Gar nicht so süß: Der Krebs-Zucker-Link

Rund 50 Jahre zurückgehaltene Studienergebnisse deuten auf Zusammenhang von Saccharose mit Hyperlipidämie und Krebs hin.

Rund 50 Jahre zurückgehaltene Studienergebnisse deuten auf Zusammenhang von Saccharose mit Hyperlipidämie und Krebs hin.

Dass fast all unseren Lebensmitteln Zucker zugesetzt wird und dass sich viel raffinierter Zucker nachhaltig schlecht auf unsere Gesundheit auswirkt, ist mittlerweile ein alter Hut. Ebenso alt, aber vielen von uns trotzdem neu, sind Fragen, die eine im November 2017 publizierte Analyse bisher unveröffentlichter Studien aufwirft.

Der Warburg-Effekt: Krebs-Zellen brauchen Glukose

Bis vor etwa 100 Jahren war Zucker nicht weit verbreitet und für die meisten Menschen ohnehin nicht erschwinglich. Dennoch erbrachten Wissenschaftler bereits seit den 1920ern Nachweise für die gesundheitlichen Risiken des Verzehrs von Zucker.1

Einer der bedeutendsten war der deutsche Biochemiker und spätere Nobelpreis-Träger Otto Warburg. Er beobachtete, dass Krebszellen ihre Energie in erster Linie mittels Glykolyse gewinnen, also Glukose zu Laktat verstoffwechseln, und zwar selbst dann, wenn ihnen Sauerstoff zur Verfügung steht.2 Als Ursache vermutete er einen mitochondrialen Defekt und postulierte dies 1926 als wesentlichen Mechanismus bei Krebs. Außerdem fiel ihm auf, dass in Krebszellen die Verwertung von Glukose in einer rasanteren Geschwindigkeit stattfindet als in gesunden Zellen (Glykolyse benötigt weniger Energie und weniger Reaktionsschritte). Er schloss daraus, dass man das Wachstum von Krebs stören könnte, indem man den Zellen ihren Haupt-Energielieferanten, nämlich Zucker, entzieht.

Ergebnisse vertuscht?

Sein Ansatz wurde jedoch überraschend wenig weiter verfolgt und die Lebensmittel-Industrie unterstützte in den Folgejahren die Etablierung anderer Theorien. Unter anderem folgende:

In den 1960ern stand die KHK im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. 1965 finanzierte die Sugar Research Foundation (SRF) heimlich ein Review im angesehenen New England Journal of Medicine.3 Drei Wissenschaftler der Harvard University erhielten unter der Hand 6.500 US-Dollar (entspräche heute ca. 50.000 Dollar) für die Produktion dieses Reviews mit von den Industriellen vor-selektioniertem Inhalt. Bis dato gewonnene Belege für die Bedeutung des Saccharose-Konsums für Blutfettwerte und folglich KHK wurden in diesem Review kritisiert bzw. negiert und stattdessen Nahrungsfette für Herzerkrankungen verantwortlich gemacht. Ab 1967 wurden im Auftrag und auf Kosten der SRF Tierversuche zur Untersuchung des KHK-Risikos durch Saccharose durchgeführt. Doch die Studien wurden 1971 abgebrochen und ihr Inhalt niemals publiziert.

Die saure Seite des Zuckers

Forscher der Universität San Francisco analysierten nun tausende Seiten interner Dokumente und Archive der Harvard Universität und fanden in den nicht zu Ende geführten Studien Belege dafür, dass die mikrobielle Flora des Menschen entscheidend zu einer Saccharose-induzierten Hypertriglyceridämie beiträgt und dass der Verzehr von Saccharose (Haushaltszucker), im Vergleich zu Stärke, das Risiko für Blasen-Malignome erhöht.

Wissenschaft versus Zucker-Industrie

Bis heute werden widersprüchliche Aussagen über mögliche Krankheitsrisiken durch raffinierte Zucker publiziert, wobei immer wieder Verbindungen von ablehnend dazu positionierten Studienautoren zur Getränke- und Nahrungsmittel-Industrie auftauchen. Da die SRF nur eine von vielen Organisationen ist und von den damals beteiligten Forschern niemand mehr lebt, den man befragen könnte, wäre es umso wichtiger, das Thema genauer zu untersuchen.

Eine 2016 erschienene Studie zeigte in verschiedenen Mausmodellen für das Mammakarzinom, dass Zucker-reiche Ernährung gesteigertes Tumorwachstum und Metastasierung auslöst, in erster Linie über vermehrte Expression von 12-Lipoxygenase.4

Nach sechs Monaten hatten 58% der mit raffiniertem Zucker gefütterten Mäuse Brustkrebs entwickelt (versus 30% der mit Stärke gefütterten). Erstere wiesen auch deutlich häufiger Lungenmetastasen auf. Insbesondere kristalline Fructose (wie in Mais-Sirup, nicht jener aus Früchten) und Saccharose schienen dies auszulösen. Einige spätere Studien konnten diesen Zusammenhang reproduzieren, während andere ihn anfochten.

Die Sugar Association beantwortete diese Veröffentlichung mit einer Pressemitteilung und konstatierte, dass "kein glaubhafter Zusammenhang zwischen dem aufgenommenen Zucker und dem Malignom bestehe".

Recherche lohnt sich – zahlreiche methodisch saubere Studien, die zum Nachdenken anregen

Die Liste der Arbeiten, die den Zusammenhang immer glaubhafter erscheinen lassen, ist lang:

Fälschlicher Fokus auf Fett statt auf Zucker

Raffinierter Zucker dürfte damit in der Liste der Hauptursachen für schwere Krankheiten deutlich nach oben rücken, insbesondere wenn man die steigende Zufuhr bedenkt (in den USA ca. 30 TL pro Kopf täglich, die Hälfte davon über Softdrinks4).

Beginnend mit dem o.g. Review von 1965, welches die Nahrungsfette als großen Übeltäter etablierte, entwickelte sich ein regelrechter "Low-Fat-Wahn" und Mitte der 70er Jahre wurde damit begonnen, Fette in verarbeiteten Lebensmitteln zu reduzieren und den dadurch fehlenden Geschmack mit billigen Zuckern zu verbessern. Daher versteckt sich heutzutage HFCS (High Fructose Corn Syrup oder Maissirup) auch in sehr vielen Nahrungsmitteln, bei denen die Verbraucher sich nicht bewusst sind, dass sie Zucker enthalten (Chips, Saucen, Suppen, Brot).

Kristalline Fructose, übermäßig konsumiert, hat besonders verheerende Auswirkungen auf die Gesundheit, verursacht Insulin-Resistenz, Hypertonus, Hyperurikämie uvm. Krankheiten wie KHK, Diabetes, Krebs und Adipositas haben seither rasant zugenommen.

Doch dies soll keineswegs zu der Idee verleiten, dass synthetische Süßstoffe, die ein eigenes Thema sind, weniger bedenklich seien. An einigen Stellen wird Zucker schon als "Tabak des 21. Jahrhunderts" bezeichnet (dieser hält bisher Platz 1 der vermeidbaren Todesursachen). Könnten wir es mit einer ähnlichen Manipulation der Wissenschaft für die Interessen der Industrie zu tun haben wie in der Tabak-Industrie, die einige Ärzte dafür bezahlte, auszusagen, dass Rauchen nicht krebserregend sei?

Quellen:
1. Study Proves Sugar-Cancer Link Cannot Be Ignored. Mercola.com Available at: https://articles.mercola.com/sites/articles/archive/2017/11/01/too-much-sugar-negative-effects.aspx. (Accessed: 29th November 2017)
2. Venkatesh, P. K. V., Darunte, L. & Bhat, P. J. Warburg Effect. in Encyclopedia of Systems Biology (eds. Dubitzky, W., Wolkenhauer, O., Cho, K.-H. & Yokota, H.) 2349–2350 (Springer New York, 2013). doi:10.1007/978-1-4419-9863-7_703
3. Kearns, C. E., Apollonio, D. & Glantz, S. A. Sugar industry sponsorship of germ-free rodent studies linking sucrose to hyperlipidemia and cancer: An historical analysis of internal documents. PLOS Biol. 15, e2003460 (2017).
4. Jiang, Y. et al. A Sucrose-Enriched Diet Promotes Tumorigenesis in Mammary Gland in Part through the 12-Lipoxygenase Pathway. Cancer Res. 76, 24–29 (2016).
5. Peeters, K. et al. Fructose-1,6-bisphosphate couples glycolytic flux to activation of Ras. Nat. Commun. 8, (2017).
6. Das, U. N. Sucrose, fructose, glucose, and their link to metabolic syndrome and cancer. Nutrition 31, 249–257 (2015).
7. Friberg, E., Wallin, A. & Wolk, A. Sucrose, High-Sugar Foods, and Risk of Endometrial Cancer—a Population-Based Cohort Study. Cancer Epidemiol. Prev. Biomark. 20, 1831–1837 (2011).
8. Fuchs, M. A. et al. Sugar-Sweetened Beverage Intake and Cancer Recurrence and Survival in CALGB 89803 (Alliance). PLoS ONE 9, (2014).
9. Mueller, N. T. et al. Soft Drink and Juice Consumption and Risk of Pancreatic Cancer: The Singapore Chinese Health Study. Cancer Epidemiol. Prev. Biomark. 19, 447–455 (2010).