Durchbruch in der Immuntherapie: adoptive T-Zell-Therapie

Von der ASCO als "Fortschritt des Jahres 2018" bewertet, könnte dieser Therapieansatz das Leben von Patienten mit ansonsten therapierefraktären B‑Zell‑Neoplasien grundlegend verändern.

Von der ASCO als "Fortschritt des Jahres 2018" bewertet, könnte dieser Therapieansatz das Leben von Patienten mit ansonsten therapierefraktären B‑Zell‑Neoplasien grundlegend verändern.

Tumorzellen gelingt es über verschiedene Mechanismen, der Eliminierung durch Zellen unserer körpereigenen Abwehr zu entgehen. Neben der Immun-Checkpoint-Blockade steht ausgewählten Patienten mit der CAR‑T‑Zell-Therapie nun ein weiterer innovativer Ansatz zur Verfügung, der unser eigenes Immunsystem dazu einspannen soll, maligne Zellen effektiv zu erkennen und zu bekämpfen.

Was ist adoptive oder CAR‑T‑Zell-Therapie?

Bei dieser Therapie werden eigene Immunzellen des Patienten genetisch so verändert, dass sie Tumorzellen gezielt erkennen können. Eine Mischung aus Gen- und Immuntherapie.

In der Praxis funktioniert diese Umprogrammierung so: in mittels Leukapherese gewonnene T‑Zellen wird ein künstliches Gen eingefügt. Dieses kodiert für chimäre Antigenrezeptoren (CAR), die spezifische Oberflächenmarker auf Tumorzellen erkennen. Die CAR‑T‑Zellen werden zunächst im Labor vermehrt und dem Patienten anschließend infundiert.

Wenn ein CAR‑T‑Zell-Rezeptor an ein Oberflächenmolekül einer Krebszelle bindet, sendet er ein Signal aus, welches den Zerstörungsapparat der T‑Zelle in Gang setzt. Im Gegensatz zu konventionellen Tumortherapien handelt es sich damit um eine für den einzelnen Patienten maßgeschneiderte lebende Therapie, die nur einmalig verabreicht werden muss, weil sich die CAR‑T‑Zellen anschließend im Körper des Patienten vermehren. So sind anhaltende bzw. über die Zeit sogar zunehmende Effekte gegen die Neoplasie möglich.1,2

Patienten mit zuvor schwer therapierbaren Leukämien durch CAR‑T‑Zellen in vollständiger Remission

Die erste, von der FDA im August 2017 zugelassene, CAR‑T‑Zell-Therapie (Tisagenlecleucel) richtet sich spezifisch gegen den Oberflächenmarker CD19, ist also grundsätzlich für alle Neoplasien der B‑Zell-Reihe geeignet (ALL, multiples Myelom, einige Non‑Hodgkin-Lymphome).
Die Indikationen sind derzeit – aufgrund der im abschließenden Absatz genannten Risiken – noch sehr eng und wenigen spezialisierten Zentren vorbehalten.

Zunächst durfte die Behandlung nur bei Kindern und Jugendlichen unter 25 Jahren mit therapierefraktärer oder zum zweiten Mal rezidivierter lymphoblastischer Leukämie (ALL) aus B‑Vorläuferzellen eingesetzt werden. Grundlage waren Ergebnisse einer klinischen Studie, bei der nach 3 Monaten 52 von 63 Patienten (82 %) in Remission waren. Nach 6 Monaten waren 75 % noch rezidivfrei.3
ALL‑Rezidive waren bislang schwer behandelbar und das Überleben bemaß sich in Wochen bis Monaten. Unter den aktuell üblichen Standardtherapien lagen die Remissionsraten bei 20 % mit Chemotherapie und 33 % mit targeted therapy.2

Erweiterung des Indikationsspektrums

Im Mai 2018 wurde die Zulassung auf Erwachsene mit rezidiviertem oder nach zwei Vortherapien weiter progredientem diffusem großzelligem B‑Zell‑Lymphom (DLBCL, das häufigste unter den Non‑Hodgkin-Lymphomen) erweitert.4 In einer Studie sprachen von 51 Patienten 59 % auf Tisagenlecleucel an und 43 % gingen in Vollremission. Nach einem halben Jahr waren 79 % ohne Rezidiv.5
Im Oktober 2017 war bereits Axicabtagene (ebenfalls gegen CD19 gerichtet) als erstes CAR‑T‑Zell-Produkt für diese Indikation bei Erwachsenen zugelassen worden.

CLL‑Patient dank einer einzigen CAR‑T‑Zelle, die sich teilte, krankheitsfrei

Der besondere Fall eines CLL‑Patienten wurde im Juni 2018 in Nature publiziert.
Nach initialem Nichtansprechen war ab Tag 50 eine Anti‑Tumor-Aktivität zu beobachten. Auf dem Höhepunkt seines Ansprechens auf die Therapie stammten 94 % der CAR‑T‑Zellen von ein und demselben Klon ab. Der Patient befindet sich seit dieser Behandlung 2013 in vollständiger Remission und in seinem Immunsystem sind noch immer CAR‑T‑Zellen vorhanden.
Untersuchungen dieses Falles zeigen, dass das Ansprechen daran gebunden zu sein scheint, an welcher Stelle sich das CAR‑Gen in die T‑Zell‑DNA einfügt – ein zentraler Punkt, der die Ansprechraten verbessern könnte.4,6

Aufgrund neuerer Studienergebnisse für Patienten mit CLL, multiplem Myelom oder transformiertem follikulärem Lymphom ist vorstellbar, dass diese oder weitere Indikationen hinzukommen könnten.

Kehrseite: hohe Rate schwerer immunvermittelter Nebenwirkungen

Doch auch dieser therapeutische Vorstoß hat leider seinen Preis:
Tisagenlecleucel ist mit Kosten von 450.000 USD1 pro Infusion die wohl teuerste Krebstherapie aller Zeiten.

Auch den Patienten kann die Heilungschance leider teuer zu stehen kommen.
Da alle B‑Zellen auf ihrer Oberfläche CD19 exprimieren, werden auch gesunde Zellen zerstört. Das Knochenmark bildet zwar wieder funktionstüchtige B‑Zellen nach, doch bis dahin besteht ein erhöhtes Risiko für schwere Infektionen.

Zudem erlebten aus der oben genannten ALL‑Studie fast 50 % der Patienten ein schweres Zytokin‑Freisetzungssyndrom (CRS), bei den Erwachsenen mit DLBCL waren es 57 %. Diese Komplikation entsteht durch einen von den CAR‑T‑Zellen ausgelösten Sturm inflammatorischer Botenstoffe und kann mit Grippesymptomen, anhaltendem Fieber, Hypotonie, Atemproblemen und Störungen verschiedener Organsysteme einhergehen. Im schweren Fällen werden die Patienten beatmungs- und katecholaminpflichtig oder benötigen Antiepileptika, in anderen Studien wurden auch Todesfälle berichtet.2
Um dem vorzubeugen, erhalten die Patienten typischerweise drei aufeinanderfolgende Infusionen mit steigender Konzentration (10 %, 30 %, 60 %).
Für das Abfangen eines schweren CRS hat inzwischen Tocilizumab die Zulassung erhalten, welches einen Interleukin-Rezeptor blockiert und bei 69 % der Patienten binnen zweier Wochen zu einer Erholung der Symptomatik führte.1

Zusätzlich können vielfältige neurologische Komplikationen auftreten (ca. 15 %), darunter Wortfindungsstörungen, Sprechstörungen, Vigilanzminderung bis hin zum Koma, Delir, Halluzinationen sowie Krampfanfälle. Mehrheitlich verschwanden diese Erscheinungen von selbst wieder und hinterließen keine Langzeitschäden, aber in anderen Studien wurden auch hier Todesfälle verzeichnet.2
Die FDA warnt zudem vor akutem Nierenversagen, Hypoxie und Hypotonien. Die meisten Nebenwirkungen traten in den ersten drei Wochen nach Therapie auf.1

Referenzen:
1. Ärzteblatt. US-Zulassung der CAR-T-Zelltherapie. (2017). Available at: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/77957/US-Zulassung-der-CAR-T-Zelltherapie-Die-teuerste-Krebsbehandlung-aller-Zeiten. (Accessed: 28th June 2018)
2. Heymach, J. et al. Clinical Cancer Advances 2018: Annual Report on Progress Against Cancer From the American Society of Clinical Oncology. Journal of Clinical Oncology 36, 1020–1044 (2018).
3. Buechner, J. et al. Global Registration Trial of Efficacy and Safety of CTL019 in Pediatric and Young Adult Patients with Relapsed/Refractory (R/R) Acute Lymphoblastic Leukemia (ALL): Update to the Interim Analysis. Clinical Lymphoma Myeloma and Leukemia 17, S263–S264 (2017).
4. CLL patient goes into remission thanks to single CAR T cell: Case study provides clues that could help improve response rates. ScienceDaily Available at: https://www.sciencedaily.com/releases/2018/05/180530133022.htm. (Accessed: 28th June 2018)
5. Schuster, S. J. et al. Global Pivotal Phase 2 Trial of the Cd19-Targeted Therapy Ctl019 in Adult Patients with Relapsed or Refractory (r/R) Diffuse Large B-Cell Lymphoma (dlbcl)—an Interim Analysis. Hematological Oncology 35, 27–27
6. Fraietta, J. A. et al. Disruption of TET2 promotes the therapeutic efficacy of CD19-targeted T cells. Nature 558, 307–312 (2018).