Neurologischen Erkrankungen "davonlaufen"

Körperliche Aktivität stärkt das Gehirn – sie kann die kognitive Funktion verbessern, das Risiko für Altersdemenz und Schlaganfall senken und geht mit einer Halbierung der Mortalität nach Apoplex in der Vorgeschichte einher.

Drei aktuelle Studien kompakt zusammengefasst

Körperliche Aktivität stärkt das Gehirn – sie kann die kognitive Funktion verbessern, das Risiko für Altersdemenz und Schlaganfall senken und geht mit einer Halbierung der Mortalität nach Apoplex in der Vorgeschichte einher.

Experimentelle Studien der letzten Jahre haben viel darüber offenbart, wie Sport die zerebrale Funktion erhalten oder verbessern kann. Unter anderem geht Bewegung mit einer erhöhten Expression des neurotrophen Faktors (BDNF) und anderer neuroprotektiver Gene einher.1 Doch oft sind es Beobachtungen aus großen Humanstudien, die das Ausmaß der Effekte anders greifbar werden lassen, sprich, eine größere Motivationsspritze darstellen. Daher wollen wir hier wieder einmal drei ganz aktuelle Studien aufgreifen.

Nur drei bis vier Stunden Spazierengehen pro Woche gehen mit besserem Überleben einher

In der Fachzeitschrift 'Neurology' berichteten kanadische Wissenschaftler:innen diesen Monat über einen starken Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Überleben, insbesondere bei Patient:innen, die anamnestisch bereits einen Apoplex erlitten hatten.Bei 895 Patient:innen mit Zustand nach Schlaganfall und 97.805 Kontrollen aus der 'Canadian Community Health Survey' zeigte sich eine Dosis-Wirkungsbeziehung zwischen Bewegung und Sterblichkeit (aus jedweder Ursache heraus): nach Korrektur für soziodemographische Faktoren, Komorbiditäten und funktionelle Einschränkungen ging die Erfüllung einer Mindest-Richtschnur von 10 MET-Stunden/ Woche bei den Kontrollen mit einer um 31% niedrigeren Mortalität einher (HR 0.69; 95% KI 0.62-0.76). Noch deutlicher war die Korrelation bei den Apoplex-Überlebenden, bei denen Bewegung mit einer Reduzierung der Mortalität um 54% zu Buche schlug (HR 0.46; 95% KI 0.29-0.73).

Die Kurve verlief im Anfangssegment am steilsten: die größte Risikoreduktion trat in beiden Gruppen bereits zwischen 0 und 20 MET-Stunden/ Woche auf. "Unsere Ergebnisse sind beeindruckend, denn schon drei bis vier Stunden Spazierengehen pro Woche waren mit einer deutlichen Verringerung der Sterblichkeit verbunden, und das könnte für viele Menschen mit einem zurückliegenden Schlaganfall ein erreichbares Ziel sein", sagte Erstautor Dr. med. Raed A. Joundi von der Abteilung für klinische Neurowissenschaften an der Universität Calgary in Alberta, Kanada.3

Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen

Am stärksten fiel das Einhalten oder Nicht-Einhalten der Bewegungs-Richtlinien bei jüngeren Apoplex-Überlebenden ins Gewicht, denen unter 75‑Jährigen: hier reduzierte Bewegung das Sterberisiko um 79% (HR 0.21; 95% KI 0.10-0.43). Zum Vergleich: bei den über 75‑Jährigen waren es immerhin noch 32% (HR 0.68; 95% KI 0.42-1.12). "Unsere Ergebnisse unterstützen die Bestrebungen zum Abbau von Hindernissen für körperliche Aktivität und die Implementierung von Trainingsprogrammen für Schlaganfallüberlebende in der Bevölkerung", schließen die Autoren.

Vom gleichen Institut kommt aber auch ein Motivationsschubs für alle Jüngeren und Gesunden: Joundi und Kollegen analysierten separat 143.000 Personen, die von 2000 bis 2012 an derselben Erhebung, der 'Canadian Community Health Survey', teilgenommen hatten. Während der Nachbeobachtungszeit von im Median 9,4 Jahren traten 2.965 Schlaganfälle auf (88,2% ischämisch). Nach Stratifizierung der Befragten anhand ihres Bewegungslevels in der Freizeit stellten die Wissenschaftler:innen fest, dass Menschen unter 60 Jahren, die für mehr als acht Stunden ihrer wachen Freizeit körperlich inaktiv waren, ein 4,5-fach höheres Apoplex-Risiko haben (HR = 4.5; 95% KI, 1.64-12.3, im Vergleich zu Personen, die für weniger als vier Stunden inaktiv waren). Die Ergebnisse verhielten sich wiederum robust gegenüber Korrekturen für andere Risikofaktoren und auch affektive Störungen. Ein Knackpunkt lag allerdings darin, dass nur Freizeit und keine berufsbedingt sitzend verbrachte Zeit in die Analyse eingingen.

"Bewegungsarm verbrachte Zeit nimmt zu", gibt Joundi zu bedenken. "Erwachsene unter 60 Jahren sollten sich darüber im Klaren sein, dass ein sehr hoher Anteil an sitzender Lebenszeit und wenig körperlich aktiv verbrachte Zeit negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben können, einschließlich eines erhöhten Schlaganfallrisikos. [...] Ärztliche Empfehlungen und die öffentliche Gesundheitspolitik sollten bei jungen Erwachsenen mehr körperliche Aktivität und weniger bewegungsarme Tätigkeiten in Kombination mit anderen gesunden Lebensgewohnheiten in den Vordergrund stellen, um das Risiko von kardiovaskulären Ereignissen und Schlaganfällen zu senken."4

Bewegung kann altersbedingt erhöhtes Demenzrisiko wieder wettmachen

Anlässlich der 'Alzheimer's Association International Conference (AAIC) 2021' Ende Juli vorgestellte Daten der 'English Longitudinal Study of Aging' (ELSA) ergaben, dass sogar Erwachsene im Alter von 80 Jahren und älter, die sich körperlich mittelmäßig bis viel betätigen, ein geringeres Risiko für die Entwicklung einer Demenz haben als inaktive Erwachsene im Alter von 50 und 60 Jahren.5

In die aktuelle Analyse gingen Daten von 8.270 Personen über 50 Jahren ein (Durchschnitt 64 Jahre), die von 2002 bis 2019 nachverfolgt wurden. Im Laufe dieser 17 Jahre entwickelten etwa 8% der Teilnehmenden eine Demenz. Das Risiko stieg mit dem Alter um 7,8% für jedes Jahr. Für Personen mit leichter körperlicher Betätigung fiel es jedoch um 70% (OR 0,30; 95% KI, 0,25 - 0,36) und bei mittlerer bis starker körperlicher Aktivität um 87% geringer aus (OR 0,13; 95% KI, 0,10 - 0,16) als bei inaktiven Altersgenossen. Die Berücksichtigung konkurrierender Risikofaktoren und ein Modell zur Minimierung des Einflusses möglicher reverser Kausalitäten änderten nichts an den Ergebnissen.

Diese Erkenntnisse haben wichtige Implikationen für das Gesundheitswesen, denn Demenzerkrankungen und körperliche Inaktivität nehmen zu, sowohl bei jüngeren Menschen als auch bei älteren, die möglicherweise Schwierigkeiten damit haben, das empfohlene Level körperlicher Aktivität zu erreichen, führt der Studienleiter Natan Feter, PhD, von der Federal University of Pelotas, Brasilien, aus. "Selbst mäßige körperliche Aktivität einmal pro Woche kann das Demenzrisiko reduzieren", sagt Feter weiter. "Wir hatten diese Wirkung bereits an Menschen mit MCI (milder kognitiver Beeinträchtigung) nachgewiesen. Hier haben wir diesen Effekt für die gesamte ältere Bevölkerung demonstriert."5

Im Jahr 2020 lebten weltweit über 50 Millionen Menschen mit einer Demenz. Alle 20 Jahre wird in etwa mit einer Verdoppelung gerechnet, im Jahr 2030 mit 82 Millionen und im Jahr 2050 mit 152 Millionen.6 Die demographische Entwicklung ist ein wichtiger Faktor, aber nicht der einzige. Jeder fünfte Demenzfall in Europa ist laut Feter auf körperliche Inaktivität zurückzuführen.7

Referenzen:
1. Wrann, C. D. et al. Exercise Induces Hippocampal BDNF through a PGC-1α/FNDC5 Pathway. Cell Metabolism 18, 649–659 (2013).
2. Joundi, R. A., Patten, S. B., Lukmanji, A., Williams, J. V. & Smith, E. E. Association Between Physical Activity and Mortality Among Community-Dwelling Stroke Survivors. Neurology (2021).
3. Physical Activity Linked to Lower Mortality in Stroke Survivors. Neurology Advisor (2021).
4. Sedentary leisure time of at least 8 hours per day tied to stroke risk in younger adults.
5. Can Older Adults Walk Their Way Out of Dementia? Medscape.
6. ADI - Dementia statistics.
7. Feter, N. et al. Physical activity in later life and risk of dementia: Findings from a population-based cohort study. Exp Gerontol 143, 111145 (2021).