Teil 2: Allgemeinärzte sollten nicht versuchen, eine leichte COPD zu diagnostizieren

Im Beitrag letzter Woche ging es um die Problematik falsch positiver COPD-Diagnosen und dem vielerorts quantitativ oder qualitativ mangelhaften Einsatz der Spirometrie. Die heutige Fortsetzung beschäftigt sich mit zwei weiteren Fragen, die Prof. Enright in einem aktuellen Übersichtsartikel in der Nature1 aufgreift.

Eine Fortsetzung unseres Beitrags von vergangener Woche...
Hier geht es zu Teil 1

Im Beitrag letzter Woche ging es um die Problematik falsch positiver COPD-Diagnosen und dem vielerorts quantitativ oder qualitativ mangelhaften Einsatz der Spirometrie.
Die heutige Fortsetzung beschäftigt sich mit zwei weiteren Fragen, die Prof. Enright in einem aktuellen Übersichtsartikel in der Nature1 aufgreift:
1) Suggeriert eine leichte Limitation des Atemflusses ein frühes COPD-Stadium? und
2.) Sollte eine Dauertherapie für Patienten mit leichter Ventilationsstörung überhaupt in Betracht gezogen werden?

Frühe COPD-Diagnose erbringt keinen relevanten klinischen Nutzen, aber das Risiko für Fehldiagnose und -therapie

Prof. Paul Enright ist Autor von über einhundert Artikeln und hat in vielen Normenausschüssen der ATS (American Thoracic Society) und ERS (European Respiratory Society) mitgearbeitet. Er meint, dass das Diagnostizieren einer leichten COPD von geringem klinischen Wert ist:
"'Prä-COPD', 'leichte' oder 'frühe' COPD sind keine Krankheiten und bedürfen keiner Erkennung oder Behandlung, da keine Kombination von Inhalativa das Fortschreiten einer COPD bei persistierenden Rauchern aufhalten kann."
Enright zitiert in dem aktuellen Review etliche Studien, die dafür sprechen, dass diagnostische Tests, wie Bodyplethysmographie, Diffusionskapazität, forcierte Oszillation und kardiopulmonale Belastungsuntersuchungen höchst unzuverlässig für die Vorhersage einer Progression zu einer klinisch relevanten COPD sind.1

In einem Interview für ein Experten-Blog zur Lungenfunktionsdiagnostik nimmt Enright auf die Frage hin, warum große pharmazeutische Unternehmen mehr Spirometer kaufen als irgendjemand sonst, kein Blatt vor den Mund: "Ihr einziges Ziel ist es, mehr COPD‑Inhalativa zu verkaufen, für die nachgewiesen ist, dass sie das Leben nicht verlängern oder den durch Rauchen verursachten raschen Rückgang der Lungenfunktion nicht verringern."2

"Alles ist eine COPD, bis die korrekte Diagnose gestellt wird" – Alter und Komorbiditäten stärker berücksichtigen

Bis 2050 werden 1,5 Mrd. Menschen – oder anders ausgedrückt: etwa jeder Sechste – über 65 Jahre alt sein.3 Die rasche Alterung der Bevölkerung unterstreicht ebenfalls den geringen Wert von Diagnosestellungen früher oder leichter COPD. Ältere Menschen weisen eine hohe Last an Atemwegssymptomen auf, die oft multifaktoriell bedingt sind. Altersbedingte Veränderungen, die zu respiratorischen Beschwerden beitragen, müssen adäquat berücksichtigt werden, insbesondere:

Darüber hinaus können zunehmende Einschränkungen des Atemflusses die Interpretation einer in der Spirometrie bestätigten Obstruktion beeinträchtigen (Faktoren wie Sarkopenie oder Herzinsuffizienz können bspw. zusätzlich eine Restriktion verursachen).
Auch ein im CT eventuell auszumachendes Emphysem kann möglicherweise ein "seniles Emphysem" im Rahmen normaler Alterungsprozesse sein.4

Die International Group for Reducing Inappropriate Medication Use & Polypharmacy (IGRIMUP) weist ebenfalls auf die Problematik hin, dass das Risiko für Nebenwirkungen mit hohem Alter, multiplen Komorbiditäten, Demenz, Gebrechlichkeit und begrenzter Lebenserwartung korreliert, wobei Polypharmazie den größten Beitrag leistet.5
Jedes der genannten Merkmale verschiebt das Gleichgewicht zwischen Risiko und Nutzen von Medikationen. Aktuelle klinische Leitlinien stützen sich zumeist auf Evidenz aus Studien an jüngeren oder gesünderen Erwachsenen mit einem Fokus auf nur eine oder die untersuchte Erkrankung. Die Anwendung auf ältere Menschen mit diversen Begleiterkrankungen, an denen dies nicht geprüft wurde, ergibt ein anderes Nutzen-Risiko-Profil. Dies mündet in inadäquaten Medikationen und Polypharmazie mit breiten gesundheitlichen und finanziellen Folgen.
"...in einem Zeitalter rasch alternder Populationen weltweit wird die Anwendung von epidemiologischen Kriterien, welche altersassoziierte Veränderungen nicht strikt berücksichtigen, zu Fehlerkennung von COPD führen, was möglicherweise wiederum Gesundheitspolitik und Patientenversorgung fehlleitet", äußert der Koautor des aktuellen Übersichtsartikels in einem anderen Beitrag.4

Fazit

In diesem klinischen Kontext, selbst unter Anwendung altersentsprechender spirometrischer Kriterien, ist eine leichte COPD nur mäßig mit respiratorischen Symptomen assoziiert und geht ansonsten nicht mit herabgesetzter körperlicher Leistungsfähigkeit einher.6
Die WHO definiert eine "leichte COPD" so, dass der Patient chronischen Husten oder Dyspnoe hat, aber lange Strecken gehen und Treppen steigen kann. Von einer leichten COPD geht demnach eine sehr geringe Beeinträchtigung aus, weshalb die Autoren es nicht als klinisch angemessen sehen, eine Behinderung einer leichten COPD zuzuschreiben und zu versuchen, diese zu behandeln, insbesondere bei alten Patienten.1

Das aktuelle Review schließt daher mit den folgenden Empfehlungen:1

Ärzte der Primärversorgung sollten

Abkürzungen:
BNP- Brain Natriuretic Peptide
BD - Bronchodilatation
COPD - Chronische obstruktive Lungenerkrankung (chronic obstructive pulmonary disease)
DLCO - Kohlenmonoxid-Diffusionskapazität
PEF - exspiratorischer Spitzenfluss

Referenzen:
1.  Enright, P. & Fragoso, C. V. GPs should not try to detect mild COPD. npj Primary Care Respiratory Medicine 30, 1–3 (2020). 2.  Johnston, R. Sharing opinions with Paul Enright. PFTBlog https://www.pftforum.com/blog/sharing-opinions-with-paul-enright/ (2019). 3.  Our world is growing older: UN DESA releases new report on ageing. UN DESA | United Nations Department of Economic and Social Affairs https://www.un.org/development/desa/en/news/population/our-world-is-growing-older.html (2019).
4.  Fragoso, C. A. V. Epidemiology of Chronic Obstructive Pulmonary Disease (COPD) in Aging Populations. COPD: Journal of Chronic Obstructive Pulmonary Disease 13, 125–129 (2016).
5.  Mangin, D. et al. International Group for Reducing Inappropriate Medication Use & Polypharmacy (IGRIMUP): Position Statement and 10 Recommendations for Action. Drugs Aging 35, 575–587 (2018).
6.  Vaz Fragoso, C. A. et al. Phenotype of Spirometric Impairment in an Aging Population. Am J Respir Crit Care Med 193, 727–735 (2015).