Haben Sie einen Hausarzt?

Wenn Ärzte zu Patienten werden, wird es schwierig …

Wenn Ärzte zu Patienten werden, wird es schwierig …

Wir beginnen heute mit einem Dank an unsere kommentierenden Leser: Sie bereichern diesen Blog mit ergänzenden Informationen, weiteren Fragestellungen und zusätzlichen Anregungen. Das nutzen wir gerne zur Inspiration für die Blogrecherche und Themenwahl. So auch in diesem Beitrag.

"Put on your own oxygen mask first"

Unseren Artikel über das Glücklichsein kommentierte ein Kollege oder eine Kollegin aus der Klinik mit einem Blick auf die durch Arbeitsbelastung und -rahmenbedingungen zunehmend gefährdete Ärztegesundheit und dem guten Rat: "Put on your own oxygen mask first".

Ja, daran sollte man im Hamsterrad des Klinik- und Praxisbetriebs immer mal wieder denken und sein Rollenverständnis überprüfen: als Arzt und Arzt-Patient, Arzt-Chef und -Kollege, ggf. als Arzt-Behandler und vor allem auch als Mensch in einer nichtärztlichen Lebenswelt, besonders der privaten in Partnerschaft und Familie. Wenn man sich näher damit beschäftigt, scheint das Thema schnell auszuufern und bekommt gewaltige, existenzielle Dimensionen.

"Die soziale, emotionale und kommunikative Kompetenz ist bei vielen nicht besonders ausgeprägt. Die jungen Ärzte werden in der Krankenhausarbeit beinahe militärisch gedrillt, es zählt nur die Leistung. Wer durch diese harte Schule geht, lernt nicht, sich selbst wahrzunehmen, sich mitzuteilen oder Grenzen zu setzen. Der knickt nicht ein, der drückt höchstens weg und arbeitet weiter." Diese Aussage des Burnout-Experten Dr. Manfred Nelting bestätigt offensichtlich den erwähnten Leserkommentar. Wir haben sie einem sehr lesenswerten Ärzteblatt-Artikel entnommen – der bereits vor zehn Jahren publiziert wurde.

Hat sich da im medizinischen Getriebe noch nichts gebessert? Unsere gefühlte Antwort: Manches bzw. mancherorts wohl schon, genug aber sicher noch nicht.

"Ich musste auf die Schnauze fallen."

Eine weitere ziemlich klinik- und praxisrelevante Aussage in dem besagten Artikel lautet: "Als Schulmedizinerin habe ich mich nie damit beschäftigt, dass Körper, Geist und Seele im Gleichgewicht sein müssen. Dass der Körper Symptome zeigt, wenn die Seele krank ist und die sich nicht einfach mit Pillen heilen lässt."

Das Zitat stammt von einer Kardiologin, die nach einem familiären Schicksalsschlag trotz Herzrasens den Praxisbetrieb monatelang aufrechterhält, bis sie "zwischen Panik und Depression", "angekotzt" von Praxis und Beruf, zusammenbricht. Nach dem Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik beginnt sie ein neues, wieder mit Freude erfülltes Leben und mit neuem (jetzt nicht mehr kassenärztlichem) Praxiskonzept.

Ihr Resümee: "Ich musste auf die Schnauze fallen." Nicht nur viele Patienten gehen zu spät zum Arzt. Gerade die Ärzte selbst scheuen sich häufig davor, sich in Behandlung zu begeben. Laut diverser Umfragen hat ein relevanter Teil unserer Berufsgruppe noch nicht mal einen Hausarzt. Stattdessen wird neben Verdrängung die Selbstbehandlung großgeschrieben. Letztere ist aber häufig keine gute Idee, erst recht nicht, wenn es um psychische Probleme geht, die in der Ärzteschaft eher die Regel und nicht die Ausnahme darstellen. Von einem Kunstfehler spricht in diesem Zusammenhang der Psychiater Dr. Bernhard Mäulen in einem ebenfalls lesenswerten Interview zur Sucht, Selbstmedikation und Suizidalität bei Ärzten.

Ärztegesundheit: im Genfer Gelöbnis thematisiert – und in praxi?

"Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Fähigkeiten achten, um eine Behandlung auf höchstem Niveau leisten zu können." Ist Ihnen dieser Satz geläufig? Er findet sich unter den 13 Leitmotiven der Genfer Deklaration des Weltärztebundes (WMA), die auch der deutschen (Muster-) Berufsordnung für Ärzte vorangestellt ist.

Das Genfer Gelöbnis ist die moderne Version des hippokratischen Eids. Die aktuelle Revision wurde von einer internationalen Arbeitsgruppe unter Leitung der Bundesärztekammer erarbeitet und 2017 verabschiedet. Neben einer Verpflichtung zum kollegialen Teilen des medizinischen Wissens enthält der Kodex nun auch den Appell an die Ärzte, sich "vor dem Hintergrund der steigenden Arbeitsbelastung" um die eigene Gesundheit zu kümmern, wie die Bundesärztekammer schreibt.

Das Thema Ärztegesundheit ist mittlerweile, wie in anderen Fällen nach entsprechendem Vorlauf im angloamerikanischen Raum, auch in Deutschland angekommen. Mit systematischen Studien und spezifischen Hilfsangeboten sieht es allerdings noch einigermaßen dürftig aus.

Ein Angebot wie das britische NHS Practitioner Health Programme gibt es hierzulande noch nicht. Das betrifft auch Leitlinien zur ärztlichen Gesundheit, anders als etwa in England oder Kanada. Spezialisiert und nach eigener Aussage führend in der Behandlung von Arzt-Patienten sind in Deutschland die Oberbergkliniken mit einer bundesweiten Standortpräsenz und drei Akutkliniken in Berlin/Brandenburg sowie im Schwarzwald und Weserbergland. Drei Fallbeispiele von dort sind vor einigen Jahren im Hessischen Ärzteblatt (Themenheft Burnout, 2013; PDF-Link) beschrieben worden. In der Publikation findet sich auch ein Artikel zur Resilienz im Arztberuf. Darin heißt es u. a.: "Wer in Beziehungskompetenz investiert, investiert in seine seelische Widerstandsfähigkeit." (siehe letzter Blogbeitrag …)

Die Krise als Chance und Kompetenzgewinn

Interessanter Fakt: Der Gründer der Oberbergkliniken, Prof. Matthias Gottschaldt, erarbeitete ein poststationäres Curriculum, das auf die rasche berufliche Wiedereingliederung von substanzabhängigen Ärzten abzielt. Motivation und Kompetenz dafür zog er aus seinem eigenen Erfahrungsschatz als Betroffener: Nach musterhaftem Karriereaufstieg (mit 34 Jahren Chefarzt, zwei Jahre später Professor) erfolgte der Absturz in ein Burnout mit resultierender Alkoholsucht. Noch während des letzten Klinikaufenthalts entwickelte der Neurologe mit dem Oberbergmodell ein neues, schulenübergreifendes Konzept und das erste Kurzzeitmodell, um den Bedürfnissen „leistungsorientierter, häufig selbständig arbeitender Personen“ Rechnung zu tragen.

Der von engagierten Nachwuchsmedizinern gegründete Verein Blaupause – Initiative für mentale Gesundheit im Gesundheitswesen wurde im letzten November mit einem Antistigma-Preis der DGPPN ausgezeichnet. Ziel des jungen Netzwerks ist es, durch Angebote wie Internetforum und Blog zu mehr Aufklärung, Austausch und Akzeptanz beizutragen.

Selbsterkenntnis im Selbsttest

Und auf der Website aerztegesundheit.de des oben erwähnten Psychiaters Bernhard Mäulen gibt es einen Online-Selbsttest mit 14 Fragestellungen und maximal 28 erreichbaren Punkten. Zuerst wird abgefragt, ob man bei sich einen Gesundheitscheck hat durchführen lassen ("nein, noch nie": 0 Punkte / "ja, innerhalb der letzten 5 Jahre": 1 Punkt / "ja, innerhalb der letzten 2 Jahre": 2 Punkte). Besonders interessant ist das Antwort-Punkte-Schema bei Frage 12. "Gedanken daran, den Arztberuf aufzugeben habe ich":

a) mehrmals pro Woche (0 Punkte);

b) 3-4 mal im Monat (1 Punkt);

c) etwa 1 mal pro Monat (2 Punkte).“

Gelegentliches Hinwerfen in Gedanken scheint also durchaus normal zu sein …