiertes Fieber mit hohen Laktat- und LDH-Werten aus ungeklärter Ursache und ohne klinische Hinweise auf eine Infektion, dafür aber mit Orthodeoxie – woran würden Sie in diesem Fall denken?

In einem aktuellen Paper1 aus Thailand wird ein solcher Fall berichtet: Beim Praxisbesuch weist ein 71-jähriger Patient mit nicht-zirrhotischer Alkoholhepatitis in der Vorgeschichte eine Hypoxämie auf (Sauerstoffsättigung bei Raumluft 88 %). Im Röntgen-Thorax zeigt sich beidseits eine retikuläre Lungenzeichnung, die sich nach antibiotischer Behandlung partiell verbessert. 

Der Patient entwickelt anschließend Fieber mit Schüttelfrost, Husten und Dyspnoe und wird zwei Monate später stationär aufgenommen. Die körperliche Untersuchung ist unauffällig, abgesehen von einer mäßigen Hypoxämie mit Orthodeoxie: Im Liegen beträgt die Sauerstoffsättigung 93 %, in aufrechter Position nur 85 %.

Weder Herz noch Lunge als Ursache

Via Herzultraschall mit Bubble-Test wird ein extrakardialer Shunt mit einer Ejektionsfraktion von 57 % detektiert. Es bestehen weder Lungenhochdruck noch signifikante Klappenabnormalitäten. In der CT-Pulmonalisangiographie zeigt sich bilateral in den Unterlappen eine subpleurale Retikulation ohne arteriovenöse Malformation oder Lungenembolie.

Der Laborbefund weist auf Anämie und Thrombozytopenie hin, die anschließend durchgeführte Knochenmarkbiopsie erbringt allerdings keinen diagnostischen Befund. Der Patient wird fieberfrei, aber mit nur leicht verbesserter Sauerstoffsättigung (93 % in aufrechter Position bei Raumluft) entlassen.

Dramatischer Verlauf führt zur Verdachtsdiagnose

Einen Monate später erfolgt die stationäre Wiederaufnahme aufgrund einer weiteren Episode mit fieberhaftem Schüttelfrost, Husten und Belastungsdyspnoe. Wir kürzen die Falldarstellung hier ab: Es kommt zur Sepsis mit Atemversagen, Schock und Kardiomyopathie. Da sich kein spezifischer Grund dafür finden lässt, denken die Ärzte schließlich an die Möglichkeit eines intravaskulären Lymphoms.

Mittels Haut- und (erneuter) Knochenmarkbiopsie erfolgt schließlich die Diagnosestellung: intravaskuläres großzelliges B-Zell-Lymphom (IVLBCL) im Stadium IV mit weiter Verbreitung innerhalb der Blutgefäße.

Das IVLBCL ist ein seltener und aggressiver Subtyp des diffusen großzelligen B-Zell-Lmyphoms, das wiederum die häufigste Neoplasie des lymphatischen Systems darstellt. Ausgehend von reifen B-Zellen führt es unbehandelt rasch zum Tod, ist aber prinzipiell heilbar. Wenn möglich, wird also ein kurativer Therapieansatz verfolgt.

Intravaskuläres B-Zell-Lymphom: selten, gefährlich, heilbar

In der aktuellen Kasuistik konnte dem Patienten mit einer Steroidbehandlung, gefolgt von einem Regime aus Rituximab und dosisreduzierter Chemotherapie mit Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin und Prednisolon (R-mini-CHOP) geholfen werden. "Überraschenderweise", so die Autoren, besserten sich die Symptome und Werte des Patienten innerhalb von zwei Tagen nach der Behandlung dramatisch. In späteren CT-Kontrast-Scans von Thorax und Abdomen zeigte sich keine relevante Lymphadenopathie.

Das Besondere an dem Fall ist die Orthodeoxie, mit der sich der Patient präsentierte. Den Autoren zufolge wurde über dieses Symptom bei bioptisch nachgewiesenem IVLBCL bisher noch nicht berichtet. Die Orthodeoxie könnte das Ergebnis eines episodischen intrapulmonalen Shunts sein, bedingt durch von Lymphomzellen okkludierte Lungengefäße.

Zusätzlich zu prolongiertem Fieber, erhöhten Laktat- und LDH-Werten ungeklärter Ursache und fehlenden Anzeichen einer Infektion könnte also auch eine Orthodeoxie an ein IVLBCL denken lassen. Das nehmen wir für den differenzialdiagnostischen Hinterkopf mal mit.

Haben Sie auch einen Fall?

Gibt es einen Fall aus Ihrer Praxis, über den Sie gerne berichten? Wir stellen Ihnen diesen Blog als Publikationsort unter Kollegen gerne zur Verfügung – niedrigschwellig, P2P (Peer-to-Peer) und bei Bedarf auch gerne redaktionell unterstützt … :-)

Ihre
Dr. Hubertus Glaser & Dr. Jörg Zorn

Referenzen:
1. Dohrn W. Schwere Atemnot nach dem Aufstehen — an was Sie dann denken sollten. Pneumo News 2018;10(7):6-7
2. Leelayuwatanakul N, Kongpolprom N. Orthodeoxia as a presentation of intravascular large B cell lymphoma. Respirol Case Rep 2018;6(3):e00299. doi: 10.1002/rcr2.299

Abkürzungen:
LDH = Laktatdehydrogenase