CRISPR-manipulierte Organismen

Sollten Pflanzen, die über Genome Editing erzeugt wurden, als gentechnisch veränderte Organismen betrachtet werden? Ein umstrittenes Gerichtsurteil.

Ein Fall für die Kategorie Gentechnisch veränderte Organismen (GVO)?

Das Gerichtsurteil wurde von den Biowisenschaftlern:innen  als schwerer Schlag für den Forschungsstandort Europa aufgenommen. Die Süddeutsche Zeitung schrieb von einem Fehlurteil, rückwärtsgewandt und folgenreich, mit dem "wieder einmal die Angst gewonnen hat". Für Spiegel Online war der Tag des Urteils durch den Europäischen Gerichtshof ein "trauriger Tag für Europa" und ein "Abschied von den Fakten". 

ZEIT Online bezeichnete das Urteil als "gefährlichen Rückschritt". Das Urteil reihe sich ein in eine europäische Tradition von richterlichen Entscheidungen, die eher von einem Misstrauen in die Wissenschaft und einer gewissen Fortschrittsangst geprägt sind als von dem Vertrauen in die Chancen neuer Technologien. Eine Gastkommentatorin in der Frankfurter Allgemeinen sprach von einer "fatalen Entscheidung" des Gerichts.

Junge Forschende machten ihrem Ärger auf Twitter Luft. So Robert Hoffie vom Leibniz-Institut Gatersleben für Pflanzenforschung: "Das Urteil ist enttäuschend, die Begründung nicht nachvollziehbar. Es wirft uns weit zurück und hindert uns, mittels CRISPR & Co. sinnvolle Beiträge für die Landwirtschaft zu leisten".

Hendrik Hanekamp, der gerade an der Universität Göttingen seine Promotion abgeschlossen hatte, kommentierte: "Gute Nacht Forschungsstandort EU. Gute Nacht Sachlichkeit. Gute Nacht Aufklärung." Der Direktor am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen, Detlef Weigel, fasste zusammen: "Es ist ein Tritt in die Magengrube für unsere hart arbeitenden Studenten und Postdocs, die die Welt zu einem besseren Ort machen wollen."

Wie könnten die Folgen des Urteils aussehen? 

Europäische Innovationen in der Landwirtschaft auf Basis der Präzisionszüchtung/Genom-Editierung kommen durch die hohen Auflagen der GVO-Richtlinie zum Erliegen. Die Pflanzenzüchtung in Europa kommt weltweit ins Hintertreffen geraten und noch mehr der besten Wissenschaftler:innen könnten Europa verlassen. Kleine und mittlere Pflanzenzüchter hätten keine Möglichkeit, diese Technologie zu nutzen, da sie den teuren Zulassungsprozess nicht bezahlen können.

Europäische Landwirt:innen haben keine Möglichkeit haben, durch Genome Editing verbesserte Nutzpflanzen anzubauen, die z.B. Klima-toleranter sind oder ein verbessertes Nährstoffprofil haben.

Bereits in den ersten Wochen und Monaten nach dem Urteil haben sich die ersten Folgen gezeigt 

In Belgien wurden der Forschung höhere Auflagen gemacht und konkrete Innovationen erschwert. Ein belgisches Start-up, das die CRISPR-Technologie zur Unterstützung der afrikanischen Bananenindustrie einsetzen wollte, verlor deshalb  innerhalb weniger Tage nach dem Urteil seine Finanzierung.  Ziel des Start-ups war es, eine essbare Banane zu entwickeln, die gegen die Panama-Krankheit und den Schwarzen Sigatoka resistent ist, zwei Pilzschädlinge, bei denen 80.000 afrikanische Züchter:innen das Risiko haben, ihre gesamte Ernte zu verlieren.

 Um sich und den Forschungsstandort Europa zu verteidigen, haben sich führende Wissenschaftler:innen aus mehr als 85 europäischen Instituten der Pflanzen- und Biowissenschaftsforschung zusammengeschlossen.  Ende Oktober 2018 veröffentlichten sie ein Positionspapier, in dem sie die Politik eindringlich auffordern, so schnell wie möglich zu handeln. Genom-editierte Organismen als GMO zu regulieren, habe negative Konsequenzen für die Landwirtschaft, die Gesellschaft und die Wirtschaft.

 Im November 2018 haben sich dann mehr als 130 Akteure der akademischen Pflanzenforschung in Deutschland in einem Offenen Brief an die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, gewandt, sowie an die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner. Sie fordern die Politik zu einer differenzierten Bewertung, verantwortungsbewusstem Handeln und einem ergebnisorientierten Dialog auf.

Wo stehen wir jetzt? 

Im  Deutschlandfunk berichten die Redakteure Georg Ehring, Ralf Krauter und Tobias Pastoors am 1.Mai 2021: Bislang steht dem Einsatz neuer Verfahren das Gentechnik-Recht der EU im Weg. Doch eine Studie der EU-Kommission sieht Potenzial für die nachhaltige Landwirtschaft – und Reformbedarf bei der Regulierung.

Die EU-Kommission will den Rechtsrahmen für Gentechnik reformieren, um neue Verfahren zur Veränderung des Erbguts bei Pflanzen zu regeln. Die Studie der Kommission kommt zu dem Schluss, dass diese Verfahren zu einem nachhaltigeren Lebensmittel-System beitragen können. Die derzeit geltenden Rechtsvorschriften für genveränderte Organismen (GVO) aus dem Jahr 2001 sind demnach nicht zweckmäßig für einige neue Verfahren und müssen an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt angepasst werden.

Sojabohnen mit gesünderen Fettsäuren, Weizen mit weniger Gluten, Mais, dem Hitze und Trockenheit weniger anhaben kann – all das gibt es schon durch neuartige Werkzeuge wie dem Genome Editing mit CRISPR, mit dem sich das Erbgut von Nutzpflanzen präzise verändern lässt. So können Nutzpflanzen mit solchen Eigenschaften heute zigmal schneller erzeugt werden als mit klassischen Zuchtverfahren. 

Gleichzeitig unterscheiden sich diese Pflanzen nach Einschätzung von Agrarwissenschaftler:innen oft gar nicht von klassisch gezüchteten Sorten. Eine Reihe genom-edierter Nutzpflanzen dürfen in Europa seit dem Spruch 2018 des Europäischen Gerichtshofes nur unter strengen Sicherheitsauflagen auf Äckern gepflanzt werden. In vielen Staaten außerhalb der EU werden genom-editierte Nutzpflanzen nicht als gentechnisch verändert klassifiziert. 

Kritiker:innen drängen daher bei schon länger bei der EU-Kommission auf eine Novellierung der Gentechnik-Gesetzgebung. Diese will nach der Veröffentlichung der Studie nun einen Konsultationsprozess einleiten, um die Gestaltung eines neuen Rechtsrahmens zu erörtern.

Zumindest für einige dieser Verfahren ist aus Sicht der Kommission eine Anpassung der GVO-Rechtsvorschriften notwendig

Mit der Genschere CRISPR-Cas9 kann das Genmaterial von Pflanzen ohne das Einfügen fremden Erbguts schnell und präzise verändert werden. Der Studie der EU-Kommission zufolge können so über neue genomische Verfahren Lebensmittel entwickelt werden, die einen besseren Nährwert haben und geringeren Pestizid- und Düngemitteleinsatz in der Landwirtschaft erfordern.  

Nach Ansicht des Bundesverbands Deutscher Pflanzenzüchter kann man mit den neuen Verfahren schneller und effizienter als bislang verbesserte Sorten herzustellen, die beispielsweise resistenter gegen Trockenheit sind. 

Aktuell könne die Entwicklung einer neuen Sorte bis zu 25 Jahre dauern, sagte der Verbandsgeschäftsführer Carl-Stephan Schäfer im Deutschlandfunk. Man könne die neuen Verfahren sehr unterschiedlich anwenden, weshalb eine differenzierte Betrachtung statt einer pauschalen Einstufung als gentechnische Veränderung notwendig sei. Kleinere Eingriffe sollten behandelt werden wie natürliche Züchtungsmethoden. Verändere man lediglich ein Basen-Paar, sei dies eine Veränderung, wie sie auch in der Natur durch UV-Strahlen vorkommen könne. Wenn aber Fremd-DNA in eine Pflanze eingebaut würde, sei das dagegen unstrittig ein Fall von Gentechnik. 

Auch der bereits erwähnte Robert Hoffie vom Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben begrüßt die Studie. Das Gentechnik-Recht aus dem Jahr 2001 sei nicht mehr zeitgemäß. Freisetzungsversuche, also Experimente im Feld, seien schwer durchführbar, Anwendungen durch Landwirt:innen seien kaum möglich. Dabei gingen von den durch neue Methoden veränderten Pflanzen nicht mehr Risiken aus – sondern sogar weniger. Denn bei klassischen Züchtungen wissen man oft gar nicht, wie man die Veränderung der Pflanze erzeugt habe.

Umweltschützende zeigen sich dagegen vom Vorstoß der Kommission entsetzt. Sie schlage vor, Jahrzehnte des Vorsorgeprinzips zu zerreißen, indem sie neue gentechnisch veränderte Nutzpflanzen ohne Sicherheitstests auf unsere Felder und Teller lassen, sagt Friends of the Earth in einer Stellungnahme. "Gentechnisch veränderte Organismen unter einem anderen Namen sind immer noch gentechnisch veränderte Organismen und müssen nach dem Gesetz als solche behandelt werden", meint Greenpeace. Gentechnik habe bislang keinen direkten und bleibenden Einfluss etwa auf die Ernte-Größe nehmen können.

Die Bundesagrarministerin deutete dagegen die Studie der EU-Kommission als "eindeutiges Signal, den europäischen Rechtsrahmen zu erneuern." Die neuen Techniken böten etwa Chancen, den Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln zu reduzieren. Sie steht damit auf der Seite des Deutschen Bauernverbands, der sagt, Bauern bräuchten dringend neue Züchtungstechniken, um schnell widerstandsfähigere Kulturpflanzen zu erhalten.  Die FDP ist ebenfalls gegen die derzeitige Gentechnik-Regulierung. "Wir dürfen mit unserer europäischen Landwirtschaft nicht in einer veralteten Sichtweise verharren", forderte auch der Vorsitzende des Agrarausschusses im EU-Parlament, Norbert Lins (CDU).

Kritik kommt dagegen aus dem Bundesumweltministerium von Svenja Schulze (SPD): Es sei zweifelhaft, ob neue Gentechnik tatsächlich dabei helfen könne, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren, ohne dabei zugleich Biodiversitätsziele zu gefährden. Auch neue Gentechnik ist und bleibt Gentechnik, sagte Schulze schon vor Veröffentlichung der neuen Studie der Kommission. Die Debatte um die Zuordnung von neuen Verfahren sei 2018 vom Europäischen Gerichtshof endgültig entschieden worden, betonte sie. Sie sehe mit Befremden, dass es Bestrebungen gebe, neue Gentechnik umzudefinieren. Schulze betonte, dass Landwirtschaftsministerin Klöckner und sie sehr unterschiedliche Auffassungen darüber hätten, wie mit der neuen Gentechnik umzugehen sei.