Vitamin-B12-Mangel: Eine oft übersehene, reversible Ursache einer Demenz

Diverse neurologische Störungen sollten an einen Cobalaminmangel denken lassen, darunter auch eine kognitive Dysfunktion. Alter und multiple Begleiterkrankungen können die Diagnose verschleiern.

Cobalaminmangel kann kognitive Defizite und Demenz verursachen

Niedrige Vitamin-B12-Spiegel als Ursache für MCI und Demenz häufig unterschätzt

Neben Kribbel- und Taubheitsgefühlen durch schlechte Myelinisierung können auch Störungen von Kognition und Gedächtnis mit einer B12-Defizienz verknüpft sein. Eine multizentrische Studie2 von 2020 untersuchte 249 Personen mit mildem kognitiven Defizit (MCI, Mini-Mental-Status-Score 12–24). Fokale oder metabolische Ursachen waren vor Studieneinschluss ausgeschlossen worden. Bei 202 von ihnen (126 Frauen, 76 Männern) zeigten sich grenzwertige oder erniedrigte Cobalamin- sowie erhöhte Homocysteinspiegel. Der B12-Mangel war zu 29% leicht, zu 56% mittelschwer und zu 15% schwer ausgeprägt.

Alle Patientinnen und Patienten mit Vitamin-B12-Mangel erhielten zunächst eine parenterale Substitution (um Probleme mit der Aufnahme auszuschließen), gefolgt von einer oralen Substitutionstherapie über drei Monate. Nach drei Monaten wurden alle klinischen und Labortests wiederholt. Die B12-Spiegel hatten sich bei allen Teilnehmenden normalisiert. 84% von ihnen berichteten eine Verbesserung ihrer Symptome, fast ebenso viele (78%) erzielten auch bessere Punktzahlen im Mini-Mental-Status-Test (MMST). Es verblieben lediglich 18 Personen, die sich weder subjektiv noch objektiv verbessert hatten (alle weiblich und > 50 Jahre alt).

Rechtzeitige Diagnose und Therapie entscheidend

Das Zeitfenster für eine wirksame Intervention bei Menschen mit kognitiven Störungen und niedrigem Cobalamin scheint begrenzt zu sein. Eine frühere Studie3 berichtete bei 40 von 56 Patienten mit kognitiver Dysfunktion über eine Verbesserung nach parenteraler B12-Supplementierung für mindestens sechs Monate. Hier zeigte sich eine auffällige Korrelation zwischen der Dauer der Symptome und dem Therapieansprechen. Personen, die seit weniger als 12 Monaten Symptome aufwiesen, verbesserten sich signifikant (im Durchschnitt um sechs Punkte im MMST; p = 0,0065), während Patienten, bei denen seit mehr als einem Jahr kognitive Symptome bestanden hatten, der MMST im Durchschnitt um vier Punkte stieg, was in diesem kleinen Kollektiv nicht mehr signifikant war. Bei sechs Personen, die erst seit drei bis sechs Monaten symptomatisch waren, normalisierten sich die MMST-Werte (um 1, 2, 3, 6 und 9 Punkte).

Erhöhte Methylmalonsäure- und Homocysteinwerte im Serum sind Marker für einen Vitamin-B12-Mangel. Erhöhte Homocysteinspiegel sind auch häufig mit einem M. Alzheimer und Schlaganfällen assoziiert.2 Gesamt-Vitamin-B12 im Serum gilt als später, relativ unsensitiver und unspezifischer Biomarker des B12-Mangels. Holotranscobalamin (Holo-TC), auch als aktives B12 bezeichnet, ermöglicht als frühester Laborparameter des B12-Mangels therapeutische Schritte, bevor irreversible neurologische Schäden eintreten.4

Ein Mangel ist häufiger als allgemein angenommen

Aktuelle Studien schätzen, dass etwa 6% der Erwachsenen unter 60 Jahren in westlichen Industrienationen an einem Vitamin-B12-Mangel leiden, bei den über 60-Jährigen liegt die Rate jedoch eher zwischen 10 und 30%.4,5 Studien aus anderen Ländern haben auch Raten über 60% gefunden.6

Die ersten Symptome eines Mangels können unspezifisch ausfallen bzw. anfangs noch gänzlich fehlen. Da insbesondere neurologische Folgen bleibend sein können und der Mangel vergleichsweise einfach zu therapieren ist, sollten insbesondere Risikogruppen etwa alle zwei Jahre auf einen Mangel gescreent werden.4

Wie die eben zitierten Zahlen unterstreichen, ist eine Defizienz allgemein weit verbreitet, als besonders gefährdet gelten jedoch ältere Personen (auch aufgrund von Polypharmazie, z.B. Malabsorption unter Protonenpumpen-Hemmern), Patienten mit Anämie oder ungeklärten neuropsychiatrischen Symptomen, Schwangere sowie Menschen mit Nieren- oder intestinalen Erkrankungen und Vegetarier (entgegen der landläufigen Meinung sind nicht nur strikte Vegetarier häufig betroffen, unabhängig von der Art der vegetarischen Ernährung und demographischen Variablen bewegt sich die Rate bei 21–85%).7

Referenzen:
1. Wong, C., Benyaminov, F. & Block, L. Reversible dementia in the setting of multiple medical comorbidities due to B12 deficiency. BMJ Case Reports CP 15, e248440 (2022).
2. Jatoi, S. et al. Low Vitamin B12 Levels: An Underestimated Cause Of Minimal Cognitive Impairment And Dementia. Cureus 12, e6976.
3. Abyad, A. Prevalence of vitamin B12 deficiency among demented patients and cognitive recovery with cobalamin replacement. J Nutr Health Aging 6, 254–260 (2002).
4. Herrmann, Wolfgang. Übersichtsarbeit: Ursachen und frühzeitige Diagnostik von Vitamin-B12-Mangel. Deutsches Ärzteblatt.
5. Office of Dietary Supplements - Vitamin B12.
6. McLean, E., de Benoist, B. & Allen, L. H. Review of the magnitude of folate and vitamin B12 deficiencies worldwide. Food Nutr Bull 29, S38-51 (2008).
7. Guney, T., Yikilmaz, A. S. & Dilek, I. Epidemiology of Vitamin B12 Deficiency. Epidemiology of Communicable and Non-Communicable Diseases - Attributes of Lifestyle and Nature on Humankind (IntechOpen, 2016).

Letzter Zugriff auf alle genannten Webseiten am 23.03.22