Fortsetzung: Der Zusammenhang zwischen Stress, Angst und Inflammation

Chronischer Stress führt zur übermäßigen Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen, welche die Funktion des Nerven- und Immunsystems beeinflussen. In einer Welt, in der Stress kaum vermeidbar ist, sind mehr Menschen denn je von den Folgesymptomen betroffen.

Chronischer Stress führt zur übermäßigen Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen, welche die Funktion des Nerven- und Immunsystems beeinflussen. In einer Welt, in der Stress kaum vermeidbar ist, sind mehr Menschen denn je von den Folgesymptomen betroffen.

Im ersten Teil dieses Beitrages ging es um den Zusammenhang zwischen Stress, Inflammation und Ängsten.
Wenn der Körper chronisch von Stresshormonen geflutet ist, kann reihum jedes Organsystem reagieren und verschiedenste Symptome hervorrufen. Dr. Hanscom, ein amerikanischer Chirurg, der sich aus eigener Erkrankung heraus jahrelang mit dem Thema beschäftigte, kam zu dem Schluss, dass Panikattacken und Ängsten oft ein inflammatorisches Milieu im Körper vorausgeht, welches durch diese Stressachse entsteht. "Angst ist eine physiologische Reaktion auf eine Bedrohung. [...] Wenn Ihr Körper entzündet ist, werden Sie sich ängstlich fühlen."1 Ein wichtiger Schritt heraus aus dem, was wir im letzten Beitrag unter dem Begriff der neurophysiologischen Störung subsummiert hatten, bestand für ihn selbst und für viele seiner Patienten darin, Ängste zu reduzieren, die damit verbundenen Mediatoren zu reduzieren, die Stressreaktion zu reduzieren.

Die Stressantwort dämpfen

Realistisch ist es nicht möglich, ein Leben zu führen, welches komplett frei von psychischen Belastungen ist. Der Versuch, jedwedem Stress auszuweichen, kann sogar ein eigener Stressor werden. Was also können wir tun, um trotz allem, was tagtäglich auf uns einstürmt, die Stresshormonbelastung zu senken?

Hier in Kurzform 10 Ansätze, die Dr. Hanscom vorschlägt:2

  1. Ängste verstehen und behandeln. Angst ist einfach Ihr Körper, der Gefahr signalisiert. Die Empfindung von Angst entsteht durch Erhöhung von Stresshormonen, Aktivierung des Sympathikus, erhöhten proinflammatorischen Zytokinen und der entzündlichen Reaktion. Es ist somit kein rein "psychisches Problem", obwohl mentale Bedrohungen ein höheres Potenzial haben, das Nervensystem überzustimulieren als körperliche.
  2. Für ausreichend Schlaf sorgen. Mindestens sieben Stunden erholsamer Schlaf pro Nacht senken die Bedrohungsreaktion und Inflammation.
  3. Expressives Schreiben praktizieren. Dr. Hanscom hat die Erfahrung gemacht, dass diese Technik einen erstaunlichen Effekt auf sowohl mentale, als auch körperliche Symptome haben kann, was er hier genauer erklärt.
  4. Vergebung üben. Wut generiert starke neurochemische Reaktionen mit ausgeprägten Erhöhungen proinflammatorischer Zytokine. Es gibt keine Abkürzung zur Bewältigung von Wut, aber sie muss schnell adressiert werden. Wollen Sie, dass die Person oder Situation, die Sie hassen, das ist, was Sie letztendlich krank macht?
  5. Auf gesunde Ernährung achten. Verarbeitete Nahrungsmittel sind reich an raffinierten Kohlenhydraten, die bei übermäßigem Konsum Insulinresistenz verursachen und dadurch die Produktion inflammatorischer Zytokine erhöhen. Sie sind außerdem voller industriell aufgearbeiteter pflanzlicher Öle, die proinflammatorisch sind. Die Ernährungsweise kann zur Senkung der proinflammatorischen Zytokine beitragen, was unabhängig von dem Ziel ist, Gewicht zu verlieren.1
  6. Erregung des Nervensystems senken.
    1. Schauen von Nachrichten limitieren.
    2. Gewalttätige und reizüberflutende Sendungen meiden, insbes. vor dem Schlafengehen. Allein das Beobachten von Gewalt erhöht die proinflammatorische Reaktion.
    3. Aufhören, negativ zu reden, z. B. sich zu beschweren, zu tratschen, Probleme zu repetieren, ungefragt Ratschläge zu geben und zu kritisieren.
  7. Ein körperliches Trainingsprogramm einhalten.
    1. mind. 30 Minuten pro Tag
    2. gemäßigt und so, dass es Freude macht
  8. Den Überblick über medizinische Belange behalten. Halten Sie alle empfohlenen medizinischen Behandlungen ein. Nehmen Sie Ihre Medikamente. Kontrollieren Sie Ihren Diabetes. Bleiben Sie mit Ihrem Arzt in Kontakt, auch bei Problemen, die Sie als unbedeutend ansehen.
  9. Familiäre Probleme direkt ansprechen. Familienangehörige triggern sich gegenseitig, aber es gibt effektive Möglichkeiten, eine Struktur zu schaffen, die Konflikte minimiert.
    1. In Chaos zu leben, ist nicht nur unangenehm; es wirkt sich auch negativ auf Ihre Gesundheit aus.
    2. Ihre Familie ist in der Regel die Quelle Ihrer größten Trigger.
    3. Seien Sie freundlich! Jedes Familienmitglied, das sich ausgeschlossen fühlt, hat ein höheres Risiko für (chronische) Erkrankungen.
  10. Spaß haben. Eine der kraftvollsten Arten, die Produktion von antiinflammatorischen Botenstoffen und Entspannungshormonen zu erhöhen.

Kein linearer Prozess

Wichtig ist dabei, die Modalitäten parallel anzugehen: Schlaf, Stress, Medikamente, Ernährung, mentale Lebenseinstellung und körperliche Kondition. Zuweilen sagen Patienten vielleicht: "Ich war bei der Physiotherapie und es hat mir nicht geholfen" oder "Ich habe Yoga probiert und es funktioniert nicht." Etwas hilft zu einem bestimmten Prozentsatz, aber wenn andere wichtige Komponenten nicht normalisiert sind, wird es nicht funktionieren. Für Dr. Hanscom ist Schlaf klar das Wichtigste: "Das ganze Projekt ist null und nichtig, wenn Sie nicht schlafen." Das ist natürlich einfacher gesagt, als getan. Jemand, der ernstlich gestresst ist, wird nicht gut schlafen. Dr. Hanscom arbeitet zuweilen für eine begrenzte Zeit zu Beginn mit einfachen Medikamenten. Strategien, die den Vagusnerv aktivieren, sind oft sehr effektvoll, weil dieser einen Entspannungszustand einleitet und inflammatorische Marker senkt.3 Darüber gibt es inzwischen so viel Material, dass es hier und heute den Rahmen sprengen würde. Das erste Buch, was bei mir diesbezüglich einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, war "Der Selbstheilungsnerv" von Stanley Rosenberg.

Dr. Hanscom erinnert auch daran, dass die Arbeit an Wut- oder Angstproblemen ein langfristiger Prozess sein kann. Ein altes Problem kann jederzeit getriggert werden, und wenn es nicht zeitnah bearbeitet wird, können die Beschwerden, in seinem Fall einst eine Schmerzsymptomatik, zusammen mit der Wut und den Ängsten zurückkehren.3
Oft werden die Patienten selbst überrascht von dem, was zutage tritt, weil wir gewohnt sind, viele Emotionen zu unterdrücken. Achtsamkeits- und Meditationstechniken können hier sehr helfen. Viel Angst ist unterdrückte Trauer. Max Strom, der Atemtechniken lehrt, beispielsweise bei Menschen mit Panikattacken, sieht darin den Grund, dass viele Menschen beginnen zu weinen, sobald sie anfangen, an ihren Ängsten zu arbeiten.4 Unterdrückte Ängste haben interessanterweise auch viel mit der Burnoutrate von 50–55% bei Ärzten zu tun, so Hanscom.3 

"Wenn man sich sicher fühlt, geschieht eine tiefgreifende Veränderung in der Chemie des Körpers [...] von Adrenalin, Kortisol, Histaminen und inflammatorischen Zytokinen hin zu Wachstumshormonen, Dopamin, Serotonin und GABA."
Lernt jemand Strategien zur Dämpfung der Stressreaktion, so Hanscom, verschwinden viele der assoziierten Symptome, bspw. Ängste. Die Patienten kommen nicht nur mit den Symptomen klar, die Symptome bessern sich bzw. verschwinden.1

Referenzen:
1. The Interconnectedness Between Anxiety and Inflammation. Mercola.com http://articles.mercola.com/sites/articles/archive/2020/11/08/hanscom-covid-19-prevention.aspx.
2. Hanscom, D. Thrive and Survive. https://backincontrol.com/thrive-and-survive-covid-19-the-polyvagal-approach/.
3. Spine Surgeon Reveals Chronic Pain Treatment. Mercola.com http://articles.mercola.com/sites/articles/archive/2015/11/22/chronic-pain-treatment.aspx.
4. TEDx Talks. Breathe to Heal | Max Strom | TEDxCapeMay. https://www.youtube.com/watch?v=4Lb5L-VEm34 (2015).