"Die Wahrheit ist selten rein und niemals einfach"

...schrieb einst Oscar Wilde. Gute Kommunikation im ärztlichen Aufklärungsgespräch kann eine Herausforderung darstellen, insbesondere, wenn es um ungewisse und ungünstige Ausgänge geht.

...schrieb einst Oscar Wilde. Gute Kommunikation im ärztlichen Aufklärungsgespräch kann eine Herausforderung darstellen, insbesondere, wenn es um ungewisse und ungünstige Ausgänge geht.

In der Vergangenheit, als eine paternalistische Denkweise oft die Arzt-Patienten-Beziehungen prägte, behielten manche Ärzte die Wahrheit für sich, wenn sie der Ansicht waren, dass dies für den Patienten "das Beste" sei.
Nach Fortschritten im therapeutischen Bereich sowie der Stärkung von Patientenautonomie und Patientenrechten gilt es inzwischen als Kardinalregel, dem Patienten zu sagen, was man weiß.1 In vielen Ländern wurden gesetzliche und berufliche Vorschriften dahingehend weiterentwickelt, dass Anforderungen wie die Offenlegung solcher Informationen oder Einwilligung nach Aufklärung enthalten sind.2

Die Art, wie schlechte Nachrichten überbracht werden, kann einen nicht zu unterschätzenden Effekt auf Patienten und ihre Angehörigen haben, aber auch auf den Behandler selbst. Die Patientenwahrnehmung der Kommunikation hat einen großen Einfluss auf die Haltung gegenüber den Behandlern. Damit kann das Aufklärungsgespräch die Weichen für den Umgang mit der Erkrankung und die Einstellung gegenüber Therapiemaßnahmen stellen.3

Ein tragisches Beispiel für eine Fehlkommunikation ereignete sich 2011, als ein renommierter Chirurg in China von einem Patienten mit einem Messer angegriffen wurde. Der Patient, bei dem zuvor Kehlkopfkrebs diagnostiziert worden war, hatte die Prognose des Arztes so interpretiert, dass keine Nebenwirkungen oder Metastasen zu erwarten seien.2 Nach der Operation erlebte er einen Stimmverlust sowie ein Tumorrezidiv und warf dem Arzt vor, ihn betrogen zu haben.

Gesprächsführung und Kommunikationstechnik als zentrale Qualifikation

Zu wissen, ob, wann und wie man schlechte Nachrichten mitteilt, ist eine Kernkompetenz für medizinische Berufe. Vor längerer Zeit thematisierte ein Editorial des Lancet, dass es vielen Ärzten aufgrund inadäquater Vorbereitung während der Ausbildung Schwierigkeiten bereitet, beim Überbringen solcher Nachrichten mit ihren eigenen Emotionen umzugehen, wie Trauer, Schuldgefühlen, Identifikation und Frustration.2
Es verwies auf diverse Empfehlungen, die einen Leitfaden für diese Aufgabe darstellen. Ein solches Modell wird unter der Abkürzung 'SPIKES' zusammengefasst:3

Aktives Zuhören und gegenseitiges Aufeinandereingehen sind hierfür ebenso essentiell, wie den psychischen Verarbeitungsmöglichkeiten, dem kulturellen Hintergrund und der sozialen Anbindung des Patienten Sorge zu tragen. Patienten brauchen Zeit, um sich mit den Informationen auseinanderzusetzen und sollten Gelegenheit erhalten, in einer geschützten Atmosphäre Gefühle zu äußern und für sie bedeutsame Fragen zu stellen. Die Initiative für eine offene Kommunikation über Diagnose und Behandlung liegt dabei vorrangig beim Arzt.3

Balance zwischen Hoffnung und Wahrheit

Aufklärung umfasst auch, ehrlich bezüglich dessen zu sein, was Ärzte nicht wissen oder nicht sicher wissen können.
Auf die Frage: "Wie lange habe ich noch?" eine konkrete Zahl zu nennen, ist nicht nur psychisch schwer belastend und kann dazu führen, dass die Patienten „die Uhr stellen“, es ist auch inhaltlich falsch, weil mediane Überlebenszeiten statistischer Kollektive und der individuelle Krankheitsverlauf zuweilen zweierlei sind.3

Eine Psychotherapeutin und ein niedergelassener Onkologe legen den Behandlern in einem Beitrag zur Aufklärung über die Prognose stattdessen eine grobe Einordnung der Aussichten ans Herz, um grobe Fehlvorstellungen seitens der Patienten zu vermeiden, bspw. "vorhandene Chancen", "gute Chancen" oder "dauerhafte Remissionen in der überwiegenden Anzahl der Fälle". Dies werde erfahrungsgemäß von den meisten Patienten als hinreichend empfunden.3

Eine Erhebung unter Patienten mit fortgeschrittenen Neoplasien und deren Onkologen ergab in 68% der Fälle völlig auseinandergehende Erwartungen in Bezug auf den Verlauf (in der Regel rechneten die Patienten mit einer wesentlich günstigeren Prognose als ihre Behandler).4 Die Forscher sehen darin ein Indiz dafür, dass in der Kommunikation mit Schwerkranken heikle Themen zur Begrenztheit des Lebens ausgespart werden.
"Eine positive Lebenshaltung kann natürlich die Lebensqualität erhöhen", sagt einer der Studienautoren, Prof. Ronald Epstein vom Rochester Medical Center, der sich auf Arzt-Patienten-Kommunikation spezialisiert hat. „Aber wenn ein Patient mit fortgeschrittenem Krebs denkt, dass er zu 90 oder 100% in zwei Jahren noch lebt, während sein Arzt die Chancen mit zehn Prozent beziffert, ist das schon ein Problem."5

Eine palliative Situation sollte dem Kranken ehrlich dargestellt werden, um unnötige Therapien am Lebensende zu vermeiden

Deutliche Unterschiede in der Beurteilung der Heilungschancen können dazu führen, dass Ärzte und Patienten die Therapieentscheidungen in der letzten Lebensphase rückblickend bereuen. "Wenn Patienten denken, dass sie mit ihrem Krebs noch lange leben, auch wenn alle Befunde dagegen sprechen, führt dies vielleicht zu aggressiver Chemotherapie, künstlicher Beatmung oder Dialyse. Paradoxerweise verringern diese Maßnahmen die Lebensqualität, halten Patienten davon ab, die Zeit mit ihren Angehörigen zu genießen und verkürzen manchmal sogar das Leben", warnt Epstein.5 Auch in Foren sind von Angehörigen nach solchen Verläufen häufig Sätze zu lesen, wie: "...den letzten Weg [hätte ich mir] anders vorgestellt."6

Eine Onkologin und mehrfach ausgezeichnete Buchautorin ('Tell Me the Truth: Conversations with My Patients about Life and Death' oder 'Dying for a Chat: The Communication Breakdown between Doctors and Patients')7, Dr. Ranjana Srivastava, schilderte im Lancet die bewegende Geschichte einer jungen Mutter mit terminalem Krebs. Sie stellte sich mehreren Runden von Chemotherapie, die klinisch eigentlich zum Scheitern verurteilt waren, doch in die sie und ihre Familie bis zuletzt die Hoffnung einer Heilung setzten. Als die Patientin schließlich verstarb, schreibt Srivastava: "...ich bin enttäuscht, von meinen Taten und meiner Tatenlosigkeit. Fünf Jahre Vorbereitung und trotzdem hatte niemand Gelegenheit, sich zu verabschieden."8
Patienten, die den Raum erhalten, ihre Wünsche für das Lebensende zu besprechen, unterziehen sich laut Srivastava weniger aussichtslosen Interventionen und verbringen mehr wertvolle Zeit mit ihren Angehörigen als Patienten, die diese Möglichkeit nicht hatten.2

Referenzen.
"Die Wahrheit ist selten rein und niemals einfach"
(aus The Importance of Being Earnest, "Die Wichtigkeit, Ernst zu sein", von Oscar Wilde, irischer Schriftsteller, 1854–1900)
1. Szostakowski, B. Prof Theodor Billroth and Ferdinand II King Consort of Portugal: who owns the truth? The Lancet Oncology 21, 1410–1411 (2020).
2. Lancet, T. Truth telling in clinical practice. The Lancet 378, 1197 (2011).
3. Ärzteblatt, D. Ä. G., Redaktion Deutsches. Aufklärung des Tumorpatienten: Weichenstellung für den Umgang mit Krebs. Deutsches Ärzteblatt https://www.aerzteblatt.de/archiv/190598/Aufklaerung-des-Tumorpatienten-Weichenstellung-fuer-den-Umgang-mit-Krebs (2017).
4. Gramling, R. et al. Determinants of Patient-Oncologist Prognostic Discordance in Advanced Cancer. JAMA Oncol (2016) doi:10.1001/jamaoncol.2016.1861.
5. Bartens, W. Wenn schlechte Krebsprognosen verschwiegen werden. Süddeutsche.de https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/arzt-patienten-gespraech-die-hoffnung-bleibt-1.3078451.
6. Harte zwei Jahre. Krebsforum für Angehörige https://www.krebsforum-fuer-angehoerige.de/forum/index.php?thread/22806-harte-zwei-jahre/.
7. About. Dr Ranjana Srivastava https://www.ranjanasrivastava.com/about.
8. Srivastava, R. Critical conversations: navigating between hope and truth. The Lancet 378, 1213–1214 (2011).