Experten tüfteln an einer Roadmap für ein Leben ohne Darmkrebs

Darmkrebs ist mit über 62.000 Neuerkrankungen und 26.000 Todesfällen immer noch eine der häufigsten Tumorarten in Deutschland. Das ist besonders bedauerlich, da gerade dieses Malignom bei rechtzeitiger Prävention in nahezu 100 % der Fälle vermieden bzw. geheilt werden könnte.

Darmkrebs ist mit über 62.000 Neuerkrankungen und 26.000 Todesfällen immer noch eine der häufigsten Tumorarten in Deutschland. Das ist besonders bedauerlich, da gerade dieses Malignom bei rechtzeitiger Prävention in nahezu 100 % der Fälle vermieden bzw. geheilt werden könnte. Der Tumor wächst zunächst langsam und ist in seinen Vorstadien benigne. Beste Voraussetzungen also, diesen, in seinen Spätstufen so zerstörerischen Krebs mittelfristig doch weitgehend in den Griff zu bekommen!

Annäherung an "Version zero"

"How to eliminate colon cancer – a roadmap", lautete demnach auch das hohe Ziel der Spezialisten eines, Ende Juni in Heidelberg stattgefundenen internationalen Innovations-Workshops. Im Lauf der zweitägigen Veranstaltung sollte ein erster Strategieplan mit nachhaltigen bundesweiten Maßnahmen für die Vorhersage, Vorbeugung und Früherkennung von Darmkrebs entwickelt werden. Das Netzwerk gegen Darmkrebs veranstaltete die Tagung gemeinsam mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT), dem Universitätskllnikum Heidelberg und der Felix Burda Stiftung.

"Die wirksamste Maßnahme, um Darmkrebs zu eliminieren, ist eine möglichst hohe Teilnahmequote an der Vorsorge", so Christa Maar, Vorstand der Felix Burda Stiftung und Präsidentin des Netzwerks gegen Darmkrebs. Doch obwohl mit der Darmspiegelung eine Untersuchung existiert, mit welcher ein vorhandenes Karzinom gleichzeitig erkennt und entfernt werden kann, nehmen nur 20–30 % der Berechtigten diese in Anspruch.

Verbesserungsbedarf auf allen Ebenen

Seit dem 1. April zahlen die Kassen nun auch den immunologischen Test, der Blut im Stuhl wesentlich besser nachweist als der bisherige chemische. Doch die Erfahrung zeigt, dass derartige Screenings oft erst mit jahrelanger Verspätung flächendeckenden Einzug in das Gesundheitssystem finden.

Zentrales Element der Veranstaltung mit rund 300 Experten aus dem In- und Ausland waren daher interaktive Podiumsdiskussionen, bei denen die Basis zur grundlegenden und konkreten Verbesserung der Darmkrebsvorsorge erarbeitet werden sollte.

Kurz und gut. Der Strategie-Plan wird aktuell ausgefeilt und ist dementsprechend noch nicht veröffentlicht. Vorab aber schon mal ein paar wesentliche Aspekte, die von den Verfassern als essentiell angesehen und die entsprechend mit hoher Priorität gewünscht bzw. gefordert werden:

  1. Zeitnahe Einführung eines Einladeverfahrens an die Anspruchsberechtigten.
    Als Vorbild gelten hier die Niederlande, die durch personalisierte Anschreiben an ihre Bürger – inklusive immunchemischen Stuhltest plus frankiertem Rückumschlag für den Laborversand – einen Rücklauf von über 70 % erreichen. Kalkuliert man das ggf. ersparte menschliche Leid und die jeweils wegfallenden immensen Therapiekosten ein, könnte man durchaus von einer sehr lohnenswerten Investition sprechen. Nationales Ziel soll laut Plan hier eine Verdopplung der Spiegelungsrate innerhalb der nächsten fünf Jahre sein.
  2. Optimierung des Vernetzungsgrades von Patientendaten.
    Erhebung, Speicherung und Zugang relevanter Informationen für alle an der medizinischen Betreuung Beteiligten müssten verbessert werden. Es könne nicht sein, dass beispielsweise die Familienanamnese nicht bzw. nicht in Bezug auf das Darmkrebsrisiko erhoben wird und auch nicht allen Ärzten zur Verfügung stehe, so Prof. Christof von Kalle, Geschäftsführender Direktor am NCT in einem Interview mit der ÄrzteZeitung.
  3. Mitnahme des Patienten, für den das Modell transparent und verständlich sein soll.
    Mehr nutzerfreundliche Präventionsmaßnahmen, heißt das Zauberwort, welches auch die derzeitige Entwicklung von non-invasiven – und für den Betroffenen damit weniger unangenehmen – Testverfahren einschließt. Vor allem geht es aber um eingängige Information, klare Kommunikation und ggf. auch geschlechts- und risikospezifische Ansprache – dann könne man Patienten durchaus in noch größerer Zahl für diese sinnvolle Maßnahmen gewinnen, so die überwiegende Meinung der Experten.
  4. Stetes Lernen und Weiterentwickeln mithilfe des Datenpools.
    Hier geht es um kontinuierliche Prozessadjustierung anhand der zu erwartenden Fülle an Ergebnissen und Auswertungen. Wo sollte man intentionaler vorgehen/ forschen und wo sind verstärkte Mühen und Ausgaben weniger zielführend? Ein Beispiel für ersteres wäre der bisher nicht wirklich geklärte Anstieg von Rektrumkarzinomen bei jungen Menschen.
  5. Besondere Aufmerksamkeit für Betroffene mit familiärem Risiko.
    Damit hier kein erblich belasteter Patient durchs Raster rutscht,wurden diverse Vorkehrungen diskutiert und teilweise verabschiedet, z.B. die durch vier anamnestische Fragen mögliche Detektion eines genetisch bedingten Darmkrebsrisikos. Oder die durch Interventionsstudien gestützte Aussage, dass bei Senken des Anspruchsalters von derzeit 55 auf 50 Jahre, die Mortalitätsrate zumindest bei Männer signifikant reduziert werden könnte.

Die Umsetzung dieser Eckpunkte visieren die Spezialisten innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahren an, wobei unmittelbar nach Fertigstellung des Papiers auch die gesundheitspolitischen Entscheidungsträger ausdrücklich mit ins Boot geholt werden sollen – schließlich wurde die gesetzliche Grundlage hier bereits 2016 geschaffen, doch nie standardisiert in die Realität umgesetzt.

Wurden nach einer Erhebung des Deutschen Krebsforschungsinstituts durch die Vorsorgekoloskopien allein zwischen 2008 und 2011 rund 25.000 Todesfälle durch Darmkrebs verhindert, so könnte die Quote mit dem neuen Maßnahmenkatalog noch mal deutlich nach unten sinken. Schritt für Schritt also hin zu einem großen wissenschaftlichen Traum – der keinesfalls einer bleiben muss.

Quellen:

  1. Heidelberger Roadmap für ein Leben ohne Darmkrebs. Dritter internationaler Workshop "Innovations in Oncology" 26. und 27. Juni 2017. Pressemeldung
  2. www.netzwerk-gegen-darmkrebs.de
  3. Die Nulllösung im Visier. Interview mit Prof. Christof von Kalle, Geschäftsführender Direktor am NCT. Beilage der "Ärzte Zeitung" vom 30.6.17 anlässlich des Symposiums "Innovations in Oncology" am DKFZ in Heidelberg.
  4. Chen C, Stock C, Hoffmeister M, Brenner H, Public health impact of colonoscopy use on colorectal cancer mortality in Germany and the United States, Gastrointestinal Endoscopy (2017)