Aus Krebsmedikamenten generierte Umsätze stiegen in der letzten Dekade um 70%

Der Einsatz neuer Krebsmedikamente ohne belegten klinischen Nutzen hat über die letzten zehn Jahre hinweg deutlich zugenommen. Aktuelle Erhebungen zeigen die erheblichen finanziellen Auswirkungen auf.

Der Einsatz neuer Krebsmedikamente ohne belegten klinischen Nutzen hat über die letzten zehn Jahre hinweg deutlich zugenommen. Aktuelle Erhebungen zeigen die erheblichen finanziellen Auswirkungen auf.

"Die Markteinführungspreise neuer onkologischer Medikamente in den USA sind in den vergangenen Jahren beträchtlich angestiegen – trotz Bedenken bezüglich der Quantität und Qualität der ihrer Zulassungen zugrundeliegenden Evidenz", schreiben die Autoren eingangs einer kürzlich im 'Journal of the American Medical Association' veröffentlichten Querschnittstudie.1 In dieser werteten sie Daten zu oralen "targeted therapies" aus, die zwischen 2011 und 2018 erstmals eine Zulassung erhielten.

Hohe Kosten für Krebsmedikamente spiegeln deren klinischen Nutzen nicht wider

Von über 37 Tsd. Behandelten, die im Auswertungszeitraum mindestens einen von 44 neu zugelassenen Wirkstoffen erhielten, entfiel ein wachsender Anteil auf Therapien ohne nachgewiesenen Überlebensvorteil: waren es 2011 noch 12,7%, lag dieser Anteil 2018 bei 58,8%.

Insgesamt wurden bis Ende 2018 3,5 Mrd. für die untersuchten Krebsmedikamente ausgegeben, wobei die Kosten für Medikamente ohne dokumentierte Überlebensverlängerung (1,8 Mrd., 51,6 %) die Kosten für jene mit dokumentiertem Nutzen für das Gesamtüberleben (1,7 Mrd., 48,4 %) übertrafen.1

40 der 44 Wirkstoffe waren über einen der beschleunigten Wege zugelassen worden. Für nur 11 der 44 Wirkstoffe war bis Ende 2018 ein statistisch signifikanter Vorteil für das Gesamtüberleben belegt, dieser betrug zwischen 4,6 und 6,6 Monaten. Für keines dieser Medikamente konnte bis dahin ein Benefit hinsichtlich der Lebensqualität nachgewiesen werden.2,3

"Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass Krebsmedikamente mit substanziellen Schwächen in ihrer Evidenzgrundlage in das Gesundheitssystem aufgenommen werden und für beträchtliche Ausgaben verantwortlich sind", resümiert die von der Harvard Universität geleitete Studie.

Umsatzlandschaft hat sich verändert

Eine im Rahmen des ASCO Annual Meetings 2021 präsentierte Auswertung ging der Frage nach, wie sich die eben skizzierten Entwicklungen – das beschleunigte auf den Markt Drängen neuer Therapien sowie der drastische Anstieg der Medikamentenpreise – auf den Gewinn der Hersteller auswirken. Hierfür werteten sie öffentlich verfügbare Daten zu den zehn umsatzstärksten Pharmaunternehmen 2019 aus und ermittelten den Anteil der Krebsmedikamente an den Nettoeinnahmen für jedes dieser Unternehmen von 2010 bis 2019 anhand von konsolidierten Jahresberichten (d. h. 10-K- oder 20-F-Formulare).4,5

Nach Korrektur für die globalen Inflationsraten kamen sie zu folgendem Ergebnis: der kumulative Jahresgewinn durch onkologische Medikamente ist bei diesen Unternehmen um 96% gestiegen (von $52,8 Mrd. auf $103,5 Mrd.), während der Umsatz durch nicht-onkologische Medikamente um 19% sank (von $342,5 Mrd. auf $276,9 Mrd.). Der Anteil der Krebsmedikamente an den Gesamteinnahmen verdoppelte sich (von 13% auf 27%; p < 0,001). 

Will man nicht über Anteile am Gewinn, sondern über den Gesamteffekt sprechen:
Im Studienzeitraum stagnierten die Umsätze im nicht-onkologischen Bereich, während die Umsätze im onkologischen Bereich um 70% stiegen (von $55,8 Mrd. auf $95,1  Mrd.).
Im Zeitraum 2015–2019 nahm damit der Jahresumsatz der Studienkohorte um 12% zu: von $339,7 Mrd. auf $380,4 Mrd.5

Der hohe Preis zu großer Erwartungen

"Weitere Untersuchungen sind erforderlich, um zu verstehen, ob dieser Anstieg der Verkaufserlöse den Branchengewinn widerspiegelt und inwieweit die gestiegenen Ausgaben zu verbesserten Resultaten für Patienten und Bevölkerung geführt haben", schließen die Autoren.5Es gibt eine Analyse aus dem 'Lancet Oncology' von 2020, welche letztere Frage relativ klar beantwortet.6 Die Auswertung bezog 65 Krebsmedikamente ein, die in den letzten zehn Jahren auf den Markt gebracht wurden, und fand keinen Zusammenhang zwischen klinischem Nutzen und monatlichen Behandlungskosten.
"Die Preise für Krebsmedikamente sollten besser an ihren klinischen Nutzen angepasst werden, um den Zugang zu nützlichen Arzneimitteln zu verbessern und zu ermöglichen, dass begrenzte Ressourcen für Behandlungen eingesetzt werden, die den Patienten bessere Outcomes bieten", so Dr. Kerstin Noëlle Vokinger, JD, PhD, LLM, Assistenzprofessorin für Öffentliches Recht und Digitalisierung, Gesundheitsrecht und Regulierungswissenschaften an der Universität Zürich, Leitautorin dieser Untersuchung.7

Referenzen:
1. Fu, M. et al. Real-world Use of and Spending on New Oral Targeted Cancer Drugs in the US, 2011-2018. JAMA Internal Medicine 181, 1596–1604 (2021).
2. The Price Tag of FDA’s ‘Onco-Exceptionalism’. https://www.medpagetoday.com/publichealthpolicy/fdageneral/95101 (2021).
3. Shahzad, M., Naci, H. & Wagner, A. K. Estimated Medicare Spending on Cancer Drug Indications With a Confirmed Lack of Clinical Benefit After US Food and Drug Administration Accelerated Approval. JAMA Internal Medicine 181, 1673–1675 (2021).
4. Meyers, D. E. et al. Temporal trends in oncology drug revenue among the world’s major pharmaceutical companies: A 2010-2019 cohort study. JCO 39, 6505–6505 (2021).
5. Meyers, D. E. et al. Trends in drug revenue among major pharmaceutical companies: A 2010-2019 cohort study. Cancer https://doi.org/10.1002/cncr.33934,.
6. Vokinger, K. N. et al. Prices and clinical benefit of cancer drugs in the USA and Europe: a cost–benefit analysis. The Lancet Oncology 21, 664–670 (2020).
7. High Cost of Cancer Drugs Does Not Reflect Clinical Benefit. Medscape http://www.medscape.com/viewarticle/930424.