Leukämiepatienten profitieren nicht von Blutungsprophylaxe mit Tranexamsäure

Das Antifibrinolytikum wird häufig off-label eingesetzt, auch bei Thrombopenien im Rahmen hämatologischer Neoplasien. Ergebnisse einer neuen, großen Studie sprechen jedoch nicht dafür.

Das Antifibrinolytikum wird häufig off-label eingesetzt, auch bei Thrombopenien im Rahmen hämatologischer Neoplasien. Ergebnisse einer neuen, großen Studie sprechen jedoch nicht dafür.

Im Dezember fand der Kongress der American Society of Hematology (ASH) virtuell statt, der weltweit größte jährliche Kongress der Hämatologie. Zu den potenziell praxisverändernden Studienergebnissen gehörten die der 'A-TREAT'-Studie (American Trial Using Tranexamic Acid (TXA) in Thrombocytopenia).1,2

Im Rahmen der Therapie kommt es bei Leukämiepatienten trotz optimaler prophylaktischer Thrombozytentransfusionstherapie aufgrund schwerer Thrombozytopenien in 43–70% der Fälle zu Blutungen des WHO-Grades 2 oder höher.
Für Patienten mit erblichen Gerinnungsstörungen und für verschiedene chirurgische Eingriffe sowie peripartale Blutungen ist nachgewiesen, dass eine antifibrinolytische Therapie mit Tranexamsäure Blutungen und Transfusionsbedarf reduziert. Für den Einsatz bei therapieinduzierter Thrombozytopenie im Rahmen hämatologischer Malignome gab es bisher keine Evidenz.
Deshalb untersuchten Wissenschaftler der University of Washington School of Medicine, Seattle, in der doppelblinden, placebokontrollierten klinischen Studie 'A-TREAT' Blutkrebspatienten dreier US-amerikanischer akademischer Zentren, die sich einer Chemo- oder Stammzelltherapie unterzogen und bei denen eine hypoproliferative Thrombozytopenie zu erwarten war.

Nicht weniger Blutungsereignisse unter Tranexamsäure, aber mehr katheterassoziierte Thromben

Insgesamt wurden 330 Patienten zu Tranexamsäure (1.000 mg intravenös oder 1.300 mg oral) oder Placebo randomisiert, 327 erhielten mindestens eine Dosis der Studienmedikation. Fiel die Thrombozytenzahl unter 30.000/µl, erhielten die Patienten das Studienmedikament alle 8 Stunden, bis sich die Thrombozytenzahl auf über 30.000/µl erholte oder die Diagnose einer Thrombose gestellt wurde. Bei Thrombozytenzahlen unter 10.000/µl (oder wenn es der behandelnde Arzt als angezeigt einstufte) erfolgten prophylaktische Transfusionen.

Die Anzahl von Blutungsereignissen (≥ Grad 2) unterschied sich zwischen den Subgruppen nicht signifikant: die Rate lag bei 48,8% unter Placebo und 45,4% unter Tranexamsäure (OR 0,86). Eine Post-hoc-Analyse der Blutungen > Grad 3 zeigte, dass diese Ereignisse selten waren und keine Verbesserung durch Tranexamsäure zu beobachten war. Ebenfalls hatte Tranexamsäure keinen signifikanten Einfluss auf die Rate der benötigten Erythrozyten- oder Thrombozytentransfusionen. Im Tranexamsäure-Arm war eine erhöhte Inzidenz von Zentralvenenkatheter-Verschlüssen zu beobachten (19,5% versus 11%), aber kein Anstieg anderer Arten von thrombotischen Ereignissen.

Möglicherweise eine Einzelfallentscheidung

Erstautorin Prof. Terry Gernsheimer, Hämatologin an der UW Washington und Leiterin des Transfusionsdienstes, führt aus: "Offensichtlich haben Patienten mit niedrigen Thrombozytenzahlen und Blutkrebs eine andere Art von Blutungen als Patienten, die eine Art von Trauma oder Operation erlitten haben. [...] Ihre Blutungen sind wahrscheinlich auf endotheliale Schäden – Schäden an der Auskleidung der Blutgefäße – zurückzuführen, auf die Tranexamsäure keinen Einfluss hätte."

"Um Blutungen bei diesen Patienten zu verhindern, müssen wir möglicherweise nach Wegen suchen, um die Heilung von Schädigungen des Endothels zu beschleunigen, die bei Chemotherapie, Bestrahlung und Graft-versus-Host-Erkrankung auftritt", so Gernsheimer weiter.

"Diese Daten sprechen nicht für den routinemäßigen Einsatz von prophylaktischer Tranexamsäure bei chemotherapieinduzierter Thrombozytopenie bei Patienten mit einer Thrombozytenzahl von weniger als 30.000/μL", sagt Dr. Mitul Gandhi, ein Onkologe der Virginia Cancer Specialists, von dem ein Kommentar eingeholt wurde.2
Dennoch könnte es Patienten geben, die von Tranexamsäure profitieren, meint er. Nach Behebung von vaskulären Störungen, Einsatz von Thrombozyten-, Fresh-Frozen-Plasma- und Kryopräzipitat-Transfusionen sowie Vitamin-K-Supplementierung sieht Ghandi Tranexamsäure als Reserve für therapieschwierige Blutungen.

Weitere Studien könnten klären, ob das Medikament für bestimmte Untergruppen von Patienten hilfreich sein könnte

Dr. Douglas Tremblay von der School of Medicine at Mount Sinai, New York City, der ebenfalls um einen Kommentar gebeten wurde, gibt zu bedenken, dass die Einschlusskriterien dieser Studie relativ breit waren dass es für bestimmte Subgruppen dennoch einen Nutzen durch Tranexamsäure geben könnte, auch wenn sie Patienten mit hämatologischen Neoplasien an seiner Institution nicht prophylaktisch gegeben wird.

Zum Beispiel haben Patienten unter Induktionschemotherapie bei akuter myeloischer Leukämie ein höheres Risiko für Blutungen als Patienten mit anderen hämatologischen Malignomen. Oder Patienten, die sich einer allogenen Transplantation unterziehen, haben ein höheres Risiko als Patienten, die sich einer autologen Transplantation unterziehen. "Während es also unklar ist, ob eine Untergruppe von dieser Strategie profitiert, scheint sie, insgesamt betrachtet, keinen Nutzen zu haben und potenziell schädlich zu sein, was die Katheterverschlüsse angeht", fügt Tremblay hinzu. "Dies kann Chemotherapien oder unterstützende Infusionen verzögern, was ein großes Problem sein kann."2

Referenzen:
1. Gernsheimer, T. Effects of Tranexamic Acid Prophylaxis on Bleeding Outcomes in Hematologic Malignancy: The a-TREAT Trial. in (ASH, 2020).
2. No Benefit From Tranexamic Acid Prophylaxis in Blood Cancers. Medscape http://www.medscape.com/viewarticle/942096.