Sind Duftstoffe der neue Passivrauch?

Eine Vielzahl giftiger Chemikalien, die wir regelmäßig einatmen oder über die Haut absorbieren, stammen aus synthetischen Duftstoffen und sind mit Risiken für die langfristige respiratorische Gesundheit, Krebs, Allergien und Reproduktionstoxizität assoziiert.

Eine Vielzahl giftiger Chemikalien, die wir regelmäßig einatmen oder über die Haut absorbieren, stammen aus synthetischen Duftstoffen und sind mit Risiken für die langfristige respiratorische Gesundheit, Krebs, Allergien und Reproduktionstoxizität assoziiert.

Der Federal Fair Packaging and Labeling Act von 1973 schreibt die Auflistung der Inhaltsstoffe auf Produktetiketten vor. Hierbei ausdrücklich ausgenommen sind Duftstoffe, welche die Hersteller als "Betriebsgeheimnis" nicht näher deklarieren müssen. Das bedeutet, dass die Industrie an dieser Stelle unterbringen kann, was sie möchte.
Je nachdem, wo auf der Welt ein Produkt verkauft wird, werden Sie in der Inhaltsstoffliste von Duftkerzen, Weichspülern, Raumdüften, Mülltüten oder Kosmetika nur die wenig aufschlussreiche Position "Fragrance" (USA) oder "Parfum" (EU) finden. Dahinter steckt keine einzelne Substanz, sondern eine dem Hersteller überlassene Mischung von Parfümchemikalien. Laut offizieller Liste der IFRA (International Fragrance Association) sind 4.000 Verbindungen mit dieser unscheinbaren Bezeichnung abgedeckt.1 

Das Problem an diesen versteckten Ingredienzien: nur etwa 1.300 von ihnen sind für die Sicherheit am Menschen untersucht. 72% der parfümierten Produkte enthalten endokrine Disruptoren – die unter dem Verdacht stehen, fertilitäts- oder entwicklungstoxisch zu sein und an der Genese von Krebs, Organschäden und Immunsuppression beteiligt zu sein. Ein Beispiel sind Phthalate, eine der am häufigsten eingesetzten Duftstoffchemikalien. Diethylphthalat ist im Organismus von 97% aller Amerikaner nachweisbar und wurde von epidemiologischen Studien bereits mit einer reduzierten Spermienzahl in Zusammenhang gebracht.2

Versteckte Schadstoffe in der Innenraumluft können zu vielfältigen gesundheitlichen Problemen beitragen

Auch wenn Sie sich beispielsweise vor Augen führen, dass Sie kleine Partikel von Putzmitteln einatmen, die für die Reinigung des Bodens und nicht für Ihre Lungen gedacht sind, ist es vielleicht wenig überraschend, dass eine Studie der Universität Bergen in Norwegen zeigen konnte, dass der einmal wöchentliche Gebrauch konventioneller Reinigungsmittel über 20 Jahre hinweg dem Rauchen von 20 Zigaretten pro Tag über 10 bis 20 Jahre hinweg entsprechen kann. Bei Frauen, die beruflich oder privat häufig mit Reinigungsmitteln zu tun hatten, nahm die Lungenfunktion (FEV1 und FVC) rascher ab.3
Darüber hinaus enthalten viele Reinigungsmittel Chemikalien, die mit Krebs, Fortpflanzungsstörungen, Asthma und schweren Allergien in Verbindung stehen.4

Duftstoffe gehören zu den führenden Allergenen überhaupt. Kopfschmerzen, Schwindel, Fatigue, Schlafprobleme, Kurzatmigkeit, Übelkeit, grippeähnliche Symptome, Verschlechterung oder Auslösung asthmatischer Beschwerden und Hautirritationen bis hin zu Kontaktdermatitis können das Resultat einer Sensibilisierung sein.4 

Die seit 25 Jahren bestehende Organisation 'Breast Cancer Prevention Partners' (BCPP) erstellte 2018 einen umfänglichen Bericht mit dem Titel: "Right to Know: Exposing Toxic Fragrance Chemicals in Beauty, Personal Care, and Cleaning Products." In den dabei analysierten Körperpflegeprodukten entstammten drei Viertel der mit chronischen Gesundheitsproblemen assoziierten Chemikalien den "Duftstoffen".1
Hierunter fanden sie auch Chemikalien, die offiziell als Karzinogene gelistet sind (wie Benzophenon, Methyleugenol, Styren und weitere).

Grenzwerte und Regulierungen fehlen

Auch von der Environmental Working Group (EWG) gibt es solche Untersuchungen. Jedes sechste Parfum (16%) enthielt krebserregende Stoffe, 18% darüber hinaus Penetrationsverstärker, die die Exposition gegenüber Karzinogenen und anderen schädlichen Stoffen erhöhen. Labortests, die von der Campaign for Safe Cosmetics in Auftrag gegeben wurden, entdeckten in 17 Markenparfüms (wie Chanel, Giorgio Armani, Calvin Klein und anderen) insgesamt 38 "geheime" Chemikalien, also welche, die nicht auf den Etiketten aufgeführt waren.2,5 Das durchschnittliche Parfümprodukt enthielt 14 nicht deklarierte Chemikalien (sowie weitere 15, die aufgeführt waren).

Aber nicht nur, dass viele Chemikalien in "Duftstoffen" als giftig oder bedenklich eingestuft sind – für einige gibt es gar keine Expositionswerte, die überhaupt als sicher gelten.6
In einem Forschungsprojekt setzte fast die Hälfte der parfümierten Produkte einen oder mehrere krebserregende "gefährliche Luftschadstoffe" frei, darunter 1,4-Dioxan und Formaldehyd, für die es nach Angaben der US-Umweltschutzbehörde keinen sicheren Grenzwert gibt.4,7 Die International Agency for Research on Cancer (IARC), die WHO und die US-Regierung stufen Formaldehyd als bekanntes Karzinogen für den Menschen ein.

Selbst wenn ein Produkt selbst keine gefährlichen Chemikalien enthält, kann es sie freisetzen. Limonen (ein Zitrusduft) reagiert zum Beispiel mit Ozon in der Umgebungsluft und erzeugt eine Reihe potenziell gefährlicher Sekundärschadstoffe wie Formaldehyd, Acetaldehyd und ultrafeine Partikel.4 

Viele Duftstoff-Chemikalien sind bioakkumulativ und toxisch

Diese Chemikalien kumulieren nicht nur im Körper, auch für die Umwelt sind sie bedenklich. Etwa 95% der für Duftstoffe verwendeten Chemikalien werden aus Erdöl gewonnen.
Neben den bereits erwähnten Phthalaten gehören synthetische Moschusketone zu den beiden häufigsten Inhaltsstoffen. Nach Abspülen vom Körper nehmen sie ihren Weg in den Abfluss und lagern sich im Fettgewebe von Wassertieren ab. In Fischen und Sedimenten der Great Lakes in den USA werden steigende Mengen einer Reihe von synthetischen Moschusarten gemessen.8 Eine Beispiel ist Galaxolid, welches in der höchsten Gefahrenklasse gelistet ist (d. h. dessen Einsatz eigentlich vermieden werden sollte). Solche Verbindungen sind hochpersistent, bioakkumulierbar und toxisch. Sie verbreiten sich über weite Entfernungen, werden nicht abgebaut oder verschwinden – aber verstärken sich, wenn sie mit der Umwelt interagieren und über die Nahrungskette kumulieren. Synthetische Moschusstoffe werden auch in menschlicher Muttermilch und Körperfettproben gefunden.9

Eine Studie zweier Stanford-Wissenschaftler hat gezeigt, dass synthetische Moschusverbindungen die natürlichen Abwehrmechanismen des Körpers gegen Schadstoffe hemmen können.2

Produkte ausmisten als einfacher Beitrag zum Schutz der Gesundheit Ihrer Familie 

Da es keine staatlichen Vorschriften für die Offenlegung von Duftstoffen gibt, wäre es nur anhand aufwändiger Labortests möglich, herauszufinden, was tatsächlich in den Produkten steckt. Daher: Wählen Sie duftstofffreie Produkte oder Produkte von Unternehmen, die sich öffentlich dazu verpflichtet haben, die Inhaltsstoffe von Duftstoffen vollständig offenzulegen. Auch Produkte, die für den Duft ausschließlich auf rein natürliche Rohstoffe zurückgreifen, sind eine Alternative (und der spannenden alten Kunst der Parfümherstellung aus wertvollen Blüten, Hölzern, und Kräutern viel näher als ein synthetischer Aromapansch, solche Parfums sind in der Regel teuer, aber sehr sparsam und halten ewig).

Vermeiden Sie Produkte, deren Etiketten "fragrance" (Duftstoffe), "perfume" (Parfum) oder den Begriff "unscented" enthalten. Um die Verwirrung komplett zu machen, gibt es in der Industrie nämlich einen Unterschied zwischen "Fragrance-Free" (duftstofffrei) und "Unscented" (geruchsneutral oder unparfümiert). "Unscented" bedeutet im Allgemeinen, dass das Produkt Chemikalien enthalten kann, die den Geruch anderer Inhaltsstoffe neutralisieren oder überdecken. "Fragrance-free" bedeutet, dass wirklich keine Duftstoffe oder maskierenden Düfte verwendet wurden. Im Rahmen des Safer Choice-Programms der EPA (United States Environmental Protection Agency) dürfen Hersteller in letzterem Fall ihrem Produkt den Vermerk "duftstofffrei" und ein entsprechendes "Safer Choice"-Label hinzufügen.10

Das Problem reicht noch weiter, aber eine transparente Deklaration wäre schon ein erster wichtiger Schritt. Die Environmental Working Group fand heraus, dass insgesamt ein Achtel der 82 Tsd. in Körperpflegeprodukten verwendeten Inhaltsstoffe Industriechemikalien sind, darunter Karzinogene, Pestizide, Reproduktionstoxine und endokrine Disruptoren.4 

Referenzen:
1. Breast Cancer Prevention Partners - Fragrance. Breast Cancer Prevention Partners (BCPP) https://www.bcpp.org/resource/fragrance/.
2. Is Your Perfume Poison? https://www.organicconsumers.org/news/your-perfume-poison.
3. Svanes, Ø. et al. Cleaning at Home and at Work in Relation to Lung Function Decline and Airway Obstruction. Am J Respir Crit Care Med 197, 1157–1163 (2018).
4. Why ‘Fragrance’ Really Stinks – The Hidden Airborne Pollutants in Your Home | Wake Up World. https://wakeup-world.com/2016/11/30/why-fragrance-really-stinks-the-hidden-airborne-pollutants-in-your-home/ (2016).
5. The Health Risks of Secret Chemicals in Fragrance. https://www.ewg.org/sites/default/files/report/SafeCosmetics_FragranceRpt.pdf.
6. Caress, S. M. & Steinemann, A. C. Prevalence of fragrance sensitivity in the American population. J Environ Health 71, 46–50 (2009).
7. Nazaroff, W. W. & Weschler, C. J. Cleaning products and air fresheners: exposure to primary and secondary air pollutants. Atmospheric Environment 38, 2841–2865 (2004).
8. Hazardous chemical from scented products is polluting the Great Lakes. Safer Chemicals, Healthy Families https://saferchemicals.org/2016/04/26/hazardous-chemical-from-scented-products-is-polluting-the-great-lakes/ (2016).
9. Synthetic Musks. Safe Cosmetics https://www.safecosmetics.org/get-the-facts/chemicals-of-concern/synthetic-musks/.
10. SAFER CHOICE Fragrance-Free Factsheet. https://www.epa.gov/sites/default/files/2016-10/documents/saferchoice-factsheet-fragrancefree_0.pdf.