Woran erkenne ich eine wissenschaftlich gute klinische Studie?

Klinische Studien sind ein integraler Bestandteil des heutigen Medizinbetriebs. An ihnen hängt die Zulassung neuer Medikamente, der Vergleich zwischen therapeutischen Alternativen, die Evidenz für viele Leitlinienempfehlungen. Doch woran erkennt man eine gute Studie?

Eine wichtige Meldung aus den letzten Tagen lautet: Deutschland ist Vizeweltmeister. Schön und gut, aber worin? Fußball kann es nicht sein. Geht es vielleicht um die Gesundheitskompetenz der deutschen Bundesbürger? Nein, auch hier müssen wir uns noch etwas gedulden. Die "Allianz für Gesundheitskompetenz" wurde gerade eben erst gegründet. Dazu Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe:

"Wir brauchen dringend mehr verständliche Gesundheitsinformationen. Denn nur wer gut informiert ist, kann Gesundheitsrisiken vermeiden und im Krankheitsfall durch eigenes Verhalten zu einer erfolgreichen Behandlung beitragen. Doch es ist nicht immer einfach, im Dickicht der oft unverständlichen Gesundheitsinformationen den Durchblick zu bewahren."

Neue Arzneimittelstudien vor allem zu Krebs und Entzündungskrankheiten

"Dickicht" ist ein gutes Stichwort, denn den gibt es auch im klinischen Studien- und Publikationsbetrieb, dessen Erzeugnisse für den normalpraktizierenden Arzt keineswegs immer leicht verständlich sind. Und hier finden wir die gesuchte Vizeweltmeisterschaft: "Deutschland konnte 2016 erneut seine Position als weltweite Nr. 2 bei klinischen Arzneimittelstudien von Pharma-Unternehmen behaupten", vermeldete stolz der vfa (Verband Forschender Arzneimittelhersteller) in einer Pressemitteilung. Er wertete dafür die freiwilligen Eintragungen in das Studienregister clinicaltrials.gov aus, das von den U.S. National Institutes of Health (NIH) betrieben wird.

Die Rangliste der im Jahr 2016 bis zum 1. Juni begonnenen Arzneimittelstudien von Pharma-Unternehmen  führt die USA mit 2.306 Studien an, dahinter folgen Deutschland (532), Großbritannien (499), Kanada (463), Spanien (384) und Frankreich (336).

Interessant sind auch noch folgende Zahlen zu den deutschen Pharma-Studien:

Können Sie Studien richtig lesen?

Klinische Studien sind ein integraler Bestandteil des heutigen Medizinbetriebs. An ihnen hängt die Zulassung neuer Medikamente, der Vergleich zwischen therapeutischen Alternativen, die Evidenz für viele Leitlinienempfehlungen. Ihre Bedeutung scheint weiter zuzunehmen, ihre Zahl auch, wie uns der Publikationstsunami zumindest vermuten lässt. Und ihre Qualität auch? Intuitiv würde man mit "ja" antworten, der Fortschritt macht auch vor dem Design, der statistischen Analyse und der medialen Inszenierung von Studien nicht halt. Ob man damit auch immer der medizinischen Wahrheit näherkommt, ist eine andere Frage.

Es lohnt sich deshalb für den behandelnden Arzt, auch jenseits von Prüfzentren und eigenen Studien-Ambitionen, mit den Qualitätsmerkmalen, Fallstricken und relevanten Beurteilungskriterien von klinischen Studien vertraut zu sein. Dann lesen sich die Publikationen im Original und aus zweiter Hand nicht nur besser, sondern vor allem auch kritischer. Zugleich wächst das Verständnis für den Gehalt und die Performance einer Studie und ihrer Macher, in positiver wie in negativer Hinsicht.

Eigene Interpretationskompetenz ist gefragt

Vermutlich haben Sie es selbst auch schon erlebt, dass ein Patient Sie mit dieser oder jener brandneuen Studie konfrontiert und um Ihre Einschätzung dazu gebeten hat. Wenn nicht gleich um eine Verordnung oder, im gegenteiligen Fall, um das Absetzen des untersuchten Medikaments. Nicht nur in diesem speziellen Fall ist die eigene Interpretationskompetenz gefragt. Sie ist es bei jeder therapeutischen Entscheidung bzw. Empfehlung abseits der gut etablierten Behandlungspfade. Gerade auch dann, wenn diese durch neue Forschungsergebnisse in Frage gestellt werden.

Dann geht es darum, die neue Evidenz im Kontext der individuellen Patientensituation einzuordnen und das bestmögliche Vorgehen daraus abzuleiten. Die Zweitmeinung aus Studienreferaten, Kongressvorträgen oder anderen meinungsbildenden Quellen kann dabei nur orientierend helfen. Auf das ärztliche Kompetenzbündel aus Faktenwissen und -bewertung, Intuition und Empathie kommt es an. Das wird wohl auch in Zeiten der Digitalisierung (vorerst) so bleiben.

Ihre Dr. Hubertus Glaser & Dr. Jörg Zorn