Überlastung und Depressionen bei Ärzten

12,3 Tsd. amerikanische Ärzte aus 29 Fachgebieten trugen mit ihren Antworten auf eine Medscape-Umfrage im Herbst 2020 zum "Physician Burnout & Suicide Report 2021" bei.

12,3 Tsd. amerikanische Ärzte aus 29 Fachgebieten trugen mit ihren Antworten auf eine Medscape-Umfrage im Herbst 2020 zum "Physician Burnout & Suicide Report 2021" bei.1

Die Raten von Burnout-Symptomen bei Ärzten liegen in den letzten Jahren in Studien bei über 50%.2 Dies hat nicht nur negative Auswirkungen auf die Zufriedenheit in Beruf und Privatleben, auf Beziehungen sowie die Gesundheit der Betroffenen, sondern auch auf die Patientenversorgung.
Eine ganz aktuelle Medscape-Erhebung bestätigt diese alarmierenden Zahlen. Zu den am stärksten betroffenen Fachrichtungen gehörten u. a. Intensivmediziner (51%), Rheumatologen (50%), Pulmologen (48%), Allgemeinmediziner und Neurologen (je 47%).1

In den Leserkommentaren der auf Medscape veröffentlichten Umfrageergebnisse merkt ein Kollege an, dass diese hohen Zahlen insbesondere deswegen schlimm sind, weil sie eine Disziplin betreffen, die eigentlich zu den zufriedenstellendsten gehören könnte, eine Berufung, die die meisten aus Begeisterung gewählt haben. Doch diese Lebensaufgabe sollte nicht zur Lebens-Aufgabe werden, wie es das Ärzteblatt einst formulierte.3

Führt der Begriff "Burnout" von der Ursache weg?

Bevor wir gleich zu genaueren Statistiken kommen: Die Tatsache, dass fast die Hälfte aller Ärzte und bereits mehr als jeder Zweite Auszubildende irgendwann in einen Burnout geraten, zeigt, dass es weniger mit einer unzureichenden Belastbarkeit Einzelner zu tun hat, sondern vielmehr mit Problemen in der Organisation und im System, äußert auch der Pädiater Dr. David Schonfeld vom Children’s Hospital Los Angeles in einem Beitrag in der New York Times.4

Die Triebkräfte für diese Epidemie liegen größtenteils in der Organisation und im Gesundheitssystem begründet und umfassen übermäßige Arbeitsbelastung, ineffiziente Arbeitsprozesse, Bürokratie, Konflikte zwischen Arbeit und Privatleben, mangelnde Mitsprache oder Autonomie im Arbeitsleben, fehlende Unterstützungsstrukturen und inadäquate Führungskultur.2

Mehrere Ärzte drücken in ihren Leserkommentaren zur Umfrage aus, dass sie den Begriff "Burnout" in dem Kontext nicht länger angebracht finden, da er pejorativ ist (ursprünglich für das Endstadium bei Drogenabusus verwendet) und die Schuld (im Sinne mangelnder Widerstandsfähigkeit) dem Individuum zuschiebt. Der Präsident des Royal College of Physicians schlug 2019 stattdessen den Term "moral injury" vor, der in den USA bereits zunehmend in Gebrauch war, um klarzustellen, dass der Auslöser extrinsisch ist.5
Ein weiterer Arzt kommentierte: "Burnout ist ein Begriff, der auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden sollte, zusammen mit den anderen veralteten Begriffen, die immer noch unangemessen verwendet werden, um die Symptome des mentalen, emotionalen, physischen und spirituellen Tributs zu beschreiben (und zu dokumentieren!), den die Ausübung der Medizin unter dem heutigen System fordert [...]."
Denken Sie auch so? Welcher Begriff würde Ihres Erachtens dem Problem am ehesten gerecht? Sagen Sie es uns in den Kommentaren!

Eine Krise im Gesundheitswesen, über die zu wenig gesprochen wird

Im "Physician Burnout & Suicide Report 2021" sehen wir, dass die führenden Ursachen im Vergleich zu Erhebungen der letzten Jahre im Wesentlichen die gleichen geblieben sind:
zu hoher Anfall bürokratischer Tätigkeiten (58%), zu hohe Wochenarbeitszeiten (37%), zu wenig Wertschätzung durch Geschäftsführer, Vorgesetzte und Kollegen (37%). Häufige Sorgen bezogen sich außerdem auf die Entlohnung (32%) und den Mangel an Autonomie/ Kontrolle (28%) sowie die zunehmende Computerisierung (28%).
Erst ganz am Schluss der Liste rangierte das, woran viele im Kontext 2020 vielleicht speziell gedacht hätten: Stress durch social distancing (16%) und Belastung durch Behandlung von COVID-Patienten (8%).

Ein Arzt resümierte, dass einfach alles zusammen das Fass zum Überlaufen bringt, er bezeichnete es als "death by 1.000 cuts" ("Tod auf Raten"). Andere O-Töne:
"Gezwungen zu sein, vier Patienten pro Stunde zu sehen, wenn es sich um komplizierte Patienten und Eingriffe handelt." (Allgemeinchirurg)
"Ich arbeite 6 Tage die Woche, Nächte, Wochenenden und Feiertage." (Internist)

Arbeitsprobleme bleiben nicht auf der Arbeit

Über 70% stufen ihren Burnout als schwer genug ein, als dass er ihr Leben mittelstark bis gravierend beeinträchtigt. Jeder Zehnte, der manifeste Symptome berichtete, erwägt deswegen einen Berufswechsel.

Auf die Frage, wie sich dies auf das restliche Leben niederschlägt:
"Ich empfinde die Gespräche mit meiner Familie als sehr negativ, und das führt zu Spannungen und Streit mit ihnen." (Anästhesist)
"Ich habe keine Energie, wenn ich heim komme und komme mir vor, als ob ich meine Familie ignorieren würde, aber ich brauche Zeit, um mich zu erholen und um zu verarbeiten, was ich während des Tages erlebt habe." (Onkologe)
"Ich bin zurückgezogener und ich lasse den Stress an meiner Frau und den Kindern aus." (Allgemeinmediziner)
"Ich bin schnell verärgert, mir graut vor jeder Schicht, ich bin frustriert und zynisch gegenüber Patienten, ich kann mir dabei zusehen, wie ich ein Arzt und eine Person werde, die ich nicht sein möchte." (Notarzt)

Wie sieht es mit depressiven Symptomen aus und, noch wichtiger: wie gehen die Betroffenen damit um oder was sagen sie selbst, was ihnen helfen würde? Auch dies war Teil der aktuellen Umfrage. Lesen Sie dazu nächste Woche mehr, in Teil 2!

Referenzen:
1. ‘Death by 1000 Cuts’: Medscape National Physician Burnout & Suicide Report 2021. Medscape https://www.medscape.com/slideshow/2021-lifestyle-burnout-6013456.
2. West, C. P., Dyrbye, L. N. & Shanafelt, T. D. Physician burnout: contributors, consequences and solutions. J Intern Med 283, 516–529 (2018).
3. Ärzteblatt, D. Ä. G., Redaktion Deutsches. Burn-out bei Ärzten: Lebensaufgabe statt Lebens-Aufgabe. Deutsches Ärzteblatt https://www.aerzteblatt.de/archiv/42945/Burn-out-bei-Aerzten-Lebensaufgabe-statt-Lebens-Aufgabe (2004).
4. Klass, P. Taking Care of the Physician (Published 2017). The New York Times (2017).
5. Medicine 2019: Stop using the word burnout says RCP president. RCP London https://www.rcplondon.ac.uk/news/medicine-2019-stop-using-word-burnout-says-rcp-president (2019).