Prostatakarzinom: Für und Wider einer Androgendeprivationstherapie

Etwa die Hälfte der Patienten mit Prostatakarzinom erhält eine ADT. Doch immer mehr neue Belege zeigen ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Profil.

Etwa die Hälfte der Patienten mit Prostatakarzinom erhält eine ADT. Doch immer mehr neue Belege zeigen ein ungünstiges Nutzen-Risiko-Profil.

Das Prostatakarzinom (PCa) ist die häufigste Neoplasie des Mannes und die zweithäufigste Krebstodesursache. Viele Patienten mit lokal invasivem oder metastasiertem PCa erhalten eine Androgendeprivationstherapie (ADT), die aufgrund ihrer zahlreichen Nebenwirkungen zunehmend in die Diskussion gerät. Immer wieder stellen Experten dabei die Frage: ist diese Therapieoption noch zeitgemäß?
Wir wollen und können diese Frage nicht mit "ja" oder "nein" beantworten, möchten aber einige der derzeit wichtigsten Diskussionspunkte nebst aktuellen Studienergebnissen dazu vorstellen.

Bandbreite von Nebenwirkungen

Wenngleich die Therapie für einen Teil der Patienten einen Benefit erbringt, geht die durch die ADT verursachte schwere Androgen-Defizienz mit zahlreichen Nebenwirkungen einher1–3, darunter sexuelle Dysfunktion, Fatigue, Anämie, Osteoporose (Frakturen), Hitzewallungen, Veränderungen der Körperzusammensetzung, metabolische Störungen (wie sarkopenisches Übergewicht, Dyslipidämie, Insulinresistenz), dadurch auch erhöhte kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität sowie kognitive und psychiatrische Störungen (erhöhtes Risiko für Alzheimer4 und Depression).

Kardiovaskuläre Komplikationen

Mehrere Studien belegen eine deutliche Assoziation der ADT mit einem gesteigerten Risiko für KHK, Myokardinfarkt und plötzlichen Herztod.5
Einige Untersuchungen beobachten solche kardiovaskulären Ereignisse bereits relativ zeitig nach Initiation einer ADT. Da metabolische Alterationen und Atherosklerose sich normalerweise allmählich über einen längeren Zeitraum entwickeln, ist unklar, welche Mechanismen Patienten zu diesen frühen Ereignissen prädisponieren.1

Wie eine kürzlich veröffentlichte Arbeit feststellte, kommt es bei vorher kardial Gesunden (ohne vorbestehende Rhythmusstörungen oder Blockbilder) unter ADT zu QT-Verlängerungen, die im Vergleich zu PCa-Patienten ohne ADT signifikant ausfielen. Die Testosteron-Spiegel korrelierten sogar invers mit der QT-Dauer.1
Diese Funde könnten das bei diesen Patienten beobachtete erhöhte Risiko für einen plötzlichen Herztod zumindest partiell erklären.

ADT könnte Neigung zu autoimmunen Störungen erhöhen

Androgene haben vorwiegend immunsuppressive Effekte, was die höhere Inzidenz autoimmuner Erkrankungen bei Frauen und hypogonadalen Männern teilweise begründen könnte.

Inzwischen gibt es klinische Daten, die nahelegen, dass die ADT die Neigung zu autoimmunen Geschehen begünstigt. Dies ist vielleicht einer der bislang am wenigsten bekannten Punkte.
Eine vor wenigen Monaten erschienene Studie an über 105 Tsd. Patienten zeigte, dass die ADT das Risiko für eine rheumatoide Arthritis im Schnitt um 23 % erhöht.2 Dieses Risiko wird auch von der Dauer der ADT mitbestimmt.

Auswirkung der ADT auf körperliche Funktion und Lebensqualität

Auf der Webseite der ASCO (American Society of Oncology) wird auch explizit auf die schlechte Lebensqualität unter ADT hingewiesen (zugehöriger Artikel erschien auch im Journal of Clinical Oncology). Insbesondere die Müdigkeit, Anämie und sexuelle Dysfunktion schlagen sich in der von den Patienten berichteten körperlichen Befindlichkeit nieder.

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass wichtige Faktoren, wie körperliche Ausdauer und Kraft im Oberkörper bereits innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn einer ADT beeinträchtigt sind. Sie schlagen vor, den Patienten am besten bereits vorher ein entsprechendes körperliches Training zu empfehlen, um diesen Auswirkungen vorzubeugen.3

Langzeit-Daten zeigen keinen Überlebensvorteil durch Zusatz einer ADT zur Radiatio bei lokalisiertem PCa

Ein weiterer Punkt, auf den die ASCO abhebt, wurde auch in einem Paper des Journal of the American Medical Association (JAMA) dargelegt: bei älteren Männern mit lokalisiertem PCa und mittleren bis schweren Begleiterkrankungen zeigte ein Langzeit-Vergleich zwischen alleiniger Bestrahlung und Bestrahlung mit zusätzlicher ADT hinsichtlich Gesamtüberleben und kardialer Mortalität keine Vorteile und die Autoren raten ebenfalls zu einer sorgfältigen Abwägung vor Wahl dieser Therapieoption.3

Referenzen:
1. Gagliano-Jucá, T. et al. Androgen Deprivation Therapy Is Associated With Prolongation of QTc Interval in Men With Prostate Cancer. J Endocr Soc 2, 485–496 (2018).
2. Yang, D. D. et al. Androgen deprivation therapy and risk of rheumatoid arthritis in patients with localized prostate cancer. Ann. Oncol. 29, 386–391 (2018).
3. Prostate Cancer. ASCO (2016). Available at: https://www.asco.org/practice-guidelines/cancer-care-initiatives/geriatric-oncology/specific-cancer-types/prostate-cancer. (Accessed: 20th June 2018)
4. Nead, K. T. et al. Association Between Androgen Deprivation Therapy and Risk of Dementia. JAMA Oncol 3, 49–55 (2017).
5. Keating, N. L., O’Malley, A. J. & Smith, M. R. Diabetes and cardiovascular disease during androgen deprivation therapy for prostate cancer. J. Clin. Oncol. 24, 4448–4456 (2006).